Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kZkIk-govermnont herbeizuführen. Besser wäre es, wenn die Wortführer in
den Bezirksvereinen und anderen Clubs darauf hinwiesen und den Wider¬
stand gesetzlicher Selbsthilfe und Selbstverwaltung gegen die unbemessenen
Competenzen der Administration in den einzelnen Rechtsgebieten organisirten,
statt den allgemeinen Formelkram überlebter Programme immer wieder von
vorn abzuleiern, -- was schließlich eine Maschine nach Art der thibetanischen
Betmühlen auch könnte, -- wobei denn gelegentlich nur die kleine Modifika¬
tion eintritt, daß manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger mit der
"socialen Frage" schöngethan wird.

Auf diesem Felde und bei derartiger BeHandlungsweise entschwindet die
eigentliche Aufgabe einer ernsthaften oppositionellen Thätigkeit dem Gesichtskreise,
der wesentliche Inhalt des Parteilebens geht verloren, die geistige Leitung ge¬
räth in die Hände derer, welche sich häufig zeigen, viel und oft sprechen, gleichviel
was sie zu sagen haben, und die wirklich bedeutenden Führer sogar verlieren
das Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit für das, was im Namen der Partei
geschieht und ausgesprochen wird. Es kann dann soweit kommen, daß die
gelesensten Zeitungen im Namen der Partei Ansichten verbreiten, für welche
deren parlamentarische Häupter nicht einzustehen vermögen, wogegen diese wie¬
derum sich binden lassen durch theoretische Beschlüsse, welche im Strudel der
Bezirksversammlungen einer zufälligen, zweifelhaften und schwach unterrich¬
teten Majorität abgerungen wurden. --

Es galt lange für undemokratisch, dieses Mißverhältniß, das den
Gegnern wohl bekannt war und oft zur Zielscheibe ihres Spottes gedient
hatte, sich selbst einzugestehen. Je mehr sich aber, bei der Häufung unserer
Politischen Aufgaben, das Bedürfniß herausstellt, die wirkliche Volksmeinung
zu erkennen und zu klären, um so nothwendiger wird es auch, die selbst¬
gefälligen Täuschungen zu zerstören, welche mehr als alles Andere, zur
Spaltung in der liberalen Partei beigetragen haben. --




Neulich frug mich ein unpolitischer Freund, welchen Ursachen der rasche
Verfall der Fortschrittspartei zuzuschreiben sei? Er meinte nicht die nume¬
rische Abnahme, er meinte den idealen Gehalt. Mein Freund ist, wie die
meisten halbgebildeter Dilettanten, in der Politik Jdeologe: er sucht die
Partei, welche dem demokratischen Gedanken den reinsten Ausdruck verleihe.
Nun sind ihm die Männer, die er früher bewundert hat, immer unverständ¬
licher geworden. Nachdem er den Abfall der einen betrauert hat, beklagter
den Verfall der Anderen. Er hatte sich darüber getröstet, daß die Capacitäten
und Specialitäten, wie er sagte, sich in einer gemäßigteren Fraction zusam¬
menfanden; er erklärte das für den Fluch des Fachwissens und der Detail-


21*

kZkIk-govermnont herbeizuführen. Besser wäre es, wenn die Wortführer in
den Bezirksvereinen und anderen Clubs darauf hinwiesen und den Wider¬
stand gesetzlicher Selbsthilfe und Selbstverwaltung gegen die unbemessenen
Competenzen der Administration in den einzelnen Rechtsgebieten organisirten,
statt den allgemeinen Formelkram überlebter Programme immer wieder von
vorn abzuleiern, — was schließlich eine Maschine nach Art der thibetanischen
Betmühlen auch könnte, — wobei denn gelegentlich nur die kleine Modifika¬
tion eintritt, daß manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger mit der
„socialen Frage" schöngethan wird.

