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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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machen und noch immer für Fremdlinge des "Salons" gelten, aus welchem
das deutsche Volk seine politische Parole zu holen gewohnt ist. Ernst Fried¬
rich Herbert Graf zu Münster, dessen an Georg IV. gerichtete Depeschen
über den Wiener Congreß die Veranlassung zur Herausgabe der politischen
Skizzen seines Sohnes gegeben haben, ist eine in der Geschichte der Restau¬
rationszeit viel genannte Person, gewissermaßen der Prototyp kleinstaatlich-
liberaler Minister. Im Gedächtniß ist die mit Furcht gepaarte Abneigung
jenes Staatsmannes gegen die preußische Hegemonie, aber vergessen sind
die gelegentlichen Anläufe, welche derselbe nahm, um die ständischen
Rechte gegen den Absolutismus großer und kleiner Dynasten sicher zu stellen,
so daß man nur noch im Lande der Weisen von jener seitdem oft wieder¬
holten Frage etwas weiß, welche der hannöversche Premier dem Fürsten
Metternich vorlegte: "Muß man denn Absolutist werden, um das monarchische
Prinzip aufrecht zu erhalten?" Daß zwischen den Anschauungen des Mannes,
der in dem Gegensatz zwischen Antichambre und Salon den eigentlichen
Kampf der Zeit sah, und denen der Vorläufer des deutschen Constitutiona"
lismus kaum eine Verbindung bestand, war natürlich genug; Graf Münster,
der selbst den Hochtories vom Schlage Castlereagh's für einen Ultra galt,
begnügte sich mit einer avancirten Stellung im reactionären Lager, schon
seine Hingabe an die specifisch welfische Sache schloß ihn von den Kreisen
aus, in welchen nach den Grundlagen des deutschen Staats gestrebt wurde,
den erst sein Sohn erleben sollte. Die geistreiche Theorie von der Solida¬
rität zwischen kleinstaatlichen und freiheitlichen Interessen, welche die Aller¬
neusten unter unsern Radikalen ausfindig gemacht haben, war damals noch
nicht erfunden, ein Zweiherrendienst dieser Art kaum möglich; die weiland
"Demagogen" bemaßen den Patriotismus der Fürsten und Staatsmänner
ihrer Zeit ebenso nach den Opfern, welche dieselben dem deutschen Gesammt-
interesse brachten, wie nach den Zugeständnissen an die Unterthanen; die
liberale Rolle der Beust und Pfordten ist dem Grafen Münster ebenso er¬
spart geblieben, wie die Popularität derselben. Erst die metternichschen Klagen
über die freisinnigen Staatsmänner Preußens veränderten die Stellung der
kleinstaatlichen Minister zu inneren Fragen, und wo diese anfangen, hören
die münsterschen Depeschen, so weit sie in der vorliegenden Sammlung ent¬
halten sind, auf. "I^g Z6Sir as ig, ?t'U8SL, <Zö 8'g.Zranäir en ^IlöMÄANö et
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ist das Hauptthema der Klagen, welche der "echt deutsche" Staatsmann seinem
englischen Fürsten zu berichten hat. Von der eigentlichen Wurzel aller der Uebel,
welche die deutsche Sache auf dem wiener Congreß trafen, der dominirenden
Stellung, die Talleyrand's unvergleichliches Geschick gegenüber den ver¬
bündeten Großmächten zu erobern wußte -- (vergl. v. Bernhardy, Geschichte


machen und noch immer für Fremdlinge des „Salons" gelten, aus welchem
das deutsche Volk seine politische Parole zu holen gewohnt ist. Ernst Fried¬
rich Herbert Graf zu Münster, dessen an Georg IV. gerichtete Depeschen
über den Wiener Congreß die Veranlassung zur Herausgabe der politischen
Skizzen seines Sohnes gegeben haben, ist eine in der Geschichte der Restau¬
rationszeit viel genannte Person, gewissermaßen der Prototyp kleinstaatlich-
liberaler Minister. Im Gedächtniß ist die mit Furcht gepaarte Abneigung
jenes Staatsmannes gegen die preußische Hegemonie, aber vergessen sind
die gelegentlichen Anläufe, welche derselbe nahm, um die ständischen
Rechte gegen den Absolutismus großer und kleiner Dynasten sicher zu stellen,
so daß man nur noch im Lande der Weisen von jener seitdem oft wieder¬
holten Frage etwas weiß, welche der hannöversche Premier dem Fürsten
Metternich vorlegte: „Muß man denn Absolutist werden, um das monarchische
Prinzip aufrecht zu erhalten?" Daß zwischen den Anschauungen des Mannes,
der in dem Gegensatz zwischen Antichambre und Salon den eigentlichen
Kampf der Zeit sah, und denen der Vorläufer des deutschen Constitutiona«
lismus kaum eine Verbindung bestand, war natürlich genug; Graf Münster,
der selbst den Hochtories vom Schlage Castlereagh's für einen Ultra galt,
begnügte sich mit einer avancirten Stellung im reactionären Lager, schon
seine Hingabe an die specifisch welfische Sache schloß ihn von den Kreisen
aus, in welchen nach den Grundlagen des deutschen Staats gestrebt wurde,
den erst sein Sohn erleben sollte. Die geistreiche Theorie von der Solida¬
rität zwischen kleinstaatlichen und freiheitlichen Interessen, welche die Aller¬
neusten unter unsern Radikalen ausfindig gemacht haben, war damals noch
nicht erfunden, ein Zweiherrendienst dieser Art kaum möglich; die weiland
„Demagogen" bemaßen den Patriotismus der Fürsten und Staatsmänner
ihrer Zeit ebenso nach den Opfern, welche dieselben dem deutschen Gesammt-
interesse brachten, wie nach den Zugeständnissen an die Unterthanen; die
liberale Rolle der Beust und Pfordten ist dem Grafen Münster ebenso er¬
spart geblieben, wie die Popularität derselben. Erst die metternichschen Klagen
über die freisinnigen Staatsmänner Preußens veränderten die Stellung der
kleinstaatlichen Minister zu inneren Fragen, und wo diese anfangen, hören
die münsterschen Depeschen, so weit sie in der vorliegenden Sammlung ent¬
halten sind, auf. „I^g Z6Sir as ig, ?t'U8SL, <Zö 8'g.Zranäir en ^IlöMÄANö et
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ist das Hauptthema der Klagen, welche der „echt deutsche" Staatsmann seinem
englischen Fürsten zu berichten hat. Von der eigentlichen Wurzel aller der Uebel,
welche die deutsche Sache auf dem wiener Congreß trafen, der dominirenden
Stellung, die Talleyrand's unvergleichliches Geschick gegenüber den ver¬
bündeten Großmächten zu erobern wußte — (vergl. v. Bernhardy, Geschichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/53>, abgerufen am 22.07.2024.