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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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am Rhein Pfenninge zählen und seine Kaiserkrönung in Rom außer Acht
lassen; -- es war ja seit Friedrich II. kein Kaiser gekrönt worden, und
Adolph von Nassau, der eben 1292 die Königswürde erlangt hatte, war erst
recht außer Stande, daran zu denken. Endlich werden die Ungarn gescholten,
deren König Ladislaus vor einiger Zeit ermordet worden war: verflucht sei
das ganze Land über diese Untreue. -- Am dritten Tage beginnt eine neue
Reihe von Klagen, über das Zunehmen der Juden, deren Gut man nehmen
und zu einem Kreuzzuge verwenden solle; über die umsichgreifende Rauflust,
deretwegen jedermann im Eisengewand herumgehe; über die fahrenden
Sänger, die Lottersinger, die überlästigen, von Ehre viel schwatzenden und
jeder Ehre baren, sie mitsammt ihren weiblichen Berufsgenossen. Betrübende
Bilder, an denen schnell vorüberzugehen das beste ist.

scherzhafter ist ein anderes Gedicht (III), das uns mit seiner Einkleidung
in eine der wichtigsten Beschäftigungen des mittelalterlichen Lebens einführt.
Der Ritter geht ins Bad, begleitet von seinem Knappen. Wir erfahren nun
bis auf die kleinste Einzelheit alle Vorgänge des Bades, das Begießen mit
heißem und mit kaltem Wasser, das Reiben, welches Badefrauen besorgten,
das Scheren und Kämmen. Während der Ritter auf der Bank sitzt und
sich der angenehmen Nachwirkung des Bades überläßt, heißt er den Knaben
vor ihn niederknieen. Wegen seiner frechen Reden, die er selbst jetzt noch
fortsetzt, wird ihm ein Besenschlag zu Theil -- für die rittersüchtigen Bauern,
ein zweiter -- für die handeltreibenden Dienstmannen; ein dritter -- für
den Bischof, der eine Weinschänke hält. Nun erklärt sich der Knappe bereit,
nicht nur zu schweigen, sondern zu loben; käme einer in einem Wamms, so
weit wie ein Roßbauch, den wolle er für besser gekleidet erklären als je ein
Gralritter war. Da bringt ihn endlich die Drohung, den Besenstiel zu ge¬
brauchen, zu Ruhe. Der Ritter scheidet vom Knappen nach nochmaliger Er¬
mahnung, ihn bei den hohen Herrn nicht wieder in den Verdacht schlechter
Gesinnungen zu bringen.

Aber diese Verleugnung oder Versteckung der Angriffe scheint dem Dichter
noch nicht genügt zu haben. Er stellt in den nächstfolgenden Gedichten den
Knappen als aus seinen Diensten entlassen und nur zufällig mit ihm zusam¬
mentreffend dar. So in einem Gedichte, welches uns wieder einführt in die
politischen Ereignisse, die Oestreich von neuem tief zu erschüttern drohten.
Albrecht hatte vergeblich danach gestrebt, der Nachfolger seines Vaters Rudolph
zu werden. Mit den rheinischen Erzbischöfen hatte namentlich der junge
König von Böhmen, Albrechts Schwager, aber durch dessen hochfahrendes
Benehmen verletzt, die Wahl Adolphs von Nassau durchgesetzt. Damit
schöpften aber auch die Unzufriedenen in Oestreich, neue Hoffnung. Wie viele
derartige Elemente vorhanden waren, haben wir an unserem Dichter selbst


am Rhein Pfenninge zählen und seine Kaiserkrönung in Rom außer Acht
lassen; — es war ja seit Friedrich II. kein Kaiser gekrönt worden, und
Adolph von Nassau, der eben 1292 die Königswürde erlangt hatte, war erst
recht außer Stande, daran zu denken. Endlich werden die Ungarn gescholten,
deren König Ladislaus vor einiger Zeit ermordet worden war: verflucht sei
das ganze Land über diese Untreue. — Am dritten Tage beginnt eine neue
Reihe von Klagen, über das Zunehmen der Juden, deren Gut man nehmen
und zu einem Kreuzzuge verwenden solle; über die umsichgreifende Rauflust,
deretwegen jedermann im Eisengewand herumgehe; über die fahrenden
Sänger, die Lottersinger, die überlästigen, von Ehre viel schwatzenden und
jeder Ehre baren, sie mitsammt ihren weiblichen Berufsgenossen. Betrübende
Bilder, an denen schnell vorüberzugehen das beste ist.

