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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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32 vollständige Anzüge :c. Um endlich auch die von römischen Schriftstellern
so oft gerügte Schamlosigkeit der weiblichen Tracht zu berühren (jene coischen
durchsichtigen Florkleider, die die römischen Matronen im ersten Jahrhundert
von der damaligen äemi-movcle annahmen), so hat mindestens auch hierin
die neuere Zeit und schon das Mittelalter mit dem Alterthum gewetteifert.
Schon im zehnten Jahrhundert ist hierüber geklagt worden*), und diese
Klagen haben sich bis zur Zeit der Trachten a 1a, sauvaM und Z. Ig. FreeczuL
zu verschiedenen Zeiten wiederholt.

Am meisten charakteristisch für das römische Alterthum ist der dem Sü¬
den so natürliche Luxus mit kostbaren und prächtigen Farben, besonders
Scharlach und den verschiedenen Purpursorten, über welche man bei Mar-
quardt die umfassendste Belehrung findet. Doch theils wurden die so gefärb¬
ten Stoffe nur zu Einsalzen, Besätzen und Säumen verwendet, theils war
der Gebrauch der ganz purpurnen Kleider durch verschiedene Verordnungen
beschränkt. Der Preis eines lyrischen Purpurmantels von bester Farbe wird
zu Ende des ersten Jahrhunderts auf 723 Thlr. angegeben. Gegenwärtig
kosten z. B. die theuersten Cashmirshawls an 2000, Zobelpelze zuweilen
mehrere tausend Thaler, und es ist bekannt, daß der heutige Kleiderluxus
durch den vom sechszehnten bis achtzehnten Jahrhundert noch sehr überboten
wurde; ein Kleid des Marschall Bassanpierre, an dem der Arbeitslohn für
Stickerei allein auf 600 Thlr. zu stehen kam, kostete 14.000 Thlr. Diese
Angaben werden hinreichen, um das Verhältniß des antiken Kleiderluxus
zum modernen wenigstens im allgemeinen anzudeuten.

Den dritten Abschnitt über Wohnung und häusliche Einrichtung leitet
Marquardt mit einer Darstellung des Verhältnisses von Kunst und Hand¬
werk ein, die ich hier ihrem wesentlichen Inhalt nach mitzutheilen mir nicht
versagen kann. "Im Alterthum selbst wird die Kunst im engern Sinne vom
Handwerk niemals streng unterschieden, was einerseits die günstige Folge
hat, daß bei allen, selbst den untergeordnetsten Gegenständen der häuslichen
Einrichtung geschmackvolle Formen zur Anwendung kommen, andrerseits aber
die ungünstige, daß zwischen der idealen Kunstleistung und der handwerks¬
mäßigen Production höchstens ein relativer Unterschied statuirt wird. Doch
geschah diese Identification von Kunst und Handwerk bei Griechen und Rö¬
mern in wesentlich verschiedener Weise. Bei den Griechen ist jedes Hand-
Werk eine Kunst; bei den Römern jede Kunst ein Handwerk; daher erklärt
Seneca die Malerei und die Bildhauerei für ebenso illiberale Gewerbe als
das Handwerk der Steinmetzen; in der Gesetzsammlung des Theodosius werden
die Bildhauer mit den gewöhnlichen Bauhandwerkern in eine Kategorie ge-



') Falke deutsche Trachten- und Modenwelt I. 67.
Grenzboten I. 18V8.27

32 vollständige Anzüge :c. Um endlich auch die von römischen Schriftstellern
so oft gerügte Schamlosigkeit der weiblichen Tracht zu berühren (jene coischen
durchsichtigen Florkleider, die die römischen Matronen im ersten Jahrhundert
von der damaligen äemi-movcle annahmen), so hat mindestens auch hierin
die neuere Zeit und schon das Mittelalter mit dem Alterthum gewetteifert.
Schon im zehnten Jahrhundert ist hierüber geklagt worden*), und diese
Klagen haben sich bis zur Zeit der Trachten a 1a, sauvaM und Z. Ig. FreeczuL
zu verschiedenen Zeiten wiederholt.

Am meisten charakteristisch für das römische Alterthum ist der dem Sü¬
den so natürliche Luxus mit kostbaren und prächtigen Farben, besonders
Scharlach und den verschiedenen Purpursorten, über welche man bei Mar-
quardt die umfassendste Belehrung findet. Doch theils wurden die so gefärb¬
ten Stoffe nur zu Einsalzen, Besätzen und Säumen verwendet, theils war
der Gebrauch der ganz purpurnen Kleider durch verschiedene Verordnungen
beschränkt. Der Preis eines lyrischen Purpurmantels von bester Farbe wird
zu Ende des ersten Jahrhunderts auf 723 Thlr. angegeben. Gegenwärtig
kosten z. B. die theuersten Cashmirshawls an 2000, Zobelpelze zuweilen
mehrere tausend Thaler, und es ist bekannt, daß der heutige Kleiderluxus
durch den vom sechszehnten bis achtzehnten Jahrhundert noch sehr überboten
wurde; ein Kleid des Marschall Bassanpierre, an dem der Arbeitslohn für
Stickerei allein auf 600 Thlr. zu stehen kam, kostete 14.000 Thlr. Diese
Angaben werden hinreichen, um das Verhältniß des antiken Kleiderluxus
zum modernen wenigstens im allgemeinen anzudeuten.

