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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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nicht. Später dankte er ihr diese verständige Strenge -- denn, sagt er wieder
mit Horaz,


ward einmal er getränkt noch neu, so bewahrt die Gerüche
lange der Topf. --

Der Knabe wußte sie aber noch so wenig zu würdigen, daß er sich, als nach vier
Jahren die mütterliche Pflegerin starb und er ins elterliche Haus zurückkehrte,
mit der Hoffnung tröstete, mit der Schule werde es nun vorbei sein. Darin
täuschte er sich; seine Eltern hielten ebenfalls auf fleißigen Schulbesuch, aber
die Aussicht konnte nicht so streng geführt werden. So brachte er manchen
Tag im Kahn auf dem Fluß statt in der Schule zu und entschuldigte sich
vor dem Lehrer damit, daß er zu Hause in der Werkstatt oder in der Küche,
gebraucht worden sei. Eines Tages hatte er vergessen, daß er an einem
Fasttage hinter die Schule gegangen war und brachte als Entschuldigung
vor, daß er auf den Braten habe Acht geben müssen. Für Versäumniß und
Lüge mit Ruthen gestrichen, war er fleißig, solange ihn die Schmerzen der
Striemen und Narben beim Sitzen warnten; bald verlockte ihn wieder das
lustige Kahnsahren. Da erregte er einmal bei seinem Vater Verdacht, dem
die lateinischen Vocabeln, die der Knabe als frisch gelernte nach der Schule
hersagen mußte, so bekannt vorkamen, und am andern Tage brachte die
Mutter selbst ihn in die Schule und forderte den Lehrer auf, ihn nach Ver¬
dienst zu strafen. Unglücklicherweise hielt der Unterlehrer gerade Schule,
ein roher, prügellustiger Mensch, der den Knaben ausziehen und-an die
Säule binden ließ und Mit den Mitschülern um die Wette auf ihn losschlug.
Auf der Straße hört die Mutter das Wehgeschrei des Geprügelten, kehrt
um, dringt mit Gewalt in die verriegelte Schulstube und stürzt ohnmächtig
zusammen, als sie ihr Kind unter barbarischen Mißhandlungen blutbedeckt
an der Säule sieht. Nachdem sie zu sich gebracht worden war, nahm sie den
Sohn mit und drohte dem Lehrer, daß er fortan kein Bürgerkind mehr mi߬
handeln solle. Auf die sofort ergangene Klage wurde er auch abgesetzt und
zu der für ihn passenderen Stelle eines Stadtbüttels befördert. Später hat er
dem ehemaligen Schüler die grausame Züchtigung reumüthig abgebeten.

Was nun zu machen? In die Schule konnte Hans nicht wieder ge¬
bracht werden, und doch stand des Vaters Sinn darauf, der Sohn solle stu-
diren und geistlich werden. Da traf es sich, daß der große Sohn eines
Nachbarn als fahrender Schüler (Beanus)^) von der Hochschule in den Fe¬
rien nach Hause kam und von seiner Gelehrsamkeit und dem Studentenleben



") Be-mus ist eigentlich die Benennung für den noch nicht durch feierliche Deposition
zum Studenten erhobenen Schüler, dann auch geringschätzig für den fahrenden Schüler über¬
haupt.

nicht. Später dankte er ihr diese verständige Strenge — denn, sagt er wieder
mit Horaz,


ward einmal er getränkt noch neu, so bewahrt die Gerüche
lange der Topf. —

Der Knabe wußte sie aber noch so wenig zu würdigen, daß er sich, als nach vier
Jahren die mütterliche Pflegerin starb und er ins elterliche Haus zurückkehrte,
mit der Hoffnung tröstete, mit der Schule werde es nun vorbei sein. Darin
täuschte er sich; seine Eltern hielten ebenfalls auf fleißigen Schulbesuch, aber
die Aussicht konnte nicht so streng geführt werden. So brachte er manchen
Tag im Kahn auf dem Fluß statt in der Schule zu und entschuldigte sich
vor dem Lehrer damit, daß er zu Hause in der Werkstatt oder in der Küche,
gebraucht worden sei. Eines Tages hatte er vergessen, daß er an einem
Fasttage hinter die Schule gegangen war und brachte als Entschuldigung
vor, daß er auf den Braten habe Acht geben müssen. Für Versäumniß und
Lüge mit Ruthen gestrichen, war er fleißig, solange ihn die Schmerzen der
Striemen und Narben beim Sitzen warnten; bald verlockte ihn wieder das
lustige Kahnsahren. Da erregte er einmal bei seinem Vater Verdacht, dem
die lateinischen Vocabeln, die der Knabe als frisch gelernte nach der Schule
hersagen mußte, so bekannt vorkamen, und am andern Tage brachte die
Mutter selbst ihn in die Schule und forderte den Lehrer auf, ihn nach Ver¬
dienst zu strafen. Unglücklicherweise hielt der Unterlehrer gerade Schule,
ein roher, prügellustiger Mensch, der den Knaben ausziehen und-an die
Säule binden ließ und Mit den Mitschülern um die Wette auf ihn losschlug.
Auf der Straße hört die Mutter das Wehgeschrei des Geprügelten, kehrt
um, dringt mit Gewalt in die verriegelte Schulstube und stürzt ohnmächtig
zusammen, als sie ihr Kind unter barbarischen Mißhandlungen blutbedeckt
an der Säule sieht. Nachdem sie zu sich gebracht worden war, nahm sie den
Sohn mit und drohte dem Lehrer, daß er fortan kein Bürgerkind mehr mi߬
handeln solle. Auf die sofort ergangene Klage wurde er auch abgesetzt und
zu der für ihn passenderen Stelle eines Stadtbüttels befördert. Später hat er
dem ehemaligen Schüler die grausame Züchtigung reumüthig abgebeten.

Was nun zu machen? In die Schule konnte Hans nicht wieder ge¬
bracht werden, und doch stand des Vaters Sinn darauf, der Sohn solle stu-
diren und geistlich werden. Da traf es sich, daß der große Sohn eines
Nachbarn als fahrender Schüler (Beanus)^) von der Hochschule in den Fe¬
rien nach Hause kam und von seiner Gelehrsamkeit und dem Studentenleben



") Be-mus ist eigentlich die Benennung für den noch nicht durch feierliche Deposition
zum Studenten erhobenen Schüler, dann auch geringschätzig für den fahrenden Schüler über¬
haupt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/492>, abgerufen am 01.07.2024.