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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Und nun betrachte man das Vorgehen bei den Strandungen selbst. Kaum
ein Fall unter 10, wo nicht, um den Bergelohn festzustellen, der ganze zu¬
lässige Instanzenzug durchgemacht wird; man sehe und höre die Ansprüche
der Berger; wie fast jedesmal, obwohl das Gesetz solche Verträge für nichtig
erklärt, die Berger, ehe sie der in Todesgefahr schwebenden Mannschaft die begehrte
Hilfe leisten, einen hohen Bergelohn zugesichert zubekommen versuchen, wie bei
fast jeder Verklärung einer gestrandeten Schiffsbesatzung dieselbe Klage sich wieder¬
holt, daß Allem zuvor erst das Versprechen reichlichen Bergelohns verlangt sei.

Hören wir, wie ein mit den Strandungsverhältnissen besonders vertrauter
Mann sich über diesen Punkt ausspncht: "Leider ist das Pflichtgefühl und über¬
haupt eine edlere Regung, dem bedrängten Mitmenschen aus Nächstenliebe bei-
zustehen, an den Küsten und Inseln ein unbekanntes Gefühl oder doch eine
überaus seltene Erscheinung. Einestheils mag der häufige Anblick der See¬
gefahr zum Verwischen des Eindrucks derselben beitragen, während die Küsten-
und Jnselbewohner zugleich andererseits die Strandungsfälle als ein lohnendes
Ereignis; betrachten und möglichst viel Gewinn daraus zu ziehen suchen. Wahr¬
haft betrübend aber ist es zu sehen, wie die Retter, selbst vielleicht in drohen¬
der Lebensgefahr, doch noch Zeit haben, um das Leben anderer zu feilschen und
dem bedrängten Schiffer nur gegen Auslobung einer namhaften Summe die
ersehnte Hilfe zu gewähren! Aus der Lage des Letzteren ziehen sie Vortheil,
indem sie ihn nöthigen, das Verlangte zu versprechen, oder aber ihn seinem
Schicksale überlassen und den Tod eines Mitmenschen auf sich laden."

Mögen diese 1864 geschriebenen Worte, deren Schreiber, wie gesagt, wie
wenige mit der Lage der Dinge vertraut ist und ein halbes Menschenalter
mit ihnen sich beschäftigt hat, auch hart sein, jedenfalls liegen sie der Wahr¬
heit näher als die poetische Auffassung der Binnenländer.

Noch eins sei gestattet besonders hervorzuheben, daß nämlich mit dem
Augenblick, wo Berger ein in Noth befindliches Schiff besetzen, der Capitän
seiner Disposition darüber verlustig geht. Zwar nicht direct nach absoluter
Gesctzesvoischrift, aber faktisch durch das den Bergern gesetzlich eingeräumte
Pfand- und Retentionsrecht von Schiff und Ladung.

Die englische Barke Jubilee war an der holländischen Küste leck geworden
und von der Mannschaft verlassen; kurz nachher entdeckt diese, daß das Schiff
blos aus eine Plate gerathen ist und kehrt dahin zurück. Allein inzwischen
haben bereits Berger das Schiff besetzt, und obwohl an der Legitimation
des Kapitäns nicht der mindeste Zweifel ist. weigern sich die Berger, dessen
Anordnungen hinsichtlich der Bergung zu folgen und verfahren gegen dessen
Willen zu seinem Nachtheil. Im später erhobenen Rechtsstreit wurde den Ber¬
gern Recht gegeben, weil der Capitän ihren mit Betretung des Schisses bereits
erworbenen Anspruch auf Bergelohn nicht sofort zu befriedigen vermocht hatte.


Und nun betrachte man das Vorgehen bei den Strandungen selbst. Kaum
ein Fall unter 10, wo nicht, um den Bergelohn festzustellen, der ganze zu¬
lässige Instanzenzug durchgemacht wird; man sehe und höre die Ansprüche
der Berger; wie fast jedesmal, obwohl das Gesetz solche Verträge für nichtig
erklärt, die Berger, ehe sie der in Todesgefahr schwebenden Mannschaft die begehrte
Hilfe leisten, einen hohen Bergelohn zugesichert zubekommen versuchen, wie bei
fast jeder Verklärung einer gestrandeten Schiffsbesatzung dieselbe Klage sich wieder¬
holt, daß Allem zuvor erst das Versprechen reichlichen Bergelohns verlangt sei.

Hören wir, wie ein mit den Strandungsverhältnissen besonders vertrauter
Mann sich über diesen Punkt ausspncht: „Leider ist das Pflichtgefühl und über¬
haupt eine edlere Regung, dem bedrängten Mitmenschen aus Nächstenliebe bei-
zustehen, an den Küsten und Inseln ein unbekanntes Gefühl oder doch eine
überaus seltene Erscheinung. Einestheils mag der häufige Anblick der See¬
gefahr zum Verwischen des Eindrucks derselben beitragen, während die Küsten-
und Jnselbewohner zugleich andererseits die Strandungsfälle als ein lohnendes
Ereignis; betrachten und möglichst viel Gewinn daraus zu ziehen suchen. Wahr¬
haft betrübend aber ist es zu sehen, wie die Retter, selbst vielleicht in drohen¬
der Lebensgefahr, doch noch Zeit haben, um das Leben anderer zu feilschen und
dem bedrängten Schiffer nur gegen Auslobung einer namhaften Summe die
ersehnte Hilfe zu gewähren! Aus der Lage des Letzteren ziehen sie Vortheil,
indem sie ihn nöthigen, das Verlangte zu versprechen, oder aber ihn seinem
Schicksale überlassen und den Tod eines Mitmenschen auf sich laden."

