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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ders tiefgehendem und nachhaltigem Werthe für das Zusammenwachsen der
lose verbundenen Glieder der Nation. Die nationale Parteibildung stieß
ebenfalls auf unüberschreitbare Grenzen. wo das specifisch politische Interesse
und Pathos in dem Menschen aufhörte. Die Eisenbahnen aber, welche all¬
gemein deutsche Congresse und Nationalfeste, welche die Entstehung wirklich
nationaler Parteien überall erst möglich machten, hatten auch zu der großen
negativen That des Zollvereins, der Entfernung der innern Verkehrs¬
schranken, die positive Ergänzung eines' regen, dichten, massenhaften, Be¬
hagen und Wohlstand ausströmenden Waarenaustausches gefügt. So unent¬
behrlich auch der durch sie vermittelte Personenverkehr für die Gestaltung
und den Sieg der nationalen Ideen gewesen war, noch wichtiger war doch
ihr Güterverkehr, weil er der Einheitsforderung die beste Stütze erworbener
Rechte, ausgebildete Interessen unterschob. Der Locomotive auf der eisernen
Schiene verdanken es die Zeitgenossen, daß sie den Tag der Erfüllung ihrer
patriotischen Wünsche und Hoffnungen noch selbst erlebt haben. Sie ver¬
setzte dieselben aus dem Reich der Freiheit und Wahl in das Reich der
Nothwendigkeit; sie vor allem bereitete den Sieg vor; sie führte auch das
preußische Heer in einer solchen Naschheit und Geschlossenheit auf die Wahl¬
statt der Entscheidung, daß seine technische und moralische Ueberlegenheit sich
binnen kürzester Frist entfalten konnte. Wie es natürlich ist, nehmen die
idealen Factoren auf der Bühne des öffentlichen Lebens den Vordergrund
ein; Ideen, Stimmungen, Leidenschaften scheinen dem oberflächlichen Beobach¬
ter alles zu sein. In der breiten Tiefe der Bühne aber wirken inzwischen
unausgesetzt die materiellen Interessen, deren Spiel wohl verdunkelt, vorüber¬
gehend zurückgedrängt, aber niemals dauernd unwirksam gemacht werden
konnte durch den Aufschwung edler und unedler Leidenschaften.

Wir haben deshalb nicht zu bedauern, daß die parlamentarische Wieder¬
vereinigung von ganz Deutschland sich zuerst auf diesem festesten aller Funda¬
mente erheben soll. Es ist schmal, aber es ist über allen Vergleich solide
und zuverlässig. Darum will auf ihm jeder, auch der feindlichste Bundes¬
genosse, seine Füße haben. Ueber Militärausgaben und andere verfassungs¬
mäßige Beschäftigungen des norddeutschen Reichstags möchten Süd- und
norddeutsche. Föderalisten und Unitarier leicht unheilvoll auseinanderfahren,
in den Zollfragen werden sie sich gewöhnen, miteinander auszukommen. Es
wohnt den letzteren eine heilsame Nüchternheit inne; ihre Wichtigkeit ist frei
von aller Beimengung politischen Parteiinteresses; sie verlangen endlich ernst¬
haftes Studium, und dieses ist der Erhaltung des Fanatismus niemals günstig
gewesen.

Das alles hat sich schon auf einer Art von Vorparlament ergeben, wel¬
ches ohne die Prätension, ein solches zu sein, gegen Ende Februar in Berlin


ders tiefgehendem und nachhaltigem Werthe für das Zusammenwachsen der
lose verbundenen Glieder der Nation. Die nationale Parteibildung stieß
ebenfalls auf unüberschreitbare Grenzen. wo das specifisch politische Interesse
und Pathos in dem Menschen aufhörte. Die Eisenbahnen aber, welche all¬
gemein deutsche Congresse und Nationalfeste, welche die Entstehung wirklich
nationaler Parteien überall erst möglich machten, hatten auch zu der großen
negativen That des Zollvereins, der Entfernung der innern Verkehrs¬
schranken, die positive Ergänzung eines' regen, dichten, massenhaften, Be¬
hagen und Wohlstand ausströmenden Waarenaustausches gefügt. So unent¬
behrlich auch der durch sie vermittelte Personenverkehr für die Gestaltung
und den Sieg der nationalen Ideen gewesen war, noch wichtiger war doch
ihr Güterverkehr, weil er der Einheitsforderung die beste Stütze erworbener
Rechte, ausgebildete Interessen unterschob. Der Locomotive auf der eisernen
Schiene verdanken es die Zeitgenossen, daß sie den Tag der Erfüllung ihrer
patriotischen Wünsche und Hoffnungen noch selbst erlebt haben. Sie ver¬
setzte dieselben aus dem Reich der Freiheit und Wahl in das Reich der
Nothwendigkeit; sie vor allem bereitete den Sieg vor; sie führte auch das
preußische Heer in einer solchen Naschheit und Geschlossenheit auf die Wahl¬
statt der Entscheidung, daß seine technische und moralische Ueberlegenheit sich
binnen kürzester Frist entfalten konnte. Wie es natürlich ist, nehmen die
idealen Factoren auf der Bühne des öffentlichen Lebens den Vordergrund
ein; Ideen, Stimmungen, Leidenschaften scheinen dem oberflächlichen Beobach¬
ter alles zu sein. In der breiten Tiefe der Bühne aber wirken inzwischen
unausgesetzt die materiellen Interessen, deren Spiel wohl verdunkelt, vorüber¬
gehend zurückgedrängt, aber niemals dauernd unwirksam gemacht werden
konnte durch den Aufschwung edler und unedler Leidenschaften.

