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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Zweckmäßigkeit der Maßregel gegen den Grafen Bismarck poliren, obwohl
er aus ihren Reihen als ihr entschiedener Parteigänger hervorgegangen, und
nach seiner Angabe viele seiner momentanen Gegner ausdrücklich zu seiner
Unterstützung gewählt sind. Es ist auch wohl noch etwas voreilig, schon
jetzt zu prophezeien, daß diese "Angelegenheit für das Verhältniß des Mini-
steriums zu den Konservativen entscheidend geworden", oder sich "durch die
Thatsache der Zersetzung der conservativen Partei zu trösten". Es würde,
darin kann man Ihrem Correspondenten gewiß beitreten, von beiden Seiten
eine mehr als leichtfertige Behandlung solcher schwerwiegenden Beziehungen
verrathen -- eine Behandlung, welche am wenigsten von der folgerichtigen
Beharrlichkeit des Ministerpräsidenten sich voraussetzen läßt -- wenn eine
einmalige Meinungsverschiedenheit ausreichen sollte, "Verbindungen von so
langjähriger Dauer zu lösen, wie es die zwischen dem Grafen Bismarck und
den Eonservativen sind". --

Andererseits zählt die nationalliberale Partei zu viele staatskluge und
besonnene Elemente, als daß sie in Folge des sür das Ministerium -- nach
Anwendung der außerordentlichsten Kraftanstrengungen -- erfolgreichen Aus¬
gangs dieser Angelegenheit ihre demselben günstige Stellung modificiren,
oder den 21 Mitgliedern. welche unter einem so hervorragenden Führer wie
Tochter von der Majorität abfielen, es dauernd verübeln sollte, daß ihnen
ihre Ansicht von der Recht- und Zweckmäßigkeitsfrage, wie die Rücksicht
auf das Interesse und die Stimmung der 8 alten Provinzen höher stand,
als eine vorübergehende Popularität der einigen 30 Gesinnungsgenossen aus
Hannover und der phantasiereiche Ausblick auf den zukünftigen deutschen
Staat. --

Dieser deutsche Staat der Zukunft -- hoffentlich ein Einheitsstaat im
engsten Anschlusse an den bewährten Kern altpreußischen Wesens -- er wird
-- das erlaube ich mir nochmals zu betonen -- sich nur bilden und im
Segen erhalten bleiben, wenn er von Haus aus gegründet wird auf Gerech¬
tigkeit gegen die einzelnen Theile wie gegen das große Ganze; wenn alle
berechtigten Eigenthümlichkeiten der Provinzen geschont und gepflegt wer¬
den, soweit sie die Action des Ganzen nicht lähmen. soweit sie nicht Sonder¬
rechte beanspruchen, welche andern Provinzen vorenthalten bleiben; wenn
jeder Provinz das Maß von Selbstverwaltung ihrer eignen nicht blos, --
sondern auch der allgemeinen Staatszwecke im Namen des Staates -- ge¬
währt wird, was sie mit eigenen Kräften selbständig wahrzunehmen vermag:
wenn aber auch alle Theile des großen Ganzen stets eingedenk bleiben, daß
sie nicht auf Kosten desselben sich zu überheben, daß sie auch theure Inter¬
essen da aufzugeben haben, wo sie mit gleichberechtigten des Ganzen oder
anderer Theile collidiren.


Zweckmäßigkeit der Maßregel gegen den Grafen Bismarck poliren, obwohl
er aus ihren Reihen als ihr entschiedener Parteigänger hervorgegangen, und
nach seiner Angabe viele seiner momentanen Gegner ausdrücklich zu seiner
Unterstützung gewählt sind. Es ist auch wohl noch etwas voreilig, schon
jetzt zu prophezeien, daß diese „Angelegenheit für das Verhältniß des Mini-
steriums zu den Konservativen entscheidend geworden", oder sich „durch die
Thatsache der Zersetzung der conservativen Partei zu trösten". Es würde,
darin kann man Ihrem Correspondenten gewiß beitreten, von beiden Seiten
eine mehr als leichtfertige Behandlung solcher schwerwiegenden Beziehungen
verrathen — eine Behandlung, welche am wenigsten von der folgerichtigen
Beharrlichkeit des Ministerpräsidenten sich voraussetzen läßt — wenn eine
einmalige Meinungsverschiedenheit ausreichen sollte, „Verbindungen von so
langjähriger Dauer zu lösen, wie es die zwischen dem Grafen Bismarck und
den Eonservativen sind". —

Andererseits zählt die nationalliberale Partei zu viele staatskluge und
besonnene Elemente, als daß sie in Folge des sür das Ministerium — nach
Anwendung der außerordentlichsten Kraftanstrengungen — erfolgreichen Aus¬
gangs dieser Angelegenheit ihre demselben günstige Stellung modificiren,
oder den 21 Mitgliedern. welche unter einem so hervorragenden Führer wie
Tochter von der Majorität abfielen, es dauernd verübeln sollte, daß ihnen
ihre Ansicht von der Recht- und Zweckmäßigkeitsfrage, wie die Rücksicht
auf das Interesse und die Stimmung der 8 alten Provinzen höher stand,
als eine vorübergehende Popularität der einigen 30 Gesinnungsgenossen aus
Hannover und der phantasiereiche Ausblick auf den zukünftigen deutschen
Staat. —