Mögen diese 1864 geschriebenen Worte, deren Schreiber, wie gesagt, wie
wenige mit der Lage der Dinge vertraut ist und ein halbes Menschenalter
mit ihnen sich beschäftigt hat, auch hart sein, jedenfalls liegen sie der Wahr¬
heit näher als die poetische Auffassung der Binnenländer.

Noch eins sei gestattet besonders hervorzuheben, daß nämlich mit dem
Augenblick, wo Berger ein in Noth befindliches Schiff besetzen, der Capitän
seiner Disposition darüber verlustig geht. Zwar nicht direct nach absoluter
Gesctzesvoischrift, aber faktisch durch das den Bergern gesetzlich eingeräumte
Pfand- und Retentionsrecht von Schiff und Ladung.

Die englische Barke Jubilee war an der holländischen Küste leck geworden
und von der Mannschaft verlassen; kurz nachher entdeckt diese, daß das Schiff
blos aus eine Plate gerathen ist und kehrt dahin zurück. Allein inzwischen
haben bereits Berger das Schiff besetzt, und obwohl an der Legitimation
des Kapitäns nicht der mindeste Zweifel ist. weigern sich die Berger, dessen
Anordnungen hinsichtlich der Bergung zu folgen und verfahren gegen dessen
Willen zu seinem Nachtheil. Im später erhobenen Rechtsstreit wurde den Ber¬
gern Recht gegeben, weil der Capitän ihren mit Betretung des Schisses bereits
erworbenen Anspruch auf Bergelohn nicht sofort zu befriedigen vermocht hatte.


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[0428] Und nun betrachte man das Vorgehen bei den Strandungen selbst. Kaum ein Fall unter 10, wo nicht, um den Bergelohn festzustellen, der ganze zu¬ lässige Instanzenzug durchgemacht wird; man sehe und höre die Ansprüche der Berger; wie fast jedesmal, obwohl das Gesetz solche Verträge für nichtig erklärt, die Berger, ehe sie der in Todesgefahr schwebenden Mannschaft die begehrte Hilfe leisten, einen hohen Bergelohn zugesichert zubekommen versuchen, wie bei fast jeder Verklärung einer gestrandeten Schiffsbesatzung dieselbe Klage sich wieder¬ holt, daß Allem zuvor erst das Versprechen reichlichen Bergelohns verlangt sei. Hören wir, wie ein mit den Strandungsverhältnissen besonders vertrauter Mann sich über diesen Punkt ausspncht: „Leider ist das Pflichtgefühl und über¬ haupt eine edlere Regung, dem bedrängten Mitmenschen aus Nächstenliebe bei- zustehen, an den Küsten und Inseln ein unbekanntes Gefühl oder doch eine überaus seltene Erscheinung. Einestheils mag der häufige Anblick der See¬ gefahr zum Verwischen des Eindrucks derselben beitragen, während die Küsten- und Jnselbewohner zugleich andererseits die Strandungsfälle als ein lohnendes Ereignis; betrachten und möglichst viel Gewinn daraus zu ziehen suchen. Wahr¬ haft betrübend aber ist es zu sehen, wie die Retter, selbst vielleicht in drohen¬ der Lebensgefahr, doch noch Zeit haben, um das Leben anderer zu feilschen und dem bedrängten Schiffer nur gegen Auslobung einer namhaften Summe die ersehnte Hilfe zu gewähren! Aus der Lage des Letzteren ziehen sie Vortheil, indem sie ihn nöthigen, das Verlangte zu versprechen, oder aber ihn seinem Schicksale überlassen und den Tod eines Mitmenschen auf sich laden." Mögen diese 1864 geschriebenen Worte, deren Schreiber, wie gesagt, wie wenige mit der Lage der Dinge vertraut ist und ein halbes Menschenalter mit ihnen sich beschäftigt hat, auch hart sein, jedenfalls liegen sie der Wahr¬ heit näher als die poetische Auffassung der Binnenländer. Noch eins sei gestattet besonders hervorzuheben, daß nämlich mit dem Augenblick, wo Berger ein in Noth befindliches Schiff besetzen, der Capitän seiner Disposition darüber verlustig geht. Zwar nicht direct nach absoluter Gesctzesvoischrift, aber faktisch durch das den Bergern gesetzlich eingeräumte Pfand- und Retentionsrecht von Schiff und Ladung. Die englische Barke Jubilee war an der holländischen Küste leck geworden und von der Mannschaft verlassen; kurz nachher entdeckt diese, daß das Schiff blos aus eine Plate gerathen ist und kehrt dahin zurück. Allein inzwischen haben bereits Berger das Schiff besetzt, und obwohl an der Legitimation des Kapitäns nicht der mindeste Zweifel ist. weigern sich die Berger, dessen Anordnungen hinsichtlich der Bergung zu folgen und verfahren gegen dessen Willen zu seinem Nachtheil. Im später erhobenen Rechtsstreit wurde den Ber¬ gern Recht gegeben, weil der Capitän ihren mit Betretung des Schisses bereits erworbenen Anspruch auf Bergelohn nicht sofort zu befriedigen vermocht hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/428>, abgerufen am 20.10.2024.