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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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tung braucht. Im Finanzministerium werden die außerordentlichen Ausgaben
namentlich verursacht durch die Ablösung von Forstservituten und Renten
und die Ausführung der anderweiten Regelung der Grundsteuer in den neuen
Landestheilen, deren wir schon oben gedachten.

Dies find die Hauptpositionen aus der langen Reihe von Zahlen, welche
den Finanzetat des preußischen Staats für 1868 darstellen und die in ihrer
Höhe, Gruppirung und ihren Verhältnissen zu einander einen ausführlichen
und kritischen Commentar über die Art und Organisation der preußischen
Staatsverwaltung liefern. Ohne uns auf Kritik, die in den Kammerdebatten
genügsam geübt ist, oder auf allgemeine finanzwisfenschaftliche Betrachtungen,
die in zahlreichen Büchern zu finden sind, oder auf Vergleichungen mit andern
Ländern, die immer mißlich sind, einzulassen, geben wir dem Leser diese kurze
Uebersicht als Anleitung zu weiterem Nachdenken und Studium.




Polnischer Monatsbericht.

X

Die Verhandlungen über das französische Preßgesetz, deren Leser wir
während der letzten Wochen waren, sollen den Kaiser Napoleon in
peinlicher Weise an die Kammervorgänge vor Ausbruch der Februar¬
revolution erinnert haben. Diese Reminiscenz liegt in der That ziem¬
lich nah: wenn die Analogie zwischen den französischen Zuständen von
damals und heute auch nur eine entfernte ist. Vor zwanzig Jahren schlugen
die Franzosen den Thron der Julimonarchie in Trümmer, weil sie ihre Un¬
geduld nach einer Reform des Wahlgesetzes nicht zügeln konnten, deren
Durchführung doch nur Frage der Zeit war, heute sehen wir sie vergeblich
um ein Stück Preßfreiheit kämpfen, dessen Besitz selbst den Ultras der Gui-
zvtschen Majorität niemals genügt hätte. -- Obgleich die Debatte über dieses
neue Gesetz noch nicht geschlossen ist, läßt sich das Geschick desselben schon
gegenwärtig übersehen. Der 1, der jedem Franzosen das Recht zur Her¬
ausgabe einer periodischen Schrift ertheilt und die bestehenden Vorschriften
über Erwirkung einer Regierungsconcession und Hinterlegung fast uner-
erschwinglicher Kautionssummen aufhebt, gibt der Presse einen Spielraum,
den die folgenden Paragraphen (eS sind ihrer, wenn wir nicht irren, vier¬
zehn) möglichst zu beschränken suchen. Das ganze Gesetz erinnert lebhast an
das berühmte Lichtenbergsche Messer ohne Klinge, an welchem der Stiel
fehlt! Dle freie Einführung ausländischer Journale, das Recht zur Mit¬
theilung und Discusftvn der Kammerverhandlungen, die Oeffentlichkeit der
Verhandlungen über Preßvergehen, lauter Dinge die sich im übrigen Europa
fast von selbst verstehen, über welche bei Kulturvölkern kaum eine Meinungs¬
verschiedenheit besteht, -- sie werden in dem modernen Frankreich wie offene
Fragen behandelt, mit Gründen für und wieder belegt und es findet sich so¬
gar eine Majorität, welche feierlich ihre Unzulässigkett proklamirt. In dem
Vaterlande der continentalen Preßfreiheir wird eine Stempelsteuer erhoben,
welche die pariser Journale zwingt, fünf Thaler und zehn Groschen von
jedem Exemplar, das sie drucken, an den Staat zu entrichten, eine Steuer,
welche journalistische Unternehmungen bankerott macht, sobald dieselben we¬
niger als 8000 Abonnenten zählen, in Paris, dem liberalen Eldorado frühe-


tung braucht. Im Finanzministerium werden die außerordentlichen Ausgaben
namentlich verursacht durch die Ablösung von Forstservituten und Renten
und die Ausführung der anderweiten Regelung der Grundsteuer in den neuen
Landestheilen, deren wir schon oben gedachten.

Dies find die Hauptpositionen aus der langen Reihe von Zahlen, welche
den Finanzetat des preußischen Staats für 1868 darstellen und die in ihrer
Höhe, Gruppirung und ihren Verhältnissen zu einander einen ausführlichen
und kritischen Commentar über die Art und Organisation der preußischen
Staatsverwaltung liefern. Ohne uns auf Kritik, die in den Kammerdebatten
genügsam geübt ist, oder auf allgemeine finanzwisfenschaftliche Betrachtungen,
die in zahlreichen Büchern zu finden sind, oder auf Vergleichungen mit andern
Ländern, die immer mißlich sind, einzulassen, geben wir dem Leser diese kurze
Uebersicht als Anleitung zu weiterem Nachdenken und Studium.




Polnischer Monatsbericht.

X

Die Verhandlungen über das französische Preßgesetz, deren Leser wir
während der letzten Wochen waren, sollen den Kaiser Napoleon in
peinlicher Weise an die Kammervorgänge vor Ausbruch der Februar¬
revolution erinnert haben. Diese Reminiscenz liegt in der That ziem¬
lich nah: wenn die Analogie zwischen den französischen Zuständen von
damals und heute auch nur eine entfernte ist. Vor zwanzig Jahren schlugen
die Franzosen den Thron der Julimonarchie in Trümmer, weil sie ihre Un¬
geduld nach einer Reform des Wahlgesetzes nicht zügeln konnten, deren
Durchführung doch nur Frage der Zeit war, heute sehen wir sie vergeblich
um ein Stück Preßfreiheit kämpfen, dessen Besitz selbst den Ultras der Gui-
zvtschen Majorität niemals genügt hätte. — Obgleich die Debatte über dieses
neue Gesetz noch nicht geschlossen ist, läßt sich das Geschick desselben schon
gegenwärtig übersehen. Der 1, der jedem Franzosen das Recht zur Her¬
ausgabe einer periodischen Schrift ertheilt und die bestehenden Vorschriften
über Erwirkung einer Regierungsconcession und Hinterlegung fast uner-
erschwinglicher Kautionssummen aufhebt, gibt der Presse einen Spielraum,
den die folgenden Paragraphen (eS sind ihrer, wenn wir nicht irren, vier¬
zehn) möglichst zu beschränken suchen. Das ganze Gesetz erinnert lebhast an
das berühmte Lichtenbergsche Messer ohne Klinge, an welchem der Stiel
fehlt! Dle freie Einführung ausländischer Journale, das Recht zur Mit¬
theilung und Discusftvn der Kammerverhandlungen, die Oeffentlichkeit der
Verhandlungen über Preßvergehen, lauter Dinge die sich im übrigen Europa
fast von selbst verstehen, über welche bei Kulturvölkern kaum eine Meinungs¬
verschiedenheit besteht, — sie werden in dem modernen Frankreich wie offene
Fragen behandelt, mit Gründen für und wieder belegt und es findet sich so¬
gar eine Majorität, welche feierlich ihre Unzulässigkett proklamirt. In dem
Vaterlande der continentalen Preßfreiheir wird eine Stempelsteuer erhoben,
welche die pariser Journale zwingt, fünf Thaler und zehn Groschen von
jedem Exemplar, das sie drucken, an den Staat zu entrichten, eine Steuer,
welche journalistische Unternehmungen bankerott macht, sobald dieselben we¬
niger als 8000 Abonnenten zählen, in Paris, dem liberalen Eldorado frühe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/364>, abgerufen am 24.08.2024.