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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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dem Wohlhabenden allein zukamen, dadurch ist die Production zunächst
massenhaft und schmucklos geworden. Aber auch den Gebildeten, und den
Künstlern ist der alte Formensinn beeinträchtigt, und es sieht fast so aus,
als hätte überhaupt die Empfänglichkeit des Auges und die Freude an
schöner Darstellung in den Völkern germanischer Rasse seit den letzten Jahr¬
hunderten eine Verminderung erfahren. Unser Leben ist weit innerlicher ge¬
worden; während in Sprache und Poesie der Ausdruck feiner und edler
Empfindung weit ergreifender ward, hat sich der Sinn" für stattliche Er¬
scheinung, würdige Repräsentation, für bunte Aufzüge, dramatische Feste,
prächtige Kleidung seit der Rococeozeit fast verloren, und wir scheinen
auch nach dieser Richtung nur langsam wieder zu gewinnen, was unsere
Borfahren besaßen. Verhängnißvoll war ferner, daß unsere gelehrte Cultur
und die unermeßliche Steigerung des internationalen Verkehrs fast plötz¬
lich sehr verschiedene Kunstformen und technische Erfindungen unserem
Leben nahe gestellt hat, so daß der Einfluß des Fremden, das uns nahe
trat, übermächtig geworden ist. Altasiatische, egyptische, hellenische, rö¬
mische Kunst, romanisches Mittelalter, germanischer und maurischer Stil,
ältere und spätere Renaissance und Rocoeco werden in ihrer Eigenthüm¬
lichkeit verständig genossen, alles Originelle, Zierliche, Schöne, was durch
die fremdartigen Culturen asiatischer Völker gewebt, gehämmert, gemalt,
lackirt ist, wird auf unsere Märkte geworfen. Es ist ein Ueberfluß an frem¬
der Habe, es ist wie eine Betäubung der Schaffenden und des Publicums.
Dazu kommt, daß der moderne Fortschritt in den bildenden Künsten vom
gelehrten Studium der Antike und der italienischen Kunst am Ende des
Mittelalters ausging; die Vorbilder und Ideale unserer Maler und Bild¬
hauer stammen aus entfernter Zeit, der Zugang zur Kunst verlangt eine
besondere Zucht und Bildung, welche noch mühsam erworben wird, und ihrer
technischen Kunstgriffe noch gar nicht sicher ist; der Künstler fühlt sich als
Besitzer dieser Geheimnisse im stolzen Gegensatz zum Handwerker; unsere
Kunstliebhaber und vor Allem die Kunstvereine haben den Ehrgeiz der Schaf'
senden fast ausschließlich auf Staffeleibilder, Fresken und antikisirende SW'
euer, auf die höchsten Aufgaben der Kunst gerichtet, sie haben fast alle
kleinern Talente zu einem Künstlerproletariat vereinigt, welches vergebens
danach ringt, in freien Kunstschöpfungen die Ideale einer entfernten Ver¬
gangenheit wieder lebendig zu machen und mit den Bedürfnissen unseres Ge<
müthes zu versöhnen. Dadurch sind viele hundert begabte Männer zu studi'
renden Don Quichote's der Kunst geworden, denen weit lohnendere Aufgabe
wäre, in die begrenzten Kreise des Handwerks schöne Erfindungen zu leiten-

Diese und andere Uebelstände fühlen wir schmerzlich; unser Handwerk
gilt für gemein und trivial. Und dieser Fluch, der Mangel an Kunstver-


dem Wohlhabenden allein zukamen, dadurch ist die Production zunächst
massenhaft und schmucklos geworden. Aber auch den Gebildeten, und den
Künstlern ist der alte Formensinn beeinträchtigt, und es sieht fast so aus,
als hätte überhaupt die Empfänglichkeit des Auges und die Freude an
schöner Darstellung in den Völkern germanischer Rasse seit den letzten Jahr¬
hunderten eine Verminderung erfahren. Unser Leben ist weit innerlicher ge¬
worden; während in Sprache und Poesie der Ausdruck feiner und edler
Empfindung weit ergreifender ward, hat sich der Sinn" für stattliche Er¬
scheinung, würdige Repräsentation, für bunte Aufzüge, dramatische Feste,
prächtige Kleidung seit der Rococeozeit fast verloren, und wir scheinen
auch nach dieser Richtung nur langsam wieder zu gewinnen, was unsere
Borfahren besaßen. Verhängnißvoll war ferner, daß unsere gelehrte Cultur
und die unermeßliche Steigerung des internationalen Verkehrs fast plötz¬
lich sehr verschiedene Kunstformen und technische Erfindungen unserem
Leben nahe gestellt hat, so daß der Einfluß des Fremden, das uns nahe
trat, übermächtig geworden ist. Altasiatische, egyptische, hellenische, rö¬
mische Kunst, romanisches Mittelalter, germanischer und maurischer Stil,
ältere und spätere Renaissance und Rocoeco werden in ihrer Eigenthüm¬
lichkeit verständig genossen, alles Originelle, Zierliche, Schöne, was durch
die fremdartigen Culturen asiatischer Völker gewebt, gehämmert, gemalt,
lackirt ist, wird auf unsere Märkte geworfen. Es ist ein Ueberfluß an frem¬
der Habe, es ist wie eine Betäubung der Schaffenden und des Publicums.
Dazu kommt, daß der moderne Fortschritt in den bildenden Künsten vom
gelehrten Studium der Antike und der italienischen Kunst am Ende des
Mittelalters ausging; die Vorbilder und Ideale unserer Maler und Bild¬
hauer stammen aus entfernter Zeit, der Zugang zur Kunst verlangt eine
besondere Zucht und Bildung, welche noch mühsam erworben wird, und ihrer
technischen Kunstgriffe noch gar nicht sicher ist; der Künstler fühlt sich als
Besitzer dieser Geheimnisse im stolzen Gegensatz zum Handwerker; unsere
Kunstliebhaber und vor Allem die Kunstvereine haben den Ehrgeiz der Schaf'
senden fast ausschließlich auf Staffeleibilder, Fresken und antikisirende SW'
euer, auf die höchsten Aufgaben der Kunst gerichtet, sie haben fast alle
kleinern Talente zu einem Künstlerproletariat vereinigt, welches vergebens
danach ringt, in freien Kunstschöpfungen die Ideale einer entfernten Ver¬
gangenheit wieder lebendig zu machen und mit den Bedürfnissen unseres Ge<
müthes zu versöhnen. Dadurch sind viele hundert begabte Männer zu studi'
renden Don Quichote's der Kunst geworden, denen weit lohnendere Aufgabe
wäre, in die begrenzten Kreise des Handwerks schöne Erfindungen zu leiten-

