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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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neuen Gesetzentwurf abzuhelfen, welcher dem letzten Landtage wiederholt zur
Berathung vorlag. Die Stände hatten gegen denselben auch jetzt wieder
manche Bedenken. Einer von der Ritterschaft, Herr von Ferber auf Metz,
derselbe, welcher ein Jahr früher vor der Gefahr einer damals projectirten
Eisenbahn, welche die Nachbarschaft seines Gutes durchschneiden sollte, sehr
eindringlich gewarnt hatte, ließ jetzt einen schriftlichen Warnungsruf ertönen.
"Nur der große Grundbesitzer", so schrieb er, "ist prinzipiell konservativ, der
kleinere in der Regel destructiv und der Wühlerei zugänglich, wie in unserem
Lande sich fast überall herausgestellt hat." Darum keine Vermehrung der
Erbzinsleute! Der Gesetzentwurf wurde indessen mit einigen Aenderungen
angenommen; doch hörte man schon in der Versammlung die. Erwartung
aussprechen, daß das Gesetz gänzlich unwirksam bleiben werde, und in dieser
Erwartung werben die Stände sich nicht getäuscht haben.

Wie weit man auf dem Landtage von dem Verständnisse der Zeitfoxde-
rungen noch entfernt ist, das lehrte auch die Verhandlung über eine Be¬
schwerde des Rostocker Vorschußvereins wegen einer ihm abgepreßten
Zinsensteuer. Der Vorschußverein glaubte von dieser Steuer schon an sich
nicht betroffen werden zu können, da die Natur der von ihm an seine Mit¬
glieder gezählten Dividenden eine andere ist als die der Dividenden von
^ctiengejellschaften. Jedenfalls aber waren gerade diejenigen Dividenden,
Um deren Besteuerung es bei 'der Heranziehung des Vorschußvereins sich
handelte, nämlich die dem Guthaben der Mitglieder zugeschriebenen, der
Steuer nicht unterworfen, da jede einzelne Zuschreibung den von der Zinsen¬
steuer gesetzlich ausgenommenen Betrag von 10 Thlr. bei weitem nicht er¬
reichte. Die Stände aber verwarfen die Beschwerde, weil die Mitglieder des
Vereins durch die Vereinigung ihrer Capitalien zu einem gemeinsamen Ge¬
schäftsbetriebe, selbst Schuld daran seien, daß die für sich freilich der Steuer
nicht unterliegenden einzelnen Dividenden zu einer großen Summe anwuchsen,
die so nur als eine einheitliche behandelt werden könne. Mag man aber
auch über diese Auffassung verschieden urtheilen: befremdender sind jedenfalls
die bei der Verhandlung laut gewordenen Kritiken über die Vorschußvereine.
Der Landrath von Rieden, welcher sich durch die Pflichten seines Präsiden-
tenamts niemals behindern läßt, sich über die zur Berathung stehenden Ge-
öenstcinde lehrreich zu äußern, warf die Frage in die Versammlung: ob es
denn so sicher sei, daß die Vorschußvereine wohlthätig wirkten? Nach seiner
Ansicht würde durch die Vorschußvereine, welche alle kleinen Capitalien an sich
ö^gen und sich große Procente daraus machten, den Handwerkern und kleinen
beuten die Capitalien entzogen und das leichtsinnige Schuldenmachen befördert.
Als ein Bürgermeister einige Worte zu Gunsten der Vorschußvereine sprach,
^ef der Name Schulze-Delitzsch, so oft er genannt wurde, jedesmal ein


neuen Gesetzentwurf abzuhelfen, welcher dem letzten Landtage wiederholt zur
Berathung vorlag. Die Stände hatten gegen denselben auch jetzt wieder
manche Bedenken. Einer von der Ritterschaft, Herr von Ferber auf Metz,
derselbe, welcher ein Jahr früher vor der Gefahr einer damals projectirten
Eisenbahn, welche die Nachbarschaft seines Gutes durchschneiden sollte, sehr
eindringlich gewarnt hatte, ließ jetzt einen schriftlichen Warnungsruf ertönen.
„Nur der große Grundbesitzer", so schrieb er, „ist prinzipiell konservativ, der
kleinere in der Regel destructiv und der Wühlerei zugänglich, wie in unserem
Lande sich fast überall herausgestellt hat." Darum keine Vermehrung der
Erbzinsleute! Der Gesetzentwurf wurde indessen mit einigen Aenderungen
angenommen; doch hörte man schon in der Versammlung die. Erwartung
aussprechen, daß das Gesetz gänzlich unwirksam bleiben werde, und in dieser
Erwartung werben die Stände sich nicht getäuscht haben.

Wie weit man auf dem Landtage von dem Verständnisse der Zeitfoxde-
rungen noch entfernt ist, das lehrte auch die Verhandlung über eine Be¬
schwerde des Rostocker Vorschußvereins wegen einer ihm abgepreßten
Zinsensteuer. Der Vorschußverein glaubte von dieser Steuer schon an sich
nicht betroffen werden zu können, da die Natur der von ihm an seine Mit¬
glieder gezählten Dividenden eine andere ist als die der Dividenden von
^ctiengejellschaften. Jedenfalls aber waren gerade diejenigen Dividenden,
Um deren Besteuerung es bei 'der Heranziehung des Vorschußvereins sich
handelte, nämlich die dem Guthaben der Mitglieder zugeschriebenen, der
Steuer nicht unterworfen, da jede einzelne Zuschreibung den von der Zinsen¬
steuer gesetzlich ausgenommenen Betrag von 10 Thlr. bei weitem nicht er¬
reichte. Die Stände aber verwarfen die Beschwerde, weil die Mitglieder des
Vereins durch die Vereinigung ihrer Capitalien zu einem gemeinsamen Ge¬
schäftsbetriebe, selbst Schuld daran seien, daß die für sich freilich der Steuer
nicht unterliegenden einzelnen Dividenden zu einer großen Summe anwuchsen,
die so nur als eine einheitliche behandelt werden könne. Mag man aber
auch über diese Auffassung verschieden urtheilen: befremdender sind jedenfalls
die bei der Verhandlung laut gewordenen Kritiken über die Vorschußvereine.
Der Landrath von Rieden, welcher sich durch die Pflichten seines Präsiden-
tenamts niemals behindern läßt, sich über die zur Berathung stehenden Ge-
öenstcinde lehrreich zu äußern, warf die Frage in die Versammlung: ob es
denn so sicher sei, daß die Vorschußvereine wohlthätig wirkten? Nach seiner
Ansicht würde durch die Vorschußvereine, welche alle kleinen Capitalien an sich
ö^gen und sich große Procente daraus machten, den Handwerkern und kleinen
beuten die Capitalien entzogen und das leichtsinnige Schuldenmachen befördert.
Als ein Bürgermeister einige Worte zu Gunsten der Vorschußvereine sprach,
^ef der Name Schulze-Delitzsch, so oft er genannt wurde, jedesmal ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/199>, abgerufen am 03.07.2024.