Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

herausgebildet hat. sind im wesentlichen auch durch das allgemeine deutsche Handels¬
gesetzbuch nicht geändert worden, das namentlich in Bezug auf die Frage, wer
zur Bergung befugt oder verpflichtet sei. sich gar nicht äußert.

Eine anerkennenswerthe Neuerung macht dieses Gesetzbuch eigentlich nur
durch die Bestimmung, daß zur gleichmäßigen Theilnahme am Berqelohn auch
diejenigen berechtigt sein sollen, welche in derselben Gefahr der Rettung von
Menschen sich unterzogen haben; nicht unwichtig ist ferner die Vorschrift, daß
der Bergelohn die Vergütung für die zum Zwecke des Bergens gemachten Auf¬
wendungen mit umfaßt, daß behufs der Festsetzung des Bcrgelohns unter allen
Umständen der Rechtsweg offen bleibt und daß derselbe als Quote des Werths
der geborgenen Gegenstände nur auf übereinstimmenden Antrag der Par¬
teien festgesetzt werden darf.

Bildet sonach das heutige Strandungsrccht auch einen erheblichen Fort¬
schritt gegen früher, so ruht es dennoch unseres Erachtens noch immer aus
einer falschen Grundlage und hat sich zu sehr im Anschluß an die alte unge¬
sunde und unsittliche Anschauung vom Strandwesen entwickelt, um nicht einer
Reform, oder richtiger einer Bafirung auf völlig neue Principien dringend zu
bedürfen.

Wir bezeichnen als die beiden Hauptpunkte, die beseitigt werden müssen
einmal die Pflicht und sodann das Recht zum Bergen, nebst dem Rechte auf
den Bergelohn. Alle übrigen Mängel der Gesetzgebung betreffen schließlich nur
Nebensachen.

Prüfen wir diese Cardinalpunkte und zwar zunächst die Pflicht zum
Bergen von unbefangenem Standpunkt etwas näher. -- Es handelt sich
hier wohlgemerkt nicht um eine sittliche, sondern um eine Rechtspflicht, deren
Erfüllung mit äußeren Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann und deren Ver¬
letzung Strafen nach sich zieht. Der Gegenstand dieser Pflicht ist aber nicht
etwa Rettung von Menschenleben, sondern Rettung lebloser Gegenstände, des
Schiffes und seiner Ladung. Die Rettung einer in Lebensgefahr befindlichen
Schiffsmannschaft wird schon um deswillen als rechtliche mit Zwang durchzu¬
führende Pflicht nicht leicht^geltend gemacht werden können, weil ihre Erfüllung
meist die zur Nettungsarbeit Angehaltenen selbst in Lebensgefahr bringen würde,
und das Wagen des eigenen Lebens zu erzwingen ist die Staatsgewalt ihren
Unterthanen gegenüber -- abgesehen vom Kriegsdienste -- weder befugt,
noch fähig.

Ist die Rettung aber ohne Gefahr möglich, so liegt die Sache wie
bei jeder andern Gefährdung eines Menschenlebens auf dem festen Lande und
bedarf keiner besonderen gesetzlichen Regelung, indem entweder von einer
Rechtspflicht zur Rettung nicht die Rede ist, oder wenn dies der Fall, die Ver¬
säumung derselben die gewöhnlichen Folgen nach sich zieht.


herausgebildet hat. sind im wesentlichen auch durch das allgemeine deutsche Handels¬
gesetzbuch nicht geändert worden, das namentlich in Bezug auf die Frage, wer
zur Bergung befugt oder verpflichtet sei. sich gar nicht äußert.

Eine anerkennenswerthe Neuerung macht dieses Gesetzbuch eigentlich nur
durch die Bestimmung, daß zur gleichmäßigen Theilnahme am Berqelohn auch
diejenigen berechtigt sein sollen, welche in derselben Gefahr der Rettung von
Menschen sich unterzogen haben; nicht unwichtig ist ferner die Vorschrift, daß
der Bergelohn die Vergütung für die zum Zwecke des Bergens gemachten Auf¬
wendungen mit umfaßt, daß behufs der Festsetzung des Bcrgelohns unter allen
Umständen der Rechtsweg offen bleibt und daß derselbe als Quote des Werths
der geborgenen Gegenstände nur auf übereinstimmenden Antrag der Par¬
teien festgesetzt werden darf.

Bildet sonach das heutige Strandungsrccht auch einen erheblichen Fort¬
schritt gegen früher, so ruht es dennoch unseres Erachtens noch immer aus
einer falschen Grundlage und hat sich zu sehr im Anschluß an die alte unge¬
sunde und unsittliche Anschauung vom Strandwesen entwickelt, um nicht einer
Reform, oder richtiger einer Bafirung auf völlig neue Principien dringend zu
bedürfen.

