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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Preußens mit Nußland zu bewahren. Die Anmaßung der panslavistischen Par¬
tei, die ungünstige Revision des russischen Zolltarifs und die Aushebung des
Zollcartels müssen der Anfang einer Entfremdung werden, welche trotz aller
entgegenstehenden Wünsche der Regierenden in naher Zukunft unvermeidlich
droht, und eine Annäherung zwischen Frankreich und Nußland anbahnt, die
bisher nicht durch widerstreitende Interessen der Staaten, sondern nur durch
die polnischen Erinnerungen aufgehalten wurde. Oestreich aber kann ein
Bundesgenoß des Nordhundes erst dann werden, wenn die Südstaaten Mit¬
glieder des Bundes sind, vorher würde der Preis, welchen Preußen sür ein
solches Bündniß zu zahlen hätte, einer Zerstörung Deutschlands gleichkommen.

Ist aber die Sachlage so, wie sie hier dargestellt wurde, und entsprechen
die Schlüsse für die Zukunft einer verständigen Wahrscheinlichkeitsrechnung,
so folgt daraus, daß die Bundesregierung und jede patriotische Partei den
möglichst schnellen Eintritt der Südstaaten in den Bund als einen Fortschritt
betrachten muß, welcher der größten Opfer werth ist. Denn wie diese
Staaten jetzt dahin leben, sind sie eine unablässige Sorge, ein Heerd fremder
Intriguen und sie werden in nächster Zeit eine starke Demüthigung des
deutschen Selbstgefühls werden. Wir haben ihnen gegenüber alle. Pflichten
und Gefahren, wir haben nicht die entsprechenden Leistungen, sie nicht die
großen Rechte. Und wir stehen jetzt vor der neuen Gefahr, daß Deutschland
in Wirklichkeit zerrissen wird, und haben uns zu hüten, daß das große
Werk, welches 1866 begann, nicht durch solche Folgen verdorben werde.

Aber was können wir thun, wenn sie selbst nicht wollen? Denn das
freilich ist klar, diese Sache kann nicht durch die Regierungen allein oder
zuförderst gemacht werden und nicht durch herausfordernde Initiative der
Bundesregierung, sondern vor allem durch den Volkswillen, in erster Linie
durch die Bevölkerung der Südstaaten. Und zeigen die bairischen Wahlen
nicht, wie ungefüge unsere Nachbarn im Süden für den Eintritt sind?

Wir lesen, daß man zu Berlin den Eintritt zumeist durch Baiern erwarte
und die Aufnahme Badens für gefährlich halte, weil sie die Schwaben und
Baiern in fremdes Lager treiben könne. Aber wenn wir warten wollen,
bis die Majorität des bairischen Volkes zuerst bei uns den Eintritt fordert,
dann steht zu besorgen, daß die Vereinigung der deutschen Stämme nicht
eher erfolgen wird, als bis der Stuhl Se. Peters auf den sieben Hügeln ver¬
fallen sein wird und die ultramontane Partei Kant und Hegel unter ihre
Heiligen rechnet.

Unsere Pflicht gegen die Deutschen außerhalb des Bundes, und unser
nationales Recht, den deutschen Staat unabhängig vom Ausland zu gestalten,
schreiben uns sehr deutlich vor, was uns obliegt. Wir haben freudig und
mit offenen Armen den deutschen Staat aufzunehmen, dessen Volksvertreter


Preußens mit Nußland zu bewahren. Die Anmaßung der panslavistischen Par¬
tei, die ungünstige Revision des russischen Zolltarifs und die Aushebung des
Zollcartels müssen der Anfang einer Entfremdung werden, welche trotz aller
entgegenstehenden Wünsche der Regierenden in naher Zukunft unvermeidlich
droht, und eine Annäherung zwischen Frankreich und Nußland anbahnt, die
bisher nicht durch widerstreitende Interessen der Staaten, sondern nur durch
die polnischen Erinnerungen aufgehalten wurde. Oestreich aber kann ein
Bundesgenoß des Nordhundes erst dann werden, wenn die Südstaaten Mit¬
glieder des Bundes sind, vorher würde der Preis, welchen Preußen sür ein
solches Bündniß zu zahlen hätte, einer Zerstörung Deutschlands gleichkommen.

Ist aber die Sachlage so, wie sie hier dargestellt wurde, und entsprechen
die Schlüsse für die Zukunft einer verständigen Wahrscheinlichkeitsrechnung,
so folgt daraus, daß die Bundesregierung und jede patriotische Partei den
möglichst schnellen Eintritt der Südstaaten in den Bund als einen Fortschritt
betrachten muß, welcher der größten Opfer werth ist. Denn wie diese
Staaten jetzt dahin leben, sind sie eine unablässige Sorge, ein Heerd fremder
Intriguen und sie werden in nächster Zeit eine starke Demüthigung des
deutschen Selbstgefühls werden. Wir haben ihnen gegenüber alle. Pflichten
und Gefahren, wir haben nicht die entsprechenden Leistungen, sie nicht die
großen Rechte. Und wir stehen jetzt vor der neuen Gefahr, daß Deutschland
in Wirklichkeit zerrissen wird, und haben uns zu hüten, daß das große
Werk, welches 1866 begann, nicht durch solche Folgen verdorben werde.