scherzhafter ist ein anderes Gedicht (III), das uns mit seiner Einkleidung
in eine der wichtigsten Beschäftigungen des mittelalterlichen Lebens einführt.
Der Ritter geht ins Bad, begleitet von seinem Knappen. Wir erfahren nun
bis auf die kleinste Einzelheit alle Vorgänge des Bades, das Begießen mit
heißem und mit kaltem Wasser, das Reiben, welches Badefrauen besorgten,
das Scheren und Kämmen. Während der Ritter auf der Bank sitzt und
sich der angenehmen Nachwirkung des Bades überläßt, heißt er den Knaben
vor ihn niederknieen. Wegen seiner frechen Reden, die er selbst jetzt noch
fortsetzt, wird ihm ein Besenschlag zu Theil — für die rittersüchtigen Bauern,
ein zweiter — für die handeltreibenden Dienstmannen; ein dritter — für
den Bischof, der eine Weinschänke hält. Nun erklärt sich der Knappe bereit,
nicht nur zu schweigen, sondern zu loben; käme einer in einem Wamms, so
weit wie ein Roßbauch, den wolle er für besser gekleidet erklären als je ein
Gralritter war. Da bringt ihn endlich die Drohung, den Besenstiel zu ge¬
brauchen, zu Ruhe. Der Ritter scheidet vom Knappen nach nochmaliger Er¬
mahnung, ihn bei den hohen Herrn nicht wieder in den Verdacht schlechter
Gesinnungen zu bringen.

Aber diese Verleugnung oder Versteckung der Angriffe scheint dem Dichter
noch nicht genügt zu haben. Er stellt in den nächstfolgenden Gedichten den
Knappen als aus seinen Diensten entlassen und nur zufällig mit ihm zusam¬
mentreffend dar. So in einem Gedichte, welches uns wieder einführt in die
politischen Ereignisse, die Oestreich von neuem tief zu erschüttern drohten.
Albrecht hatte vergeblich danach gestrebt, der Nachfolger seines Vaters Rudolph
zu werden. Mit den rheinischen Erzbischöfen hatte namentlich der junge
König von Böhmen, Albrechts Schwager, aber durch dessen hochfahrendes
Benehmen verletzt, die Wahl Adolphs von Nassau durchgesetzt. Damit
schöpften aber auch die Unzufriedenen in Oestreich, neue Hoffnung. Wie viele
derartige Elemente vorhanden waren, haben wir an unserem Dichter selbst


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[0340] am Rhein Pfenninge zählen und seine Kaiserkrönung in Rom außer Acht lassen; — es war ja seit Friedrich II. kein Kaiser gekrönt worden, und Adolph von Nassau, der eben 1292 die Königswürde erlangt hatte, war erst recht außer Stande, daran zu denken. Endlich werden die Ungarn gescholten, deren König Ladislaus vor einiger Zeit ermordet worden war: verflucht sei das ganze Land über diese Untreue. — Am dritten Tage beginnt eine neue Reihe von Klagen, über das Zunehmen der Juden, deren Gut man nehmen und zu einem Kreuzzuge verwenden solle; über die umsichgreifende Rauflust, deretwegen jedermann im Eisengewand herumgehe; über die fahrenden Sänger, die Lottersinger, die überlästigen, von Ehre viel schwatzenden und jeder Ehre baren, sie mitsammt ihren weiblichen Berufsgenossen. Betrübende Bilder, an denen schnell vorüberzugehen das beste ist. scherzhafter ist ein anderes Gedicht (III), das uns mit seiner Einkleidung in eine der wichtigsten Beschäftigungen des mittelalterlichen Lebens einführt. Der Ritter geht ins Bad, begleitet von seinem Knappen. Wir erfahren nun bis auf die kleinste Einzelheit alle Vorgänge des Bades, das Begießen mit heißem und mit kaltem Wasser, das Reiben, welches Badefrauen besorgten, das Scheren und Kämmen. Während der Ritter auf der Bank sitzt und sich der angenehmen Nachwirkung des Bades überläßt, heißt er den Knaben vor ihn niederknieen. Wegen seiner frechen Reden, die er selbst jetzt noch fortsetzt, wird ihm ein Besenschlag zu Theil — für die rittersüchtigen Bauern, ein zweiter — für die handeltreibenden Dienstmannen; ein dritter — für den Bischof, der eine Weinschänke hält. Nun erklärt sich der Knappe bereit, nicht nur zu schweigen, sondern zu loben; käme einer in einem Wamms, so weit wie ein Roßbauch, den wolle er für besser gekleidet erklären als je ein Gralritter war. Da bringt ihn endlich die Drohung, den Besenstiel zu ge¬ brauchen, zu Ruhe. Der Ritter scheidet vom Knappen nach nochmaliger Er¬ mahnung, ihn bei den hohen Herrn nicht wieder in den Verdacht schlechter Gesinnungen zu bringen. Aber diese Verleugnung oder Versteckung der Angriffe scheint dem Dichter noch nicht genügt zu haben. Er stellt in den nächstfolgenden Gedichten den Knappen als aus seinen Diensten entlassen und nur zufällig mit ihm zusam¬ mentreffend dar. So in einem Gedichte, welches uns wieder einführt in die politischen Ereignisse, die Oestreich von neuem tief zu erschüttern drohten. Albrecht hatte vergeblich danach gestrebt, der Nachfolger seines Vaters Rudolph zu werden. Mit den rheinischen Erzbischöfen hatte namentlich der junge König von Böhmen, Albrechts Schwager, aber durch dessen hochfahrendes Benehmen verletzt, die Wahl Adolphs von Nassau durchgesetzt. Damit schöpften aber auch die Unzufriedenen in Oestreich, neue Hoffnung. Wie viele derartige Elemente vorhanden waren, haben wir an unserem Dichter selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/340>, abgerufen am 24.08.2024.