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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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glaubte. Aber beim Eintritt in die Stadt sollte er gewahr werden, wie ein
A°B-C-schütze mit seinem Beanus seinen Einzug hielt. Nachdem dieser durch
Erzählungen von den Herrlichkeiten Nürnbergs seine Erwartungen aufs
höchste gespannt hatte, sagte er zu ihm: "Weil du noch nie hier warst, mußt
du dir das Gesicht mit Straßenkoth beschmieren lassen, und dann gehst du
hinter mir her und unterstehst dich nicht, dich umzusehen oder mit offenem
Maul die hohen Häuser anzugaffen; wenn ich in den Straßen auf dich war¬
ten muß, gibts im Wirthshaus jämmerliche Schläge." Mit unterdrückten
Thränen schlich Hans hinter ihm drein und kaum waren sie in der Stadt, so
stürzten aus den Häusern die Schüler hinter ihnen her, machten ihm Esels
ohren und verfolgten ihn mit Schimpfen und Spotten bis zur Herberge, wo
sie hörten, daß er als Schüler dort bleiben werde. Aber der Beanus fand
bei näherer Nachfrage, daß hier noch zuviel Verkehr mit Miltenberg sei, sein
Schüler konnte leicht Nachricht nach Hause gelangen lassen, oder auch wohl
Gesellschaft zur Heimreise finden. Unter dem Vorwande, daß Nürnberg mit
Studirenden überfüllt sei, wurde wieder aufgebrochen, um einen freien Platz
in einer Burse*) aufzufinden. Ueber Forchheim, das mit Recht den Ruhm
seines weißen Brodes, mit Unrecht, wie Johannes kritisch bemerkt, den, die
Vaterstadt des Pilatus zu sein, in Anspruch nahm, kamen sie nach Bam-
berg, welches ihm außerordentlich gefiel und durch eingerückte Verse aus
Gotfrieds Chronik gepriesen wich. Im allgemeinen Armenhospital fanden
sie zwar gute Aufnahme, aber der Rector Gymnasii verweigerte ihnen wegen
der großen Zahl der Scholastici die Aufnahme und so ging es denn aus
demselben Wege wieder nach Nürnberg zurück. Auf Johannes machte Nürn¬
berg mit seiner Burg, seinen Reliquien und Reichsinsignien, seinem Verkehr
mit reichen Handelsleuten aus fernen Ländern von Venedig bis Antwerpen
den mächtigen Eindruck einer Weltstadt, wie sie Dr. Hartmann Schedel in
seiner schönen Cronica beschreibe, dessen Angaben er aus eigner Anschauung
bestätigt. Indessen war auch jetzt seines Bleibens dort nicht; sein Beanus,
dem es ums Studiren gar nicht zu thun war, machte sich mit ihm wieder
auf die Suche nach einer passenden Burse und zog als echter Bachant**)
mit seinem Schützen in Baiern umher. Dies müßige Vagiren war es, was
ihm behagte, sein Schüler erinnerte sich nicht, je ein lateinisches Wort von
ihm gehört zu haben, von Lernen war daher nicht die Rede, wohl aber ver¬
gaß er, was er noch aus der Schule mitgebracht hatte. Solange nun das
Geld reichte, das Meister Conrad beigesteuert hatte, wurde sorglos in den
Tag hineingelebt; als das ausging, mußte der Schütz betteln. Der Beanus




-) Burse hieß das Haus, in welchem Studenten zusammen unter Aufsicht wohnten.
"
) Fahrender Schüler.

glaubte. Aber beim Eintritt in die Stadt sollte er gewahr werden, wie ein
A°B-C-schütze mit seinem Beanus seinen Einzug hielt. Nachdem dieser durch
Erzählungen von den Herrlichkeiten Nürnbergs seine Erwartungen aufs
höchste gespannt hatte, sagte er zu ihm: „Weil du noch nie hier warst, mußt
du dir das Gesicht mit Straßenkoth beschmieren lassen, und dann gehst du
hinter mir her und unterstehst dich nicht, dich umzusehen oder mit offenem
Maul die hohen Häuser anzugaffen; wenn ich in den Straßen auf dich war¬
ten muß, gibts im Wirthshaus jämmerliche Schläge." Mit unterdrückten
Thränen schlich Hans hinter ihm drein und kaum waren sie in der Stadt, so
stürzten aus den Häusern die Schüler hinter ihnen her, machten ihm Esels
ohren und verfolgten ihn mit Schimpfen und Spotten bis zur Herberge, wo
sie hörten, daß er als Schüler dort bleiben werde. Aber der Beanus fand
bei näherer Nachfrage, daß hier noch zuviel Verkehr mit Miltenberg sei, sein
Schüler konnte leicht Nachricht nach Hause gelangen lassen, oder auch wohl
Gesellschaft zur Heimreise finden. Unter dem Vorwande, daß Nürnberg mit
Studirenden überfüllt sei, wurde wieder aufgebrochen, um einen freien Platz
in einer Burse*) aufzufinden. Ueber Forchheim, das mit Recht den Ruhm
seines weißen Brodes, mit Unrecht, wie Johannes kritisch bemerkt, den, die
Vaterstadt des Pilatus zu sein, in Anspruch nahm, kamen sie nach Bam-
berg, welches ihm außerordentlich gefiel und durch eingerückte Verse aus
Gotfrieds Chronik gepriesen wich. Im allgemeinen Armenhospital fanden
sie zwar gute Aufnahme, aber der Rector Gymnasii verweigerte ihnen wegen
der großen Zahl der Scholastici die Aufnahme und so ging es denn aus
demselben Wege wieder nach Nürnberg zurück. Auf Johannes machte Nürn¬
berg mit seiner Burg, seinen Reliquien und Reichsinsignien, seinem Verkehr
mit reichen Handelsleuten aus fernen Ländern von Venedig bis Antwerpen
den mächtigen Eindruck einer Weltstadt, wie sie Dr. Hartmann Schedel in
seiner schönen Cronica beschreibe, dessen Angaben er aus eigner Anschauung
bestätigt. Indessen war auch jetzt seines Bleibens dort nicht; sein Beanus,
dem es ums Studiren gar nicht zu thun war, machte sich mit ihm wieder
auf die Suche nach einer passenden Burse und zog als echter Bachant**)
mit seinem Schützen in Baiern umher. Dies müßige Vagiren war es, was
ihm behagte, sein Schüler erinnerte sich nicht, je ein lateinisches Wort von
ihm gehört zu haben, von Lernen war daher nicht die Rede, wohl aber ver¬
gaß er, was er noch aus der Schule mitgebracht hatte. Solange nun das
Geld reichte, das Meister Conrad beigesteuert hatte, wurde sorglos in den
Tag hineingelebt; als das ausging, mußte der Schütz betteln. Der Beanus




-) Burse hieß das Haus, in welchem Studenten zusammen unter Aufsicht wohnten.
"
) Fahrender Schüler.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/494>, abgerufen am 24.08.2024.