Auf diesem Felde und bei derartiger BeHandlungsweise entschwindet die
eigentliche Aufgabe einer ernsthaften oppositionellen Thätigkeit dem Gesichtskreise,
der wesentliche Inhalt des Parteilebens geht verloren, die geistige Leitung ge¬
räth in die Hände derer, welche sich häufig zeigen, viel und oft sprechen, gleichviel
was sie zu sagen haben, und die wirklich bedeutenden Führer sogar verlieren
das Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit für das, was im Namen der Partei
geschieht und ausgesprochen wird. Es kann dann soweit kommen, daß die
gelesensten Zeitungen im Namen der Partei Ansichten verbreiten, für welche
deren parlamentarische Häupter nicht einzustehen vermögen, wogegen diese wie¬
derum sich binden lassen durch theoretische Beschlüsse, welche im Strudel der
Bezirksversammlungen einer zufälligen, zweifelhaften und schwach unterrich¬
teten Majorität abgerungen wurden. —

Es galt lange für undemokratisch, dieses Mißverhältniß, das den
Gegnern wohl bekannt war und oft zur Zielscheibe ihres Spottes gedient
hatte, sich selbst einzugestehen. Je mehr sich aber, bei der Häufung unserer
Politischen Aufgaben, das Bedürfniß herausstellt, die wirkliche Volksmeinung
zu erkennen und zu klären, um so nothwendiger wird es auch, die selbst¬
gefälligen Täuschungen zu zerstören, welche mehr als alles Andere, zur
Spaltung in der liberalen Partei beigetragen haben. —




Neulich frug mich ein unpolitischer Freund, welchen Ursachen der rasche
Verfall der Fortschrittspartei zuzuschreiben sei? Er meinte nicht die nume¬
rische Abnahme, er meinte den idealen Gehalt. Mein Freund ist, wie die
meisten halbgebildeter Dilettanten, in der Politik Jdeologe: er sucht die
Partei, welche dem demokratischen Gedanken den reinsten Ausdruck verleihe.
Nun sind ihm die Männer, die er früher bewundert hat, immer unverständ¬
licher geworden. Nachdem er den Abfall der einen betrauert hat, beklagter
den Verfall der Anderen. Er hatte sich darüber getröstet, daß die Capacitäten
und Specialitäten, wie er sagte, sich in einer gemäßigteren Fraction zusam¬
menfanden; er erklärte das für den Fluch des Fachwissens und der Detail-