Aber was können wir thun, wenn sie selbst nicht wollen? Denn das
freilich ist klar, diese Sache kann nicht durch die Regierungen allein oder
zuförderst gemacht werden und nicht durch herausfordernde Initiative der
Bundesregierung, sondern vor allem durch den Volkswillen, in erster Linie
durch die Bevölkerung der Südstaaten. Und zeigen die bairischen Wahlen
nicht, wie ungefüge unsere Nachbarn im Süden für den Eintritt sind?

Wir lesen, daß man zu Berlin den Eintritt zumeist durch Baiern erwarte
und die Aufnahme Badens für gefährlich halte, weil sie die Schwaben und
Baiern in fremdes Lager treiben könne. Aber wenn wir warten wollen,
bis die Majorität des bairischen Volkes zuerst bei uns den Eintritt fordert,
dann steht zu besorgen, daß die Vereinigung der deutschen Stämme nicht
eher erfolgen wird, als bis der Stuhl Se. Peters auf den sieben Hügeln ver¬
fallen sein wird und die ultramontane Partei Kant und Hegel unter ihre
Heiligen rechnet.

Unsere Pflicht gegen die Deutschen außerhalb des Bundes, und unser
nationales Recht, den deutschen Staat unabhängig vom Ausland zu gestalten,
schreiben uns sehr deutlich vor, was uns obliegt. Wir haben freudig und
mit offenen Armen den deutschen Staat aufzunehmen, dessen Volksvertreter


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[0320] Preußens mit Nußland zu bewahren. Die Anmaßung der panslavistischen Par¬ tei, die ungünstige Revision des russischen Zolltarifs und die Aushebung des Zollcartels müssen der Anfang einer Entfremdung werden, welche trotz aller entgegenstehenden Wünsche der Regierenden in naher Zukunft unvermeidlich droht, und eine Annäherung zwischen Frankreich und Nußland anbahnt, die bisher nicht durch widerstreitende Interessen der Staaten, sondern nur durch die polnischen Erinnerungen aufgehalten wurde. Oestreich aber kann ein Bundesgenoß des Nordhundes erst dann werden, wenn die Südstaaten Mit¬ glieder des Bundes sind, vorher würde der Preis, welchen Preußen sür ein solches Bündniß zu zahlen hätte, einer Zerstörung Deutschlands gleichkommen. Ist aber die Sachlage so, wie sie hier dargestellt wurde, und entsprechen die Schlüsse für die Zukunft einer verständigen Wahrscheinlichkeitsrechnung, so folgt daraus, daß die Bundesregierung und jede patriotische Partei den möglichst schnellen Eintritt der Südstaaten in den Bund als einen Fortschritt betrachten muß, welcher der größten Opfer werth ist. Denn wie diese Staaten jetzt dahin leben, sind sie eine unablässige Sorge, ein Heerd fremder Intriguen und sie werden in nächster Zeit eine starke Demüthigung des deutschen Selbstgefühls werden. Wir haben ihnen gegenüber alle. Pflichten und Gefahren, wir haben nicht die entsprechenden Leistungen, sie nicht die großen Rechte. Und wir stehen jetzt vor der neuen Gefahr, daß Deutschland in Wirklichkeit zerrissen wird, und haben uns zu hüten, daß das große Werk, welches 1866 begann, nicht durch solche Folgen verdorben werde. Aber was können wir thun, wenn sie selbst nicht wollen? Denn das freilich ist klar, diese Sache kann nicht durch die Regierungen allein oder zuförderst gemacht werden und nicht durch herausfordernde Initiative der Bundesregierung, sondern vor allem durch den Volkswillen, in erster Linie durch die Bevölkerung der Südstaaten. Und zeigen die bairischen Wahlen nicht, wie ungefüge unsere Nachbarn im Süden für den Eintritt sind? Wir lesen, daß man zu Berlin den Eintritt zumeist durch Baiern erwarte und die Aufnahme Badens für gefährlich halte, weil sie die Schwaben und Baiern in fremdes Lager treiben könne. Aber wenn wir warten wollen, bis die Majorität des bairischen Volkes zuerst bei uns den Eintritt fordert, dann steht zu besorgen, daß die Vereinigung der deutschen Stämme nicht eher erfolgen wird, als bis der Stuhl Se. Peters auf den sieben Hügeln ver¬ fallen sein wird und die ultramontane Partei Kant und Hegel unter ihre Heiligen rechnet. Unsere Pflicht gegen die Deutschen außerhalb des Bundes, und unser nationales Recht, den deutschen Staat unabhängig vom Ausland zu gestalten, schreiben uns sehr deutlich vor, was uns obliegt. Wir haben freudig und mit offenen Armen den deutschen Staat aufzunehmen, dessen Volksvertreter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/320>, abgerufen am 01.07.2024.