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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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besaß, eingezogen hat. Wie anders ist man neuerdings gegen Hannover,
wie anders gegen das reiche Frankfurt verfahren, die sich doch beide wahr¬
lich nicht durch Verdienste um den preußischen Staat besondere Ansprüche
auf Berücksichtigung erworben haben!

Genug, die Finanzen Königsbergs kranken noch unter den Nachwehen
jener fernen Vergangenheit: es kann sich keine Wasserleitung bauen, es kann
die verderbliche Mahl- und Schlachtsteuer nicht aufheben, weil es ohnehin so
hohe directe Steuern erheben muß, daß unabhängige, vermögende Leute gern
wegziehen- Der Verlust der ganzen Provinz aber in jener Zeit 1806--
1807 wird nach gewissenhafter Schätzung auf beinahe 100 Millionen Thaler
veranschlagt, abgesehen von dem auf Jahre, hinaus wirkenden Rückgange
der Landwirthschaft, der Gewerbe und des Handels.

Kaum fing Ostpreußen an aufzuathmen, da wälzte sich 1812 aufs neue
die größte Armee durch seine Gauen, welche die neuere Zeit gesehen hat.
Obgleich die Franzosen nicht als Feinde kamen, zogen sie doch wie ein Heu-
schreckenschwarm hindurch.

Es kam 1813! Was dieses Jahr der Provinz an Gut und Blut ge¬
kostet hat, weiß die Welt. Ostpreußen war reich an Ehre und Ruhm, aber
bettelarm geworden.

Der Frieden von 1813 brachte der Welt die lang entbehrte Ruhe und
damit die Möglichkeit, die Schäden der Kriegsjahre zu heilen. Anderwärts
geschah dies auch: Handel, Verkehr und Fabrikwesen entwickelten sich zu
nie dagewesener Blüthe und schufen Wohlstand und Reichthum. Wie aber
bei uns?

Der schmale Küstenstrich, der die Provinz Preußen bildet, mit seiner
dünnen, damals noch viel dünneren Bevölkerung, kann keinen bedeutenden
Binnenhandel unterhalten. Das Gebiet der Weichsel und des Riemens, das
ehemalige polnische Reich ist unser natürliches Hinterland, unsere Ostseehäfen
seine natürlichen Stapelplätze; Getreide, Hanf, Flachs. Leinsaat. Holz, Talg.
Häute und andere Rohproducte sind seine Ausfuhrartikel. Manufacturwaaren.
Häringe, Thee. Zucker. Oel seine Bedürfnisse. Unser Transithandel blühte,
so lange der Verkehr mit Polen und Litthauen nicht durch unnatürliche
Schranken gehemmt wurde. Was geschah aber nachdem diese Länder 1815
in den Besitz Rußlands, unsers Verbündeten und Nachbarn übergegangen
waren? -- desselben Freundes, der uns schon während des 7jährigen Krieges
annectirt hatte; der uns im Winter 1812 zum zweitenmale annectirt haben
würde, wenn nicht der hochverdiente damalige Präsident v. Schön mit einem
allgemeinen Aufstande gedroht hätte; der endlich, als seine Truppen das
wesentlich durch die preußische Landwehr wiedergewonnene Danzig verlassen
mußten, wenigstens die Kanonen von den Wällen mitnehmen wollte!


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besaß, eingezogen hat. Wie anders ist man neuerdings gegen Hannover,
wie anders gegen das reiche Frankfurt verfahren, die sich doch beide wahr¬
lich nicht durch Verdienste um den preußischen Staat besondere Ansprüche
auf Berücksichtigung erworben haben!

Genug, die Finanzen Königsbergs kranken noch unter den Nachwehen
jener fernen Vergangenheit: es kann sich keine Wasserleitung bauen, es kann
die verderbliche Mahl- und Schlachtsteuer nicht aufheben, weil es ohnehin so
hohe directe Steuern erheben muß, daß unabhängige, vermögende Leute gern
wegziehen- Der Verlust der ganzen Provinz aber in jener Zeit 1806—
1807 wird nach gewissenhafter Schätzung auf beinahe 100 Millionen Thaler
veranschlagt, abgesehen von dem auf Jahre, hinaus wirkenden Rückgange
der Landwirthschaft, der Gewerbe und des Handels.

Kaum fing Ostpreußen an aufzuathmen, da wälzte sich 1812 aufs neue
die größte Armee durch seine Gauen, welche die neuere Zeit gesehen hat.
Obgleich die Franzosen nicht als Feinde kamen, zogen sie doch wie ein Heu-
schreckenschwarm hindurch.

Es kam 1813! Was dieses Jahr der Provinz an Gut und Blut ge¬
kostet hat, weiß die Welt. Ostpreußen war reich an Ehre und Ruhm, aber
bettelarm geworden.

Der Frieden von 1813 brachte der Welt die lang entbehrte Ruhe und
damit die Möglichkeit, die Schäden der Kriegsjahre zu heilen. Anderwärts
geschah dies auch: Handel, Verkehr und Fabrikwesen entwickelten sich zu
nie dagewesener Blüthe und schufen Wohlstand und Reichthum. Wie aber
bei uns?

Der schmale Küstenstrich, der die Provinz Preußen bildet, mit seiner
dünnen, damals noch viel dünneren Bevölkerung, kann keinen bedeutenden
Binnenhandel unterhalten. Das Gebiet der Weichsel und des Riemens, das
ehemalige polnische Reich ist unser natürliches Hinterland, unsere Ostseehäfen
seine natürlichen Stapelplätze; Getreide, Hanf, Flachs. Leinsaat. Holz, Talg.
Häute und andere Rohproducte sind seine Ausfuhrartikel. Manufacturwaaren.
Häringe, Thee. Zucker. Oel seine Bedürfnisse. Unser Transithandel blühte,
so lange der Verkehr mit Polen und Litthauen nicht durch unnatürliche
Schranken gehemmt wurde. Was geschah aber nachdem diese Länder 1815
in den Besitz Rußlands, unsers Verbündeten und Nachbarn übergegangen
waren? — desselben Freundes, der uns schon während des 7jährigen Krieges
annectirt hatte; der uns im Winter 1812 zum zweitenmale annectirt haben
würde, wenn nicht der hochverdiente damalige Präsident v. Schön mit einem
allgemeinen Aufstande gedroht hätte; der endlich, als seine Truppen das
wesentlich durch die preußische Landwehr wiedergewonnene Danzig verlassen
mußten, wenigstens die Kanonen von den Wällen mitnehmen wollte!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/411>, abgerufen am 22.07.2024.