21*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117177"/>
          <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> kZkIk-govermnont herbeizuführen. Besser wäre es, wenn die Wortführer in<lb/>
den Bezirksvereinen und anderen Clubs darauf hinwiesen und den Wider¬<lb/>
stand gesetzlicher Selbsthilfe und Selbstverwaltung gegen die unbemessenen<lb/>
Competenzen der Administration in den einzelnen Rechtsgebieten organisirten,<lb/>
statt den allgemeinen Formelkram überlebter Programme immer wieder von<lb/>
vorn abzuleiern, &#x2014; was schließlich eine Maschine nach Art der thibetanischen<lb/>
Betmühlen auch könnte, &#x2014; wobei denn gelegentlich nur die kleine Modifika¬<lb/>
tion eintritt, daß manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger mit der<lb/>
&#x201E;socialen Frage" schöngethan wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_459"> Auf diesem Felde und bei derartiger BeHandlungsweise entschwindet die<lb/>
eigentliche Aufgabe einer ernsthaften oppositionellen Thätigkeit dem Gesichtskreise,<lb/>
der wesentliche Inhalt des Parteilebens geht verloren, die geistige Leitung ge¬<lb/>
räth in die Hände derer, welche sich häufig zeigen, viel und oft sprechen, gleichviel<lb/>
was sie zu sagen haben, und die wirklich bedeutenden Führer sogar verlieren<lb/>
das Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit für das, was im Namen der Partei<lb/>
geschieht und ausgesprochen wird. Es kann dann soweit kommen, daß die<lb/>
gelesensten Zeitungen im Namen der Partei Ansichten verbreiten, für welche<lb/>
deren parlamentarische Häupter nicht einzustehen vermögen, wogegen diese wie¬<lb/>
derum sich binden lassen durch theoretische Beschlüsse, welche im Strudel der<lb/>
Bezirksversammlungen einer zufälligen, zweifelhaften und schwach unterrich¬<lb/>
teten Majorität abgerungen wurden. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_460"> Es galt lange für undemokratisch, dieses Mißverhältniß, das den<lb/>
Gegnern wohl bekannt war und oft zur Zielscheibe ihres Spottes gedient<lb/>
hatte, sich selbst einzugestehen. Je mehr sich aber, bei der Häufung unserer<lb/>
Politischen Aufgaben, das Bedürfniß herausstellt, die wirkliche Volksmeinung<lb/>
zu erkennen und zu klären, um so nothwendiger wird es auch, die selbst¬<lb/>
gefälligen Täuschungen zu zerstören, welche mehr als alles Andere, zur<lb/>
Spaltung in der liberalen Partei beigetragen haben. &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_461" next="#ID_462"> Neulich frug mich ein unpolitischer Freund, welchen Ursachen der rasche<lb/>
Verfall der Fortschrittspartei zuzuschreiben sei? Er meinte nicht die nume¬<lb/>
rische Abnahme, er meinte den idealen Gehalt. Mein Freund ist, wie die<lb/>
meisten halbgebildeter Dilettanten, in der Politik Jdeologe: er sucht die<lb/>
Partei, welche dem demokratischen Gedanken den reinsten Ausdruck verleihe.<lb/>
Nun sind ihm die Männer, die er früher bewundert hat, immer unverständ¬<lb/>
licher geworden. Nachdem er den Abfall der einen betrauert hat, beklagter<lb/>
den Verfall der Anderen. Er hatte sich darüber getröstet, daß die Capacitäten<lb/>
und Specialitäten, wie er sagte, sich in einer gemäßigteren Fraction zusam¬<lb/>
menfanden; er erklärte das für den Fluch des Fachwissens und der Detail-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 21*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] kZkIk-govermnont herbeizuführen. Besser wäre es, wenn die Wortführer in den Bezirksvereinen und anderen Clubs darauf hinwiesen und den Wider¬ stand gesetzlicher Selbsthilfe und Selbstverwaltung gegen die unbemessenen Competenzen der Administration in den einzelnen Rechtsgebieten organisirten, statt den allgemeinen Formelkram überlebter Programme immer wieder von vorn abzuleiern, — was schließlich eine Maschine nach Art der thibetanischen Betmühlen auch könnte, — wobei denn gelegentlich nur die kleine Modifika¬ tion eintritt, daß manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger mit der „socialen Frage" schöngethan wird. Auf diesem Felde und bei derartiger BeHandlungsweise entschwindet die eigentliche Aufgabe einer ernsthaften oppositionellen Thätigkeit dem Gesichtskreise, der wesentliche Inhalt des Parteilebens geht verloren, die geistige Leitung ge¬ räth in die Hände derer, welche sich häufig zeigen, viel und oft sprechen, gleichviel was sie zu sagen haben, und die wirklich bedeutenden Führer sogar verlieren das Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit für das, was im Namen der Partei geschieht und ausgesprochen wird. Es kann dann soweit kommen, daß die gelesensten Zeitungen im Namen der Partei Ansichten verbreiten, für welche deren parlamentarische Häupter nicht einzustehen vermögen, wogegen diese wie¬ derum sich binden lassen durch theoretische Beschlüsse, welche im Strudel der Bezirksversammlungen einer zufälligen, zweifelhaften und schwach unterrich¬ teten Majorität abgerungen wurden. — Es galt lange für undemokratisch, dieses Mißverhältniß, das den Gegnern wohl bekannt war und oft zur Zielscheibe ihres Spottes gedient hatte, sich selbst einzugestehen. Je mehr sich aber, bei der Häufung unserer Politischen Aufgaben, das Bedürfniß herausstellt, die wirkliche Volksmeinung zu erkennen und zu klären, um so nothwendiger wird es auch, die selbst¬ gefälligen Täuschungen zu zerstören, welche mehr als alles Andere, zur Spaltung in der liberalen Partei beigetragen haben. — Neulich frug mich ein unpolitischer Freund, welchen Ursachen der rasche Verfall der Fortschrittspartei zuzuschreiben sei? Er meinte nicht die nume¬ rische Abnahme, er meinte den idealen Gehalt. Mein Freund ist, wie die meisten halbgebildeter Dilettanten, in der Politik Jdeologe: er sucht die Partei, welche dem demokratischen Gedanken den reinsten Ausdruck verleihe. Nun sind ihm die Männer, die er früher bewundert hat, immer unverständ¬ licher geworden. Nachdem er den Abfall der einen betrauert hat, beklagter den Verfall der Anderen. Er hatte sich darüber getröstet, daß die Capacitäten und Specialitäten, wie er sagte, sich in einer gemäßigteren Fraction zusam¬ menfanden; er erklärte das für den Fluch des Fachwissens und der Detail- 21*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/171>, abgerufen am 25.08.2024.