Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.Die Demokratie hielt es hiernach für ihre providentielle Aufgabe, wie Die Demokratie hielt es hiernach für ihre providentielle Aufgabe, wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192135"/> <p xml:id="ID_1007" next="#ID_1008"> Die Demokratie hielt es hiernach für ihre providentielle Aufgabe, wie<lb/> allenthalben so auch in Litthauen und Polen das aristokratische westeuro¬<lb/> päische Element zu vernichten und mit Hilfe des comnunnstischen Gemeinde«<lb/> besitze« alles politische Gewicht in die ländliche Bevölkerung zu verlegen und<lb/> diese zu russificiren. Rußlands Bestimmung sollte sein, auf diese Weise die<lb/> sociale Frage zu lösen und an der Hand dieser Losung die Welt zu erobern.<lb/> Im Namen dieses Prinzips wurde dem schwedischen Element in Finnland wie<lb/> dem deutschen in den Ostseeprinzen förmlich der Krieg erklärt; Letten und Ehlen<lb/> sollten die Herren Liv-, Est- und Kurlands werden, im Bunde mit ihnen hoffte<lb/> die russische Demokratie über die Trümmer der germanischen Kulturwelt ihren<lb/> Einzug zu halten; der Köder, mit welchem man das Landvolk für diese Pläne zu<lb/> gewinnen suchte, war das Versprechen allgemeiner Landvertheilung, nicht nur<lb/> an Pächter und selbständige Wirthschaftsuntcrnchmer, sondern auch an Knechte<lb/> und Tagelöhner, Alsbald begann in der Moskaner Presse ein förmlicher Kreuz¬<lb/> zug gegen Finnland und das Ostseegebiet, der trotz verschiedener Bemühungen<lb/> der Negierung, den Frieden wiederherzustellen, täglich größere Proportionen<lb/> annahm. Die demokratische „Moskwa" (das Organ der Panslawisten und Slawo-<lb/> philen) und die streng-nationale Most. Ztg. überboten einander an Verläum-<lb/> dungen und Verdächtigungen der baltischen Deutschen, die als separatistische<lb/> Reichsfeinde, Germauisatorcn und Gegner der griechisch-orthodoxen Kirche und<lb/> ihrer lettischen und estischen Bekenner verketzert wurden. Die Antworten und<lb/> Rechtfertigungen der baltischen Presse wurden todtgeschwiegen oder verdreht,<lb/> und da die nur für Moskau und Petersburg aufgehobene Präventivcensur in<lb/> Riga. Dorpat, Neval und Mitau fortbestand, war der Kampf von vornherein<lb/> ein höchst ungleicher. Im Mai 1864 mußte die Regierung den livländischen<lb/> Gcneralsuperintenden Bischof Dr. Walter entlassen, weil er durch eine Land¬<lb/> tagspredigt über die Rathsamkeit einer beschleunigten Germanisation der Letten<lb/> und Ehlen in der moskauer Presse einen Sturm erregt hatte, der das ganze<lb/> Reich mit fortzureißen drohte; im December desselben Jahres nahm der Gene-<lb/> ralgouvemeur der drei Provinzen, Baron Lieven, seinen Abschied, nachdem er<lb/> von der Most. Ztg. wegen des Maßes von Selbstbestimmung, welches er den<lb/> Ständen in Sachen der Justizreform eingeräumt hatte, empfindlich verdächtigt<lb/> worden war. Während Zehntausende keltischer und chemischer Konvertiten der<lb/> griechisch-orthodoxen Kirche vergeblich um die sehnlich gewünschte Erlaubniß zur<lb/> Rückkehr zum Lutherthum baten, fabelte die Most. Presse von der Unter¬<lb/> drückung der griechischen Kirche in Livland, und als die Regierung die Kon¬<lb/> fession der in gemischter Ehe erzeugten Kinder für die Bewohner der Ostsee¬<lb/> provinzen frei gab, sprach man in Moskau von einer Schädigung der heiligsten<lb/> Interessen Rußlands und seiner Kirche. Im Frühjahr 1867 wurde der grie¬<lb/> chisch-orthodoxe Erzbischof von Riga und Mitau an den Don versetzt, weil er</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
Die Demokratie hielt es hiernach für ihre providentielle Aufgabe, wie
allenthalben so auch in Litthauen und Polen das aristokratische westeuro¬
päische Element zu vernichten und mit Hilfe des comnunnstischen Gemeinde«
besitze« alles politische Gewicht in die ländliche Bevölkerung zu verlegen und
diese zu russificiren. Rußlands Bestimmung sollte sein, auf diese Weise die
sociale Frage zu lösen und an der Hand dieser Losung die Welt zu erobern.
Im Namen dieses Prinzips wurde dem schwedischen Element in Finnland wie
dem deutschen in den Ostseeprinzen förmlich der Krieg erklärt; Letten und Ehlen
sollten die Herren Liv-, Est- und Kurlands werden, im Bunde mit ihnen hoffte
die russische Demokratie über die Trümmer der germanischen Kulturwelt ihren
Einzug zu halten; der Köder, mit welchem man das Landvolk für diese Pläne zu
gewinnen suchte, war das Versprechen allgemeiner Landvertheilung, nicht nur
an Pächter und selbständige Wirthschaftsuntcrnchmer, sondern auch an Knechte
und Tagelöhner, Alsbald begann in der Moskaner Presse ein förmlicher Kreuz¬
zug gegen Finnland und das Ostseegebiet, der trotz verschiedener Bemühungen
der Negierung, den Frieden wiederherzustellen, täglich größere Proportionen
annahm. Die demokratische „Moskwa" (das Organ der Panslawisten und Slawo-
philen) und die streng-nationale Most. Ztg. überboten einander an Verläum-
dungen und Verdächtigungen der baltischen Deutschen, die als separatistische
Reichsfeinde, Germauisatorcn und Gegner der griechisch-orthodoxen Kirche und
ihrer lettischen und estischen Bekenner verketzert wurden. Die Antworten und
Rechtfertigungen der baltischen Presse wurden todtgeschwiegen oder verdreht,
und da die nur für Moskau und Petersburg aufgehobene Präventivcensur in
Riga. Dorpat, Neval und Mitau fortbestand, war der Kampf von vornherein
ein höchst ungleicher. Im Mai 1864 mußte die Regierung den livländischen
Gcneralsuperintenden Bischof Dr. Walter entlassen, weil er durch eine Land¬
tagspredigt über die Rathsamkeit einer beschleunigten Germanisation der Letten
und Ehlen in der moskauer Presse einen Sturm erregt hatte, der das ganze
Reich mit fortzureißen drohte; im December desselben Jahres nahm der Gene-
ralgouvemeur der drei Provinzen, Baron Lieven, seinen Abschied, nachdem er
von der Most. Ztg. wegen des Maßes von Selbstbestimmung, welches er den
Ständen in Sachen der Justizreform eingeräumt hatte, empfindlich verdächtigt