Den dritten Abschnitt über Wohnung und häusliche Einrichtung leitet
Marquardt mit einer Darstellung des Verhältnisses von Kunst und Hand¬
werk ein, die ich hier ihrem wesentlichen Inhalt nach mitzutheilen mir nicht
versagen kann. „Im Alterthum selbst wird die Kunst im engern Sinne vom
Handwerk niemals streng unterschieden, was einerseits die günstige Folge
hat, daß bei allen, selbst den untergeordnetsten Gegenständen der häuslichen
Einrichtung geschmackvolle Formen zur Anwendung kommen, andrerseits aber
die ungünstige, daß zwischen der idealen Kunstleistung und der handwerks¬
mäßigen Production höchstens ein relativer Unterschied statuirt wird. Doch
geschah diese Identification von Kunst und Handwerk bei Griechen und Rö¬
mern in wesentlich verschiedener Weise. Bei den Griechen ist jedes Hand-
Werk eine Kunst; bei den Römern jede Kunst ein Handwerk; daher erklärt
Seneca die Malerei und die Bildhauerei für ebenso illiberale Gewerbe als
das Handwerk der Steinmetzen; in der Gesetzsammlung des Theodosius werden
die Bildhauer mit den gewöhnlichen Bauhandwerkern in eine Kategorie ge-



') Falke deutsche Trachten- und Modenwelt I. 67.
Grenzboten I. 18V8.27
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[0217] 32 vollständige Anzüge :c. Um endlich auch die von römischen Schriftstellern so oft gerügte Schamlosigkeit der weiblichen Tracht zu berühren (jene coischen durchsichtigen Florkleider, die die römischen Matronen im ersten Jahrhundert von der damaligen äemi-movcle annahmen), so hat mindestens auch hierin die neuere Zeit und schon das Mittelalter mit dem Alterthum gewetteifert. Schon im zehnten Jahrhundert ist hierüber geklagt worden*), und diese Klagen haben sich bis zur Zeit der Trachten a 1a, sauvaM und Z. Ig. FreeczuL zu verschiedenen Zeiten wiederholt. Am meisten charakteristisch für das römische Alterthum ist der dem Sü¬ den so natürliche Luxus mit kostbaren und prächtigen Farben, besonders Scharlach und den verschiedenen Purpursorten, über welche man bei Mar- quardt die umfassendste Belehrung findet. Doch theils wurden die so gefärb¬ ten Stoffe nur zu Einsalzen, Besätzen und Säumen verwendet, theils war der Gebrauch der ganz purpurnen Kleider durch verschiedene Verordnungen beschränkt. Der Preis eines lyrischen Purpurmantels von bester Farbe wird zu Ende des ersten Jahrhunderts auf 723 Thlr. angegeben. Gegenwärtig kosten z. B. die theuersten Cashmirshawls an 2000, Zobelpelze zuweilen mehrere tausend Thaler, und es ist bekannt, daß der heutige Kleiderluxus durch den vom sechszehnten bis achtzehnten Jahrhundert noch sehr überboten wurde; ein Kleid des Marschall Bassanpierre, an dem der Arbeitslohn für Stickerei allein auf 600 Thlr. zu stehen kam, kostete 14.000 Thlr. Diese Angaben werden hinreichen, um das Verhältniß des antiken Kleiderluxus zum modernen wenigstens im allgemeinen anzudeuten. Den dritten Abschnitt über Wohnung und häusliche Einrichtung leitet Marquardt mit einer Darstellung des Verhältnisses von Kunst und Hand¬ werk ein, die ich hier ihrem wesentlichen Inhalt nach mitzutheilen mir nicht versagen kann. „Im Alterthum selbst wird die Kunst im engern Sinne vom Handwerk niemals streng unterschieden, was einerseits die günstige Folge hat, daß bei allen, selbst den untergeordnetsten Gegenständen der häuslichen Einrichtung geschmackvolle Formen zur Anwendung kommen, andrerseits aber die ungünstige, daß zwischen der idealen Kunstleistung und der handwerks¬ mäßigen Production höchstens ein relativer Unterschied statuirt wird. Doch geschah diese Identification von Kunst und Handwerk bei Griechen und Rö¬ mern in wesentlich verschiedener Weise. Bei den Griechen ist jedes Hand- Werk eine Kunst; bei den Römern jede Kunst ein Handwerk; daher erklärt Seneca die Malerei und die Bildhauerei für ebenso illiberale Gewerbe als das Handwerk der Steinmetzen; in der Gesetzsammlung des Theodosius werden die Bildhauer mit den gewöhnlichen Bauhandwerkern in eine Kategorie ge- ') Falke deutsche Trachten- und Modenwelt I. 67. Grenzboten I. 18V8.27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/217>, abgerufen am 25.08.2024.