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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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welche damit unzufrieden waren, erhoben gegen ihn die Beschuldigung, er habe
sie durch Zauberkünste berückt. Es wurde ihm leicht, in seiner noch erhaltenen
Vertheidigungsrede die Unwissenheit und Dummheit seiner Ankläger wie seine
überlegene geistige Bildung ins beste Licht zu sehen; er wurde freigesprochen,
aber der Ruf eines Zauberers blieb an seinem Namen haften, hauptsächlich
wohl, weil man ihn später mit dem Helden seines Romans identificirte. --> Zur
Zeit des Apulejus war das Interesse des Publikums an wohl stilisirten, kunst-
gemäß gehaltenen öffentlichen Vorträgen auf einen hohen Grad gestiegen, die
Sophisten, wie man diese Vortragskünstler nannte, wanderten von Ort zu
Ort und waren sicher, Beifall, Ehre und Belohnung zu finden. Auch Apulejus
übte diese Kunst, die ihm in mehr als einer Stadt die Ehre einer Statue
verschaffte; noch sind Aufsähe vorhanden, durch welche die improvisirten oder
vorbereiteten Vorträge eingeleitet wurden, wahre Cabinetsstücke raffinirter
rhetorischer Ausarbeitung. Diese Nedefertigkeit feste allerdings eine vielseitige
Bildung voraus, deren Hilfsmittel dem Redner stets zur Hand sein mußten,
bei Apulejus geht diese Vielseitigkeit der Studien, wenn sie gleich dem Prunk
und der Eitelkeit dient, doch unleugbar auch aus einem tieferen Bedürfniß
hervor. Mit der unruhigen Hast, welche diese übersättigte, in der Zersetzung
begriffene Zeit überhaupt charakterisirt, suchte er für ein vages geistiges Streben
Befriedigung in den verschiedensten, ja entgegengesetzten Studien, die er, um
auch äußerlich Genugthuung zu erhalten, als Schriftsteller ausbeutete. Vor allem
wollte er Philosoph sein, und die platonische Philosophie in der mysti-
sirenden Auffassung, wie sie sich mehr und mehr geltend machte, sprach ihn
am meisten an, aber damit vertrugen sich peripatetische, stoische, cynische
Ansichten und Lehren, die er allein verschiedenen Schriften bearbeitete. Einem
eigenthümlichen Zuge jener Zeit folgend, welche sich der Betrachtung der Natur
mit einem gewissen ascetischen Sinne zuwandte, um dadurch vor der raffinirten
Ueberfeinerung zu reinerer Auffassung und einfachen Sitten zu gelangen, be¬
arbeitete Apulejus nicht allein die naturwissenschaftlichen Schriften des Ari¬
stoteles und Theophrast, wobei ersich rühmte, der lateinischen Sprache die
Terminologie dieser Wissenschaften gegeben zu haben, sondern stellte auch eigene
Untersuchungen an. Er trieb Anatomie und Zoologie, Versteinerungen führten
ihn aus geologische Hypothesen, in medicinischen Schriften gab er seinen For¬
schungen practische Anwendung. Nicht zufrieden mit dieser wissenschaftlichen
Aufklärung suchte er höhere Einsicht auch in den Geheimlehren der Religion
zu gewinnen, in alle Mysterien und Orden fremder Culte ließ er sich ein¬
weihen; auch bei ihm gingen Naturphilosophie und Schwärmerei Hand in
Hand. Diesen nach allen Richtungen gehenden Studien entsprach eine nicht
minder ausgedehnte Schriftstellerei über Grammatik. Philosophie, Mathematik,
Musik, Naturwissenschaften, Medicin, Agricultur, wobei er freilich fast immer


welche damit unzufrieden waren, erhoben gegen ihn die Beschuldigung, er habe
sie durch Zauberkünste berückt. Es wurde ihm leicht, in seiner noch erhaltenen
Vertheidigungsrede die Unwissenheit und Dummheit seiner Ankläger wie seine
überlegene geistige Bildung ins beste Licht zu sehen; er wurde freigesprochen,
aber der Ruf eines Zauberers blieb an seinem Namen haften, hauptsächlich
wohl, weil man ihn später mit dem Helden seines Romans identificirte. —> Zur
Zeit des Apulejus war das Interesse des Publikums an wohl stilisirten, kunst-
gemäß gehaltenen öffentlichen Vorträgen auf einen hohen Grad gestiegen, die
Sophisten, wie man diese Vortragskünstler nannte, wanderten von Ort zu
Ort und waren sicher, Beifall, Ehre und Belohnung zu finden. Auch Apulejus
übte diese Kunst, die ihm in mehr als einer Stadt die Ehre einer Statue
verschaffte; noch sind Aufsähe vorhanden, durch welche die improvisirten oder
vorbereiteten Vorträge eingeleitet wurden, wahre Cabinetsstücke raffinirter
rhetorischer Ausarbeitung. Diese Nedefertigkeit feste allerdings eine vielseitige
Bildung voraus, deren Hilfsmittel dem Redner stets zur Hand sein mußten,
bei Apulejus geht diese Vielseitigkeit der Studien, wenn sie gleich dem Prunk
und der Eitelkeit dient, doch unleugbar auch aus einem tieferen Bedürfniß
hervor. Mit der unruhigen Hast, welche diese übersättigte, in der Zersetzung
begriffene Zeit überhaupt charakterisirt, suchte er für ein vages geistiges Streben
Befriedigung in den verschiedensten, ja entgegengesetzten Studien, die er, um
