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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Nur die Rede sein kann, wenn auch die Fluth oder das Hochwasser das Schiff
nicht wieder vom Boden erhebt, daß der regelmäßige Unterschied zwischen höch-
ster Fluth und niedrigster Ebbe in der Nordsee 12--14 Fuß sind, daß abge¬
sehen von der durch Fluth und Ebbe hervorgerufenen Bewegung selbst die
flachen Stellen, an denen Schiffe stranden, schon ziemlich starke Brandung zu haben
Pflegen, daß auch das fest liegende Schiff durch die Wellen stetem Ausstoßen
und Schwanken unterworfen ist und schon dadurch, daß es dem immer bewegten
Wasser ein Hinderniß bietet, die Wellen in seiner Umgebung beträchtlich erregt,
daß endlich Strandungen meist nur in stürmischer Jahreszeit stattfinden, so
wird auch der die See nicht kennende Binnenländer sich denken können, daß
das Bergen nicht ein einfaches in kurzer Zeit abgemachtes Geschäft, wie das
Entlöschen im sichern Hafen unter einem mächtigen Dampflrahn, der die
schweren Ballen in die Höhe befördert, sondern eine lästige zeitraubende Arbeit
ist. Meist ist bei Hochwasser das Wrack völlig von den Wellen überfluthet,
so daß an Bergen nicht gedacht werden kann, häufig ist der Brandung halben
nur mit weiten Umwegen zum Wrack zu gelangen, fast regelmäßig vermögen
nur kleine Boote die Strcmdungsstclle zu erreichen, Hebemaschinen lassen sich
nur selten anbringen; das stete Schwanken des Wracks droht die sich zu nah
heranwagenden Boote zu zerschellen; kurz das Bergen ist nur bei günstigem
Wetter und auch dann meist nur wenige Stunden des Tages überhaupt möglich
und dauert bei einem Wrack oft mehre Wochen, ja Monate.

Und zu dieser so zeitraubenden wie unregelmäßigen Arbeit besteht eine
Zwangspflicht! Schiff und Ladung sind gewissermaßen bereits als verloren zu
betrachten, und nur Wiedergewinn eines Theils des Verlorenen ist noch zu er¬
streben; dieser Gewinn aber liegt lediglich im Interesse des Nheders und der La-
dungseigenthümcr, oder wie heutzutage die Verhältnisse factisch liegen, aus¬
nahmslos des Assecuratcurs.

Der Verhinderer oder die betreffende Versicherungsgesellschaft zahlt im Siran-
dungsfalle die volle Entschädigung aus, für welche das Risico übernommen
war und sucht nun seinerseits aus dem gestrandeten Schiffe nach Möglichkeit
noch etwas zu retten. Und um diesem Interesse des Versicherers dienstbar zu
werden und zu dessen Privatvorthcile in einer Angelegenheit, wobei das Ge¬
meinwohl nicht im entferntesten in Frage kommt, wo es sich nicht um Ab¬
wendung einer Gefahr, sondern um Erlangung eines Gewinns handelt, wo
dem Verhinderer Zeit und Geldmittel zu Gebote stehen, um durch freien Ver¬
trag Arbeiter zum Bergen zu gewinnen, legt die Staatsgewalt den Stranv-
anwohnern eine öffentliche Rechtspflicht zum Bergen auf! Wahrlich, ein schärfe¬
rer Verstoß gegen alle gesunden- Pnncipien von der Pflicht und der damit sich
deckenden Befugniß des Staats zum Eingreifen in die Privatrechtssphäre des
Einzelnen läßt sich kaum denken.


Grenzboten IV. 1867. 54

Nur die Rede sein kann, wenn auch die Fluth oder das Hochwasser das Schiff
nicht wieder vom Boden erhebt, daß der regelmäßige Unterschied zwischen höch-
ster Fluth und niedrigster Ebbe in der Nordsee 12—14 Fuß sind, daß abge¬
sehen von der durch Fluth und Ebbe hervorgerufenen Bewegung selbst die
flachen Stellen, an denen Schiffe stranden, schon ziemlich starke Brandung zu haben
Pflegen, daß auch das fest liegende Schiff durch die Wellen stetem Ausstoßen
und Schwanken unterworfen ist und schon dadurch, daß es dem immer bewegten
Wasser ein Hinderniß bietet, die Wellen in seiner Umgebung beträchtlich erregt,
daß endlich Strandungen meist nur in stürmischer Jahreszeit stattfinden, so
wird auch der die See nicht kennende Binnenländer sich denken können, daß
das Bergen nicht ein einfaches in kurzer Zeit abgemachtes Geschäft, wie das
Entlöschen im sichern Hafen unter einem mächtigen Dampflrahn, der die
schweren Ballen in die Höhe befördert, sondern eine lästige zeitraubende Arbeit
ist. Meist ist bei Hochwasser das Wrack völlig von den Wellen überfluthet,
so daß an Bergen nicht gedacht werden kann, häufig ist der Brandung halben
nur mit weiten Umwegen zum Wrack zu gelangen, fast regelmäßig vermögen
nur kleine Boote die Strcmdungsstclle zu erreichen, Hebemaschinen lassen sich
nur selten anbringen; das stete Schwanken des Wracks droht die sich zu nah
heranwagenden Boote zu zerschellen; kurz das Bergen ist nur bei günstigem
Wetter und auch dann meist nur wenige Stunden des Tages überhaupt möglich
und dauert bei einem Wrack oft mehre Wochen, ja Monate.