Wir bezeichnen als die beiden Hauptpunkte, die beseitigt werden müssen
einmal die Pflicht und sodann das Recht zum Bergen, nebst dem Rechte auf
den Bergelohn. Alle übrigen Mängel der Gesetzgebung betreffen schließlich nur
Nebensachen.

Prüfen wir diese Cardinalpunkte und zwar zunächst die Pflicht zum
Bergen von unbefangenem Standpunkt etwas näher. — Es handelt sich
hier wohlgemerkt nicht um eine sittliche, sondern um eine Rechtspflicht, deren
Erfüllung mit äußeren Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann und deren Ver¬
letzung Strafen nach sich zieht. Der Gegenstand dieser Pflicht ist aber nicht
etwa Rettung von Menschenleben, sondern Rettung lebloser Gegenstände, des
Schiffes und seiner Ladung. Die Rettung einer in Lebensgefahr befindlichen
Schiffsmannschaft wird schon um deswillen als rechtliche mit Zwang durchzu¬
führende Pflicht nicht leicht^geltend gemacht werden können, weil ihre Erfüllung
meist die zur Nettungsarbeit Angehaltenen selbst in Lebensgefahr bringen würde,
und das Wagen des eigenen Lebens zu erzwingen ist die Staatsgewalt ihren
Unterthanen gegenüber — abgesehen vom Kriegsdienste — weder befugt,
noch fähig.