auch äußerlich Genugthuung zu erhalten, als Schriftsteller ausbeutete. Vor allem
wollte er Philosoph sein, und die platonische Philosophie in der mysti-
sirenden Auffassung, wie sie sich mehr und mehr geltend machte, sprach ihn
am meisten an, aber damit vertrugen sich peripatetische, stoische, cynische
Ansichten und Lehren, die er allein verschiedenen Schriften bearbeitete. Einem
eigenthümlichen Zuge jener Zeit folgend, welche sich der Betrachtung der Natur
mit einem gewissen ascetischen Sinne zuwandte, um dadurch vor der raffinirten
Ueberfeinerung zu reinerer Auffassung und einfachen Sitten zu gelangen, be¬
arbeitete Apulejus nicht allein die naturwissenschaftlichen Schriften des Ari¬
stoteles und Theophrast, wobei ersich rühmte, der lateinischen Sprache die
Terminologie dieser Wissenschaften gegeben zu haben, sondern stellte auch eigene
Untersuchungen an. Er trieb Anatomie und Zoologie, Versteinerungen führten
ihn aus geologische Hypothesen, in medicinischen Schriften gab er seinen For¬
schungen practische Anwendung. Nicht zufrieden mit dieser wissenschaftlichen
Aufklärung suchte er höhere Einsicht auch in den Geheimlehren der Religion
zu gewinnen, in alle Mysterien und Orden fremder Culte ließ er sich ein¬
weihen; auch bei ihm gingen Naturphilosophie und Schwärmerei Hand in
Hand. Diesen nach allen Richtungen gehenden Studien entsprach eine nicht
minder ausgedehnte Schriftstellerei über Grammatik. Philosophie, Mathematik,
Musik, Naturwissenschaften, Medicin, Agricultur, wobei er freilich fast immer


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[0450] welche damit unzufrieden waren, erhoben gegen ihn die Beschuldigung, er habe sie durch Zauberkünste berückt. Es wurde ihm leicht, in seiner noch erhaltenen Vertheidigungsrede die Unwissenheit und Dummheit seiner Ankläger wie seine überlegene geistige Bildung ins beste Licht zu sehen; er wurde freigesprochen, aber der Ruf eines Zauberers blieb an seinem Namen haften, hauptsächlich wohl, weil man ihn später mit dem Helden seines Romans identificirte. —> Zur Zeit des Apulejus war das Interesse des Publikums an wohl stilisirten, kunst- gemäß gehaltenen öffentlichen Vorträgen auf einen hohen Grad gestiegen, die Sophisten, wie man diese Vortragskünstler nannte, wanderten von Ort zu Ort und waren sicher, Beifall, Ehre und Belohnung zu finden. Auch Apulejus übte diese Kunst, die ihm in mehr als einer Stadt die Ehre einer Statue verschaffte; noch sind Aufsähe vorhanden, durch welche die improvisirten oder vorbereiteten Vorträge eingeleitet wurden, wahre Cabinetsstücke raffinirter rhetorischer Ausarbeitung. Diese Nedefertigkeit feste allerdings eine vielseitige Bildung voraus, deren Hilfsmittel dem Redner stets zur Hand sein mußten, bei Apulejus geht diese Vielseitigkeit der Studien, wenn sie gleich dem Prunk und der Eitelkeit dient, doch unleugbar auch aus einem tieferen Bedürfniß hervor. Mit der unruhigen Hast, welche diese übersättigte, in der Zersetzung begriffene Zeit überhaupt charakterisirt, suchte er für ein vages geistiges Streben Befriedigung in den verschiedensten, ja entgegengesetzten Studien, die er, um auch äußerlich Genugthuung zu erhalten, als Schriftsteller ausbeutete. Vor allem wollte er Philosoph sein, und die platonische Philosophie in der mysti- sirenden Auffassung, wie sie sich mehr und mehr geltend machte, sprach ihn am meisten an, aber damit vertrugen sich peripatetische, stoische, cynische Ansichten und Lehren, die er allein verschiedenen Schriften bearbeitete. Einem eigenthümlichen Zuge jener Zeit folgend, welche sich der Betrachtung der Natur mit einem gewissen ascetischen Sinne zuwandte, um dadurch vor der raffinirten Ueberfeinerung zu reinerer Auffassung und einfachen Sitten zu gelangen, be¬ arbeitete Apulejus nicht allein die naturwissenschaftlichen Schriften des Ari¬ stoteles und Theophrast, wobei ersich rühmte, der lateinischen Sprache die Terminologie dieser Wissenschaften gegeben zu haben, sondern stellte auch eigene Untersuchungen an. Er trieb Anatomie und Zoologie, Versteinerungen führten ihn aus geologische Hypothesen, in medicinischen Schriften gab er seinen For¬ schungen practische Anwendung. Nicht zufrieden mit dieser wissenschaftlichen Aufklärung suchte er höhere Einsicht auch in den Geheimlehren der Religion zu gewinnen, in alle Mysterien und Orden fremder Culte ließ er sich ein¬ weihen; auch bei ihm gingen Naturphilosophie und Schwärmerei Hand in Hand. Diesen nach allen Richtungen gehenden Studien entsprach eine nicht minder ausgedehnte Schriftstellerei über Grammatik. Philosophie, Mathematik, Musik, Naturwissenschaften, Medicin, Agricultur, wobei er freilich fast immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/450>, abgerufen am 19.10.2024.