Wir haben deshalb nicht zu bedauern, daß die parlamentarische Wieder¬
vereinigung von ganz Deutschland sich zuerst auf diesem festesten aller Funda¬
mente erheben soll. Es ist schmal, aber es ist über allen Vergleich solide
und zuverlässig. Darum will auf ihm jeder, auch der feindlichste Bundes¬
genosse, seine Füße haben. Ueber Militärausgaben und andere verfassungs¬
mäßige Beschäftigungen des norddeutschen Reichstags möchten Süd- und
norddeutsche. Föderalisten und Unitarier leicht unheilvoll auseinanderfahren,
in den Zollfragen werden sie sich gewöhnen, miteinander auszukommen. Es
wohnt den letzteren eine heilsame Nüchternheit inne; ihre Wichtigkeit ist frei
von aller Beimengung politischen Parteiinteresses; sie verlangen endlich ernst¬
haftes Studium, und dieses ist der Erhaltung des Fanatismus niemals günstig
gewesen.

Das alles hat sich schon auf einer Art von Vorparlament ergeben, wel¬
ches ohne die Prätension, ein solches zu sein, gegen Ende Februar in Berlin


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[0504] ders tiefgehendem und nachhaltigem Werthe für das Zusammenwachsen der lose verbundenen Glieder der Nation. Die nationale Parteibildung stieß ebenfalls auf unüberschreitbare Grenzen. wo das specifisch politische Interesse und Pathos in dem Menschen aufhörte. Die Eisenbahnen aber, welche all¬ gemein deutsche Congresse und Nationalfeste, welche die Entstehung wirklich nationaler Parteien überall erst möglich machten, hatten auch zu der großen negativen That des Zollvereins, der Entfernung der innern Verkehrs¬ schranken, die positive Ergänzung eines' regen, dichten, massenhaften, Be¬ hagen und Wohlstand ausströmenden Waarenaustausches gefügt. So unent¬ behrlich auch der durch sie vermittelte Personenverkehr für die Gestaltung und den Sieg der nationalen Ideen gewesen war, noch wichtiger war doch ihr Güterverkehr, weil er der Einheitsforderung die beste Stütze erworbener Rechte, ausgebildete Interessen unterschob. Der Locomotive auf der eisernen Schiene verdanken es die Zeitgenossen, daß sie den Tag der Erfüllung ihrer patriotischen Wünsche und Hoffnungen noch selbst erlebt haben. Sie ver¬ setzte dieselben aus dem Reich der Freiheit und Wahl in das Reich der Nothwendigkeit; sie vor allem bereitete den Sieg vor; sie führte auch das preußische Heer in einer solchen Naschheit und Geschlossenheit auf die Wahl¬ statt der Entscheidung, daß seine technische und moralische Ueberlegenheit sich binnen kürzester Frist entfalten konnte. Wie es natürlich ist, nehmen die idealen Factoren auf der Bühne des öffentlichen Lebens den Vordergrund ein; Ideen, Stimmungen, Leidenschaften scheinen dem oberflächlichen Beobach¬ ter alles zu sein. In der breiten Tiefe der Bühne aber wirken inzwischen unausgesetzt die materiellen Interessen, deren Spiel wohl verdunkelt, vorüber¬ gehend zurückgedrängt, aber niemals dauernd unwirksam gemacht werden konnte durch den Aufschwung edler und unedler Leidenschaften. Wir haben deshalb nicht zu bedauern, daß die parlamentarische Wieder¬ vereinigung von ganz Deutschland sich zuerst auf diesem festesten aller Funda¬ mente erheben soll. Es ist schmal, aber es ist über allen Vergleich solide und zuverlässig. Darum will auf ihm jeder, auch der feindlichste Bundes¬ genosse, seine Füße haben. Ueber Militärausgaben und andere verfassungs¬ mäßige Beschäftigungen des norddeutschen Reichstags möchten Süd- und norddeutsche. Föderalisten und Unitarier leicht unheilvoll auseinanderfahren, in den Zollfragen werden sie sich gewöhnen, miteinander auszukommen. Es wohnt den letzteren eine heilsame Nüchternheit inne; ihre Wichtigkeit ist frei von aller Beimengung politischen Parteiinteresses; sie verlangen endlich ernst¬ haftes Studium, und dieses ist der Erhaltung des Fanatismus niemals günstig gewesen. Das alles hat sich schon auf einer Art von Vorparlament ergeben, wel¬ ches ohne die Prätension, ein solches zu sein, gegen Ende Februar in Berlin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/504>, abgerufen am 01.07.2024.