Und zu dieser so zeitraubenden wie unregelmäßigen Arbeit besteht eine
Zwangspflicht! Schiff und Ladung sind gewissermaßen bereits als verloren zu
betrachten, und nur Wiedergewinn eines Theils des Verlorenen ist noch zu er¬
streben; dieser Gewinn aber liegt lediglich im Interesse des Nheders und der La-
dungseigenthümcr, oder wie heutzutage die Verhältnisse factisch liegen, aus¬
nahmslos des Assecuratcurs.

Der Verhinderer oder die betreffende Versicherungsgesellschaft zahlt im Siran-
dungsfalle die volle Entschädigung aus, für welche das Risico übernommen
war und sucht nun seinerseits aus dem gestrandeten Schiffe nach Möglichkeit
noch etwas zu retten. Und um diesem Interesse des Versicherers dienstbar zu
werden und zu dessen Privatvorthcile in einer Angelegenheit, wobei das Ge¬
meinwohl nicht im entferntesten in Frage kommt, wo es sich nicht um Ab¬
wendung einer Gefahr, sondern um Erlangung eines Gewinns handelt, wo
dem Verhinderer Zeit und Geldmittel zu Gebote stehen, um durch freien Ver¬
trag Arbeiter zum Bergen zu gewinnen, legt die Staatsgewalt den Stranv-
anwohnern eine öffentliche Rechtspflicht zum Bergen auf! Wahrlich, ein schärfe¬
rer Verstoß gegen alle gesunden- Pnncipien von der Pflicht und der damit sich
deckenden Befugniß des Staats zum Eingreifen in die Privatrechtssphäre des
Einzelnen läßt sich kaum denken.


Grenzboten IV. 1867. 54
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[0425] Nur die Rede sein kann, wenn auch die Fluth oder das Hochwasser das Schiff nicht wieder vom Boden erhebt, daß der regelmäßige Unterschied zwischen höch- ster Fluth und niedrigster Ebbe in der Nordsee 12—14 Fuß sind, daß abge¬ sehen von der durch Fluth und Ebbe hervorgerufenen Bewegung selbst die flachen Stellen, an denen Schiffe stranden, schon ziemlich starke Brandung zu haben Pflegen, daß auch das fest liegende Schiff durch die Wellen stetem Ausstoßen und Schwanken unterworfen ist und schon dadurch, daß es dem immer bewegten Wasser ein Hinderniß bietet, die Wellen in seiner Umgebung beträchtlich erregt, daß endlich Strandungen meist nur in stürmischer Jahreszeit stattfinden, so wird auch der die See nicht kennende Binnenländer sich denken können, daß das Bergen nicht ein einfaches in kurzer Zeit abgemachtes Geschäft, wie das Entlöschen im sichern Hafen unter einem mächtigen Dampflrahn, der die schweren Ballen in die Höhe befördert, sondern eine lästige zeitraubende Arbeit ist. Meist ist bei Hochwasser das Wrack völlig von den Wellen überfluthet, so daß an Bergen nicht gedacht werden kann, häufig ist der Brandung halben nur mit weiten Umwegen zum Wrack zu gelangen, fast regelmäßig vermögen nur kleine Boote die Strcmdungsstclle zu erreichen, Hebemaschinen lassen sich nur selten anbringen; das stete Schwanken des Wracks droht die sich zu nah heranwagenden Boote zu zerschellen; kurz das Bergen ist nur bei günstigem Wetter und auch dann meist nur wenige Stunden des Tages überhaupt möglich und dauert bei einem Wrack oft mehre Wochen, ja Monate. Und zu dieser so zeitraubenden wie unregelmäßigen Arbeit besteht eine Zwangspflicht! Schiff und Ladung sind gewissermaßen bereits als verloren zu betrachten, und nur Wiedergewinn eines Theils des Verlorenen ist noch zu er¬ streben; dieser Gewinn aber liegt lediglich im Interesse des Nheders und der La- dungseigenthümcr, oder wie heutzutage die Verhältnisse factisch liegen, aus¬ nahmslos des Assecuratcurs. Der Verhinderer oder die betreffende Versicherungsgesellschaft zahlt im Siran- dungsfalle die volle Entschädigung aus, für welche das Risico übernommen war und sucht nun seinerseits aus dem gestrandeten Schiffe nach Möglichkeit noch etwas zu retten. Und um diesem Interesse des Versicherers dienstbar zu werden und zu dessen Privatvorthcile in einer Angelegenheit, wobei das Ge¬ meinwohl nicht im entferntesten in Frage kommt, wo es sich nicht um Ab¬ wendung einer Gefahr, sondern um Erlangung eines Gewinns handelt, wo dem Verhinderer Zeit und Geldmittel zu Gebote stehen, um durch freien Ver¬ trag Arbeiter zum Bergen zu gewinnen, legt die Staatsgewalt den Stranv- anwohnern eine öffentliche Rechtspflicht zum Bergen auf! Wahrlich, ein schärfe¬ rer Verstoß gegen alle gesunden- Pnncipien von der Pflicht und der damit sich deckenden Befugniß des Staats zum Eingreifen in die Privatrechtssphäre des Einzelnen läßt sich kaum denken. Grenzboten IV. 1867. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/425>, abgerufen am 20.10.2024.