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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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seinen schnellfertigen Charakter aufgeprägt, oft tragen auch die Köpfe die
deutlichen Spuren der Hast. Es ist daher erfreulich, daß Herr Professor
Bürkner in Dresden soeben eine vortreffliche Radirung nach dem Original¬
gemälde vollendet hat.

Wer vor dem Hofrath Herd das Gemälde besessen, ließ sich nicht er¬
mitteln; in Berlin scheint es ursprünglich nicht gewesen zu sein, sonst hätte
Friedrich Nicolai es gewiß im Jahre 1770 benutzt, statt ein als Bildniß
und als Stich gleich elendes Portrait für den zwölften Band der allgemeinen
deutschen Bibliothek anfertigen zu lassen. Nicolai entschuldigt sich durch
einen Scherz, er schreibt am 23. Juni 1770 an Lessing: "Da ist ein Bildniß
mit einer schönen ürax ä'krg-eine-Weste vor dem zwölften Bande der Biblio¬
thek, worunter Ihr Name steht. Sie sehen übrigens leicht ein, daß ich
hieran unschuldig bin wie ein neugeborenes Kind, und daß es ein hämischer
Streich von Klötzen ist, der uns zusammensetzen will. Man hat mir zwar
sagen wollen, der Kupferstich wäre nach einem Bildnisse, das Ihr Herr
Vater in Camenz besitzet, gemacht; das kann aber nicht sein, denn der würde
doch ein Bildniß haben, das Ihnen ähnlicher sähe."

Ein zweites ebenfalls vortreffliches lebensgroßes Bildniß hat der wackere
alte Gleim für seine berühmte Sammlung von Freundesbildnissen in Oel
malen lassen, welche in der gefühlsseligen Sprache seines Kreises: der Freund¬
schaftstempel genannt wurde. Jetzt ist diese Sammlung durch Vermächtniß
in den Besitz des Domgymnasiums zu Halberstadt gekommen, und befindet
sich in dem ehemals von Gleim bewohnten Hause hinter dem Dom, wo auch
seine Bibliothek aufgestellt ist. Diese Bilder verdienen allen Schutz und alle
Ehre, denn es sind lauter Originalgemälde, manche nicht ohne Kunstwerth,
und von mehreren unserer namhaften Schriftsteller ist hier das einzige über¬
haupt vorhandene Bildniß. Lessing's Portrait ist eins der größesten und
als Kunstwerk das beste, es ist eine Halbfigur, doch ohne Hände, in hellblau-
sammtnen Kleidern.

Erst vor kurzem ist der Maler mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wor¬
den. Nach einer freundlichen Mittheilung des als Kunstforscher rühmlich be¬
kannten Herrn Dr. Lucanus in Halberstadt hat sich gesunden, daß ein anderes
in Halberstadt befindliches Bild, eine Dame der Familie Spiegel zu Pickels-
heim, welches den Künstlernamen May trägt, so vollständig mit dem Bildniß
Lessing's in Auffassung, Farbe und Technik übereinstimmt, daß Herr Dr.
Lucanus keinen Anstand nimmt, auch das letztere für ein Werk dieses rühm¬
lich -bekannten Bildnißmalers zu erklären. Georg Oswald May aus Offen¬
bach lebte Meist an den brandenburgischen Höfen in Franken, aber er machte
auch häufige Reisen, und als ein kenntnißreicher und angesehener Mann ver¬
kehrte er viel und gern mit Gelehrten; so hat er Wieland gemalt, ein Bild,


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seinen schnellfertigen Charakter aufgeprägt, oft tragen auch die Köpfe die
deutlichen Spuren der Hast. Es ist daher erfreulich, daß Herr Professor
Bürkner in Dresden soeben eine vortreffliche Radirung nach dem Original¬
gemälde vollendet hat.

Wer vor dem Hofrath Herd das Gemälde besessen, ließ sich nicht er¬
mitteln; in Berlin scheint es ursprünglich nicht gewesen zu sein, sonst hätte
Friedrich Nicolai es gewiß im Jahre 1770 benutzt, statt ein als Bildniß
und als Stich gleich elendes Portrait für den zwölften Band der allgemeinen
deutschen Bibliothek anfertigen zu lassen. Nicolai entschuldigt sich durch
einen Scherz, er schreibt am 23. Juni 1770 an Lessing: „Da ist ein Bildniß
mit einer schönen ürax ä'krg-eine-Weste vor dem zwölften Bande der Biblio¬
thek, worunter Ihr Name steht. Sie sehen übrigens leicht ein, daß ich
hieran unschuldig bin wie ein neugeborenes Kind, und daß es ein hämischer
Streich von Klötzen ist, der uns zusammensetzen will. Man hat mir zwar
sagen wollen, der Kupferstich wäre nach einem Bildnisse, das Ihr Herr
Vater in Camenz besitzet, gemacht; das kann aber nicht sein, denn der würde
doch ein Bildniß haben, das Ihnen ähnlicher sähe."