Diese und andere Uebelstände fühlen wir schmerzlich; unser Handwerk
gilt für gemein und trivial. Und dieser Fluch, der Mangel an Kunstver-


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[0524] dem Wohlhabenden allein zukamen, dadurch ist die Production zunächst massenhaft und schmucklos geworden. Aber auch den Gebildeten, und den Künstlern ist der alte Formensinn beeinträchtigt, und es sieht fast so aus, als hätte überhaupt die Empfänglichkeit des Auges und die Freude an schöner Darstellung in den Völkern germanischer Rasse seit den letzten Jahr¬ hunderten eine Verminderung erfahren. Unser Leben ist weit innerlicher ge¬ worden; während in Sprache und Poesie der Ausdruck feiner und edler Empfindung weit ergreifender ward, hat sich der Sinn" für stattliche Er¬ scheinung, würdige Repräsentation, für bunte Aufzüge, dramatische Feste, prächtige Kleidung seit der Rococeozeit fast verloren, und wir scheinen auch nach dieser Richtung nur langsam wieder zu gewinnen, was unsere Borfahren besaßen. Verhängnißvoll war ferner, daß unsere gelehrte Cultur und die unermeßliche Steigerung des internationalen Verkehrs fast plötz¬ lich sehr verschiedene Kunstformen und technische Erfindungen unserem Leben nahe gestellt hat, so daß der Einfluß des Fremden, das uns nahe trat, übermächtig geworden ist. Altasiatische, egyptische, hellenische, rö¬ mische Kunst, romanisches Mittelalter, germanischer und maurischer Stil, ältere und spätere Renaissance und Rocoeco werden in ihrer Eigenthüm¬ lichkeit verständig genossen, alles Originelle, Zierliche, Schöne, was durch die fremdartigen Culturen asiatischer Völker gewebt, gehämmert, gemalt, lackirt ist, wird auf unsere Märkte geworfen. Es ist ein Ueberfluß an frem¬ der Habe, es ist wie eine Betäubung der Schaffenden und des Publicums. Dazu kommt, daß der moderne Fortschritt in den bildenden Künsten vom gelehrten Studium der Antike und der italienischen Kunst am Ende des Mittelalters ausging; die Vorbilder und Ideale unserer Maler und Bild¬ hauer stammen aus entfernter Zeit, der Zugang zur Kunst verlangt eine besondere Zucht und Bildung, welche noch mühsam erworben wird, und ihrer technischen Kunstgriffe noch gar nicht sicher ist; der Künstler fühlt sich als Besitzer dieser Geheimnisse im stolzen Gegensatz zum Handwerker; unsere Kunstliebhaber und vor Allem die Kunstvereine haben den Ehrgeiz der Schaf' senden fast ausschließlich auf Staffeleibilder, Fresken und antikisirende SW' euer, auf die höchsten Aufgaben der Kunst gerichtet, sie haben fast alle kleinern Talente zu einem Künstlerproletariat vereinigt, welches vergebens danach ringt, in freien Kunstschöpfungen die Ideale einer entfernten Ver¬ gangenheit wieder lebendig zu machen und mit den Bedürfnissen unseres Ge< müthes zu versöhnen. Dadurch sind viele hundert begabte Männer zu studi' renden Don Quichote's der Kunst geworden, denen weit lohnendere Aufgabe wäre, in die begrenzten Kreise des Handwerks schöne Erfindungen zu leiten- Diese und andere Uebelstände fühlen wir schmerzlich; unser Handwerk gilt für gemein und trivial. Und dieser Fluch, der Mangel an Kunstver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/524>, abgerufen am 02.10.2024.