Dieser deutsche Staat der Zukunft — hoffentlich ein Einheitsstaat im
engsten Anschlusse an den bewährten Kern altpreußischen Wesens — er wird
— das erlaube ich mir nochmals zu betonen — sich nur bilden und im
Segen erhalten bleiben, wenn er von Haus aus gegründet wird auf Gerech¬
tigkeit gegen die einzelnen Theile wie gegen das große Ganze; wenn alle
berechtigten Eigenthümlichkeiten der Provinzen geschont und gepflegt wer¬
den, soweit sie die Action des Ganzen nicht lähmen. soweit sie nicht Sonder¬
rechte beanspruchen, welche andern Provinzen vorenthalten bleiben; wenn
jeder Provinz das Maß von Selbstverwaltung ihrer eignen nicht blos, —
sondern auch der allgemeinen Staatszwecke im Namen des Staates — ge¬
währt wird, was sie mit eigenen Kräften selbständig wahrzunehmen vermag:
wenn aber auch alle Theile des großen Ganzen stets eingedenk bleiben, daß
sie nicht auf Kosten desselben sich zu überheben, daß sie auch theure Inter¬
essen da aufzugeben haben, wo sie mit gleichberechtigten des Ganzen oder
anderer Theile collidiren.


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[0519] Zweckmäßigkeit der Maßregel gegen den Grafen Bismarck poliren, obwohl er aus ihren Reihen als ihr entschiedener Parteigänger hervorgegangen, und nach seiner Angabe viele seiner momentanen Gegner ausdrücklich zu seiner Unterstützung gewählt sind. Es ist auch wohl noch etwas voreilig, schon jetzt zu prophezeien, daß diese „Angelegenheit für das Verhältniß des Mini- steriums zu den Konservativen entscheidend geworden", oder sich „durch die Thatsache der Zersetzung der conservativen Partei zu trösten". Es würde, darin kann man Ihrem Correspondenten gewiß beitreten, von beiden Seiten eine mehr als leichtfertige Behandlung solcher schwerwiegenden Beziehungen verrathen — eine Behandlung, welche am wenigsten von der folgerichtigen Beharrlichkeit des Ministerpräsidenten sich voraussetzen läßt — wenn eine einmalige Meinungsverschiedenheit ausreichen sollte, „Verbindungen von so langjähriger Dauer zu lösen, wie es die zwischen dem Grafen Bismarck und den Eonservativen sind". — Andererseits zählt die nationalliberale Partei zu viele staatskluge und besonnene Elemente, als daß sie in Folge des sür das Ministerium — nach Anwendung der außerordentlichsten Kraftanstrengungen — erfolgreichen Aus¬ gangs dieser Angelegenheit ihre demselben günstige Stellung modificiren, oder den 21 Mitgliedern. welche unter einem so hervorragenden Führer wie Tochter von der Majorität abfielen, es dauernd verübeln sollte, daß ihnen ihre Ansicht von der Recht- und Zweckmäßigkeitsfrage, wie die Rücksicht auf das Interesse und die Stimmung der 8 alten Provinzen höher stand, als eine vorübergehende Popularität der einigen 30 Gesinnungsgenossen aus Hannover und der phantasiereiche Ausblick auf den zukünftigen deutschen Staat. — Dieser deutsche Staat der Zukunft — hoffentlich ein Einheitsstaat im engsten Anschlusse an den bewährten Kern altpreußischen Wesens — er wird — das erlaube ich mir nochmals zu betonen — sich nur bilden und im Segen erhalten bleiben, wenn er von Haus aus gegründet wird auf Gerech¬ tigkeit gegen die einzelnen Theile wie gegen das große Ganze; wenn alle berechtigten Eigenthümlichkeiten der Provinzen geschont und gepflegt wer¬ den, soweit sie die Action des Ganzen nicht lähmen. soweit sie nicht Sonder¬ rechte beanspruchen, welche andern Provinzen vorenthalten bleiben; wenn jeder Provinz das Maß von Selbstverwaltung ihrer eignen nicht blos, — sondern auch der allgemeinen Staatszwecke im Namen des Staates — ge¬ währt wird, was sie mit eigenen Kräften selbständig wahrzunehmen vermag: wenn aber auch alle Theile des großen Ganzen stets eingedenk bleiben, daß sie nicht auf Kosten desselben sich zu überheben, daß sie auch theure Inter¬ essen da aufzugeben haben, wo sie mit gleichberechtigten des Ganzen oder anderer Theile collidiren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/519>, abgerufen am 24.08.2024.