Ist die Rettung aber ohne Gefahr möglich, so liegt die Sache wie
bei jeder andern Gefährdung eines Menschenlebens auf dem festen Lande und
bedarf keiner besonderen gesetzlichen Regelung, indem entweder von einer
Rechtspflicht zur Rettung nicht die Rede ist, oder wenn dies der Fall, die Ver¬
säumung derselben die gewöhnlichen Folgen nach sich zieht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0422" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192183"/>
          <p xml:id="ID_1149" prev="#ID_1148"> herausgebildet hat. sind im wesentlichen auch durch das allgemeine deutsche Handels¬<lb/>
gesetzbuch nicht geändert worden, das namentlich in Bezug auf die Frage, wer<lb/>
zur Bergung befugt oder verpflichtet sei. sich gar nicht äußert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1150"> Eine anerkennenswerthe Neuerung macht dieses Gesetzbuch eigentlich nur<lb/>
durch die Bestimmung, daß zur gleichmäßigen Theilnahme am Berqelohn auch<lb/>
diejenigen berechtigt sein sollen, welche in derselben Gefahr der Rettung von<lb/>
Menschen sich unterzogen haben; nicht unwichtig ist ferner die Vorschrift, daß<lb/>
der Bergelohn die Vergütung für die zum Zwecke des Bergens gemachten Auf¬<lb/>
wendungen mit umfaßt, daß behufs der Festsetzung des Bcrgelohns unter allen<lb/>
Umständen der Rechtsweg offen bleibt und daß derselbe als Quote des Werths<lb/>
der geborgenen Gegenstände nur auf übereinstimmenden Antrag der Par¬<lb/>
teien festgesetzt werden darf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1151"> Bildet sonach das heutige Strandungsrccht auch einen erheblichen Fort¬<lb/>
schritt gegen früher, so ruht es dennoch unseres Erachtens noch immer aus<lb/>
einer falschen Grundlage und hat sich zu sehr im Anschluß an die alte unge¬<lb/>
sunde und unsittliche Anschauung vom Strandwesen entwickelt, um nicht einer<lb/>
Reform, oder richtiger einer Bafirung auf völlig neue Principien dringend zu<lb/>
bedürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1152"> Wir bezeichnen als die beiden Hauptpunkte, die beseitigt werden müssen<lb/>
einmal die Pflicht und sodann das Recht zum Bergen, nebst dem Rechte auf<lb/>
den Bergelohn. Alle übrigen Mängel der Gesetzgebung betreffen schließlich nur<lb/>
Nebensachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1153"> Prüfen wir diese Cardinalpunkte und zwar zunächst die Pflicht zum<lb/>
Bergen von unbefangenem Standpunkt etwas näher. &#x2014; Es handelt sich<lb/>
hier wohlgemerkt nicht um eine sittliche, sondern um eine Rechtspflicht, deren<lb/>
Erfüllung mit äußeren Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann und deren Ver¬<lb/>
letzung Strafen nach sich zieht. Der Gegenstand dieser Pflicht ist aber nicht<lb/>
etwa Rettung von Menschenleben, sondern Rettung lebloser Gegenstände, des<lb/>
Schiffes und seiner Ladung. Die Rettung einer in Lebensgefahr befindlichen<lb/>
Schiffsmannschaft wird schon um deswillen als rechtliche mit Zwang durchzu¬<lb/>
führende Pflicht nicht leicht^geltend gemacht werden können, weil ihre Erfüllung<lb/>
meist die zur Nettungsarbeit Angehaltenen selbst in Lebensgefahr bringen würde,<lb/>
und das Wagen des eigenen Lebens zu erzwingen ist die Staatsgewalt ihren<lb/>
Unterthanen gegenüber &#x2014; abgesehen vom Kriegsdienste &#x2014; weder befugt,<lb/>
noch fähig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1154"> Ist die Rettung aber ohne Gefahr möglich, so liegt die Sache wie<lb/>
bei jeder andern Gefährdung eines Menschenlebens auf dem festen Lande und<lb/>
bedarf keiner besonderen gesetzlichen Regelung, indem entweder von einer<lb/>
Rechtspflicht zur Rettung nicht die Rede ist, oder wenn dies der Fall, die Ver¬<lb/>
säumung derselben die gewöhnlichen Folgen nach sich zieht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0422] herausgebildet hat. sind im wesentlichen auch durch das allgemeine deutsche Handels¬ gesetzbuch nicht geändert worden, das namentlich in Bezug auf die Frage, wer zur Bergung befugt oder verpflichtet sei. sich gar nicht äußert. Eine anerkennenswerthe Neuerung macht dieses Gesetzbuch eigentlich nur durch die Bestimmung, daß zur gleichmäßigen Theilnahme am Berqelohn auch diejenigen berechtigt sein sollen, welche in derselben Gefahr der Rettung von Menschen sich unterzogen haben; nicht unwichtig ist ferner die Vorschrift, daß der Bergelohn die Vergütung für die zum Zwecke des Bergens gemachten Auf¬ wendungen mit umfaßt, daß behufs der Festsetzung des Bcrgelohns unter allen Umständen der Rechtsweg offen bleibt und daß derselbe als Quote des Werths der geborgenen Gegenstände nur auf übereinstimmenden Antrag der Par¬ teien festgesetzt werden darf. Bildet sonach das heutige Strandungsrccht auch einen erheblichen Fort¬ schritt gegen früher, so ruht es dennoch unseres Erachtens noch immer aus einer falschen Grundlage und hat sich zu sehr im Anschluß an die alte unge¬ sunde und unsittliche Anschauung vom Strandwesen entwickelt, um nicht einer Reform, oder richtiger einer Bafirung auf völlig neue Principien dringend zu bedürfen. Wir bezeichnen als die beiden Hauptpunkte, die beseitigt werden müssen einmal die Pflicht und sodann das Recht zum Bergen, nebst dem Rechte auf den Bergelohn. Alle übrigen Mängel der Gesetzgebung betreffen schließlich nur Nebensachen. Prüfen wir diese Cardinalpunkte und zwar zunächst die Pflicht zum Bergen von unbefangenem Standpunkt etwas näher. — Es handelt sich hier wohlgemerkt nicht um eine sittliche, sondern um eine Rechtspflicht, deren Erfüllung mit äußeren Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann und deren Ver¬ letzung Strafen nach sich zieht. Der Gegenstand dieser Pflicht ist aber nicht etwa Rettung von Menschenleben, sondern Rettung lebloser Gegenstände, des Schiffes und seiner Ladung. Die Rettung einer in Lebensgefahr befindlichen Schiffsmannschaft wird schon um deswillen als rechtliche mit Zwang durchzu¬ führende Pflicht nicht leicht^geltend gemacht werden können, weil ihre Erfüllung meist die zur Nettungsarbeit Angehaltenen selbst in Lebensgefahr bringen würde, und das Wagen des eigenen Lebens zu erzwingen ist die Staatsgewalt ihren Unterthanen gegenüber — abgesehen vom Kriegsdienste — weder befugt, noch fähig. Ist die Rettung aber ohne Gefahr möglich, so liegt die Sache wie bei jeder andern Gefährdung eines Menschenlebens auf dem festen Lande und bedarf keiner besonderen gesetzlichen Regelung, indem entweder von einer Rechtspflicht zur Rettung nicht die Rede ist, oder wenn dies der Fall, die Ver¬ säumung derselben die gewöhnlichen Folgen nach sich zieht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/422
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/422>, abgerufen am 21.10.2024.