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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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lichen Freiheit. Heute schwingt er wieder rechts nach der großdeutsch-klein¬
fürstlichen Seite, nach Seite der politischen Jsolirung des Südens, der
Schutzzöllnerei und der wirtschaftlichen Unfreiheit.

Anderwärts würde man es kaum für möglich halten, daß ein und das¬
selbe Ministerium fast zu der nämlichen Zeit, oder wenigstens nach sehr kur¬
zen Zwischenräumen, so entgegengesetzte Richtungen einschlage. Bei uns ist
Alles möglich. Wir sind heute preußisch-norddeutsch; morgen östreichisch-süd¬
deutsch; -- vielleicht auch übermorgen französisch-rheinbündnerisch. Die poli¬
tischen Stimmungen und Verstimmungen sind in einem ewigen Wechsel be¬
griffen. Heute lauscht unsere rothe Demokratie, die sonst die "Aristokraten
an die Laterne" wünscht und nur von dem Selbstbestimmungsrechte der
Völker und der deutschen Föderativ - Republik spricht, mit spähenden Augen
und gespitzten Ohren nach der Stadt der Mönche im Baierland und er¬
wartet die Rettung von dem Ausspruche einiger baierischen Prinzen, Bischöfe
und Grundherrschaften. Morgen setzt sich das Land, die Hauptstadt an der
Spitze, in Bewegung, um die Zollvereinsverträge zu retten aus den Ge¬
fahren, womit die Coalition zwischen der ausbeutungslustigen Schutzzöllnerei,
klerikaler Reaction und staatsfeindlicher Winkelradicalen bedroht.

Es war am 31. October 1867, als das verehrliche Mitglied für Aalen,
Herr Moriz Mohl, früher würtembergischer Finanz- und Steuerrath und
als solcher zum Zwecke der Unterhandlung über das Verhältniß Würtem-
bergs zum Zollverein seiner Zeit nach Berlin geschickt, wo er sich in Folge
seiner Rechthaberei in allerlei Fehden verwickelte und einen bis auf den
heutigen Tag höchst getreulich bewahrten Abscheu vor Preußen und dessen
Hauptstadt in sich aufnahm, als Herr Moriz Mohl in dem bekannten Halb¬
mondsaale des Stutengartens an dem Nesenbache mit den schwärzesten Far¬
ben schilderte, welche Greuel uns bevorständen, wenn wir den neuesten Zoll¬
vereinsvertrag genehmigten, und dann ausmalte, welche himmlische Freuden
uns nach ausgestandenen Kreuz und Leiden erwarteten, wenn entweder wir
Würtenberger allein oder in Gemeinschaft mit Baiern ein schutzzöllnerisches
Musterreich der Mitte gründeten und solches mit einer chinesischen Mauer
umgaben.

Darauf erwiderte der Minister des Auswärtigen, Freiherr von Varn-
büler: "Der Abgeordnete für Aalen ist in politischen Dingen nicht außer¬
ordentlich conservativ, aber in wirthschaftlichen Dingen kommt er allemal
in eine große Bewegung, wenn es sich darum handelt, etwas Neues in
das Leben zu rufen; -- und in dieser Hinsicht wenigstens ist er sich seit
vierunddreißig Jahren consequent geblieben. Denn denselben Angstruf, den
er heute ausstößt, dieselben schwarzen Prophezeiungen, die er jetzt vor¬
bringt, konnte man schon im Jahre 1833 von ihm hören, als es sich um


Grenzboten I. 18L8. 9.

lichen Freiheit. Heute schwingt er wieder rechts nach der großdeutsch-klein¬
fürstlichen Seite, nach Seite der politischen Jsolirung des Südens, der
Schutzzöllnerei und der wirtschaftlichen Unfreiheit.

Anderwärts würde man es kaum für möglich halten, daß ein und das¬
selbe Ministerium fast zu der nämlichen Zeit, oder wenigstens nach sehr kur¬
zen Zwischenräumen, so entgegengesetzte Richtungen einschlage. Bei uns ist
Alles möglich. Wir sind heute preußisch-norddeutsch; morgen östreichisch-süd¬
deutsch; — vielleicht auch übermorgen französisch-rheinbündnerisch. Die poli¬
tischen Stimmungen und Verstimmungen sind in einem ewigen Wechsel be¬
griffen. Heute lauscht unsere rothe Demokratie, die sonst die „Aristokraten
an die Laterne" wünscht und nur von dem Selbstbestimmungsrechte der
Völker und der deutschen Föderativ - Republik spricht, mit spähenden Augen
und gespitzten Ohren nach der Stadt der Mönche im Baierland und er¬
wartet die Rettung von dem Ausspruche einiger baierischen Prinzen, Bischöfe
und Grundherrschaften. Morgen setzt sich das Land, die Hauptstadt an der
Spitze, in Bewegung, um die Zollvereinsverträge zu retten aus den Ge¬
fahren, womit die Coalition zwischen der ausbeutungslustigen Schutzzöllnerei,
klerikaler Reaction und staatsfeindlicher Winkelradicalen bedroht.