Ein zweites ebenfalls vortreffliches lebensgroßes Bildniß hat der wackere
alte Gleim für seine berühmte Sammlung von Freundesbildnissen in Oel
malen lassen, welche in der gefühlsseligen Sprache seines Kreises: der Freund¬
schaftstempel genannt wurde. Jetzt ist diese Sammlung durch Vermächtniß
in den Besitz des Domgymnasiums zu Halberstadt gekommen, und befindet
sich in dem ehemals von Gleim bewohnten Hause hinter dem Dom, wo auch
seine Bibliothek aufgestellt ist. Diese Bilder verdienen allen Schutz und alle
Ehre, denn es sind lauter Originalgemälde, manche nicht ohne Kunstwerth,
und von mehreren unserer namhaften Schriftsteller ist hier das einzige über¬
haupt vorhandene Bildniß. Lessing's Portrait ist eins der größesten und
als Kunstwerk das beste, es ist eine Halbfigur, doch ohne Hände, in hellblau-
sammtnen Kleidern.

Erst vor kurzem ist der Maler mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wor¬
den. Nach einer freundlichen Mittheilung des als Kunstforscher rühmlich be¬
kannten Herrn Dr. Lucanus in Halberstadt hat sich gesunden, daß ein anderes
in Halberstadt befindliches Bild, eine Dame der Familie Spiegel zu Pickels-
heim, welches den Künstlernamen May trägt, so vollständig mit dem Bildniß
Lessing's in Auffassung, Farbe und Technik übereinstimmt, daß Herr Dr.
Lucanus keinen Anstand nimmt, auch das letztere für ein Werk dieses rühm¬
lich -bekannten Bildnißmalers zu erklären. Georg Oswald May aus Offen¬
bach lebte Meist an den brandenburgischen Höfen in Franken, aber er machte
auch häufige Reisen, und als ein kenntnißreicher und angesehener Mann ver¬
kehrte er viel und gern mit Gelehrten; so hat er Wieland gemalt, ein Bild,


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[0451] seinen schnellfertigen Charakter aufgeprägt, oft tragen auch die Köpfe die deutlichen Spuren der Hast. Es ist daher erfreulich, daß Herr Professor Bürkner in Dresden soeben eine vortreffliche Radirung nach dem Original¬ gemälde vollendet hat. Wer vor dem Hofrath Herd das Gemälde besessen, ließ sich nicht er¬ mitteln; in Berlin scheint es ursprünglich nicht gewesen zu sein, sonst hätte Friedrich Nicolai es gewiß im Jahre 1770 benutzt, statt ein als Bildniß und als Stich gleich elendes Portrait für den zwölften Band der allgemeinen deutschen Bibliothek anfertigen zu lassen. Nicolai entschuldigt sich durch einen Scherz, er schreibt am 23. Juni 1770 an Lessing: „Da ist ein Bildniß mit einer schönen ürax ä'krg-eine-Weste vor dem zwölften Bande der Biblio¬ thek, worunter Ihr Name steht. Sie sehen übrigens leicht ein, daß ich hieran unschuldig bin wie ein neugeborenes Kind, und daß es ein hämischer Streich von Klötzen ist, der uns zusammensetzen will. Man hat mir zwar sagen wollen, der Kupferstich wäre nach einem Bildnisse, das Ihr Herr Vater in Camenz besitzet, gemacht; das kann aber nicht sein, denn der würde doch ein Bildniß haben, das Ihnen ähnlicher sähe." Ein zweites ebenfalls vortreffliches lebensgroßes Bildniß hat der wackere alte Gleim für seine berühmte Sammlung von Freundesbildnissen in Oel malen lassen, welche in der gefühlsseligen Sprache seines Kreises: der Freund¬ schaftstempel genannt wurde. Jetzt ist diese Sammlung durch Vermächtniß in den Besitz des Domgymnasiums zu Halberstadt gekommen, und befindet sich in dem ehemals von Gleim bewohnten Hause hinter dem Dom, wo auch seine Bibliothek aufgestellt ist. Diese Bilder verdienen allen Schutz und alle Ehre, denn es sind lauter Originalgemälde, manche nicht ohne Kunstwerth, und von mehreren unserer namhaften Schriftsteller ist hier das einzige über¬ haupt vorhandene Bildniß. Lessing's Portrait ist eins der größesten und als Kunstwerk das beste, es ist eine Halbfigur, doch ohne Hände, in hellblau- sammtnen Kleidern. Erst vor kurzem ist der Maler mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wor¬ den. Nach einer freundlichen Mittheilung des als Kunstforscher rühmlich be¬ kannten Herrn Dr. Lucanus in Halberstadt hat sich gesunden, daß ein anderes in Halberstadt befindliches Bild, eine Dame der Familie Spiegel zu Pickels- heim, welches den Künstlernamen May trägt, so vollständig mit dem Bildniß Lessing's in Auffassung, Farbe und Technik übereinstimmt, daß Herr Dr. Lucanus keinen Anstand nimmt, auch das letztere für ein Werk dieses rühm¬ lich -bekannten Bildnißmalers zu erklären. Georg Oswald May aus Offen¬ bach lebte Meist an den brandenburgischen Höfen in Franken, aber er machte auch häufige Reisen, und als ein kenntnißreicher und angesehener Mann ver¬ kehrte er viel und gern mit Gelehrten; so hat er Wieland gemalt, ein Bild, 66*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/451>, abgerufen am 24.08.2024.