Es war am 31. October 1867, als das verehrliche Mitglied für Aalen,
Herr Moriz Mohl, früher würtembergischer Finanz- und Steuerrath und
als solcher zum Zwecke der Unterhandlung über das Verhältniß Würtem-
bergs zum Zollverein seiner Zeit nach Berlin geschickt, wo er sich in Folge
seiner Rechthaberei in allerlei Fehden verwickelte und einen bis auf den
heutigen Tag höchst getreulich bewahrten Abscheu vor Preußen und dessen
Hauptstadt in sich aufnahm, als Herr Moriz Mohl in dem bekannten Halb¬
mondsaale des Stutengartens an dem Nesenbache mit den schwärzesten Far¬
ben schilderte, welche Greuel uns bevorständen, wenn wir den neuesten Zoll¬
vereinsvertrag genehmigten, und dann ausmalte, welche himmlische Freuden
uns nach ausgestandenen Kreuz und Leiden erwarteten, wenn entweder wir
Würtenberger allein oder in Gemeinschaft mit Baiern ein schutzzöllnerisches
Musterreich der Mitte gründeten und solches mit einer chinesischen Mauer
umgaben.

Darauf erwiderte der Minister des Auswärtigen, Freiherr von Varn-
büler: „Der Abgeordnete für Aalen ist in politischen Dingen nicht außer¬
ordentlich conservativ, aber in wirthschaftlichen Dingen kommt er allemal
in eine große Bewegung, wenn es sich darum handelt, etwas Neues in
das Leben zu rufen; — und in dieser Hinsicht wenigstens ist er sich seit
vierunddreißig Jahren consequent geblieben. Denn denselben Angstruf, den
er heute ausstößt, dieselben schwarzen Prophezeiungen, die er jetzt vor¬
bringt, konnte man schon im Jahre 1833 von ihm hören, als es sich um


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[0065] lichen Freiheit. Heute schwingt er wieder rechts nach der großdeutsch-klein¬ fürstlichen Seite, nach Seite der politischen Jsolirung des Südens, der Schutzzöllnerei und der wirtschaftlichen Unfreiheit. Anderwärts würde man es kaum für möglich halten, daß ein und das¬ selbe Ministerium fast zu der nämlichen Zeit, oder wenigstens nach sehr kur¬ zen Zwischenräumen, so entgegengesetzte Richtungen einschlage. Bei uns ist Alles möglich. Wir sind heute preußisch-norddeutsch; morgen östreichisch-süd¬ deutsch; — vielleicht auch übermorgen französisch-rheinbündnerisch. Die poli¬ tischen Stimmungen und Verstimmungen sind in einem ewigen Wechsel be¬ griffen. Heute lauscht unsere rothe Demokratie, die sonst die „Aristokraten an die Laterne" wünscht und nur von dem Selbstbestimmungsrechte der Völker und der deutschen Föderativ - Republik spricht, mit spähenden Augen und gespitzten Ohren nach der Stadt der Mönche im Baierland und er¬ wartet die Rettung von dem Ausspruche einiger baierischen Prinzen, Bischöfe und Grundherrschaften. Morgen setzt sich das Land, die Hauptstadt an der Spitze, in Bewegung, um die Zollvereinsverträge zu retten aus den Ge¬ fahren, womit die Coalition zwischen der ausbeutungslustigen Schutzzöllnerei, klerikaler Reaction und staatsfeindlicher Winkelradicalen bedroht. Es war am 31. October 1867, als das verehrliche Mitglied für Aalen, Herr Moriz Mohl, früher würtembergischer Finanz- und Steuerrath und als solcher zum Zwecke der Unterhandlung über das Verhältniß Würtem- bergs zum Zollverein seiner Zeit nach Berlin geschickt, wo er sich in Folge seiner Rechthaberei in allerlei Fehden verwickelte und einen bis auf den heutigen Tag höchst getreulich bewahrten Abscheu vor Preußen und dessen Hauptstadt in sich aufnahm, als Herr Moriz Mohl in dem bekannten Halb¬ mondsaale des Stutengartens an dem Nesenbache mit den schwärzesten Far¬ ben schilderte, welche Greuel uns bevorständen, wenn wir den neuesten Zoll¬ vereinsvertrag genehmigten, und dann ausmalte, welche himmlische Freuden uns nach ausgestandenen Kreuz und Leiden erwarteten, wenn entweder wir Würtenberger allein oder in Gemeinschaft mit Baiern ein schutzzöllnerisches Musterreich der Mitte gründeten und solches mit einer chinesischen Mauer umgaben. Darauf erwiderte der Minister des Auswärtigen, Freiherr von Varn- büler: „Der Abgeordnete für Aalen ist in politischen Dingen nicht außer¬ ordentlich conservativ, aber in wirthschaftlichen Dingen kommt er allemal in eine große Bewegung, wenn es sich darum handelt, etwas Neues in das Leben zu rufen; — und in dieser Hinsicht wenigstens ist er sich seit vierunddreißig Jahren consequent geblieben. Denn denselben Angstruf, den er heute ausstößt, dieselben schwarzen Prophezeiungen, die er jetzt vor¬ bringt, konnte man schon im Jahre 1833 von ihm hören, als es sich um Grenzboten I. 18L8. 9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/65>, abgerufen am 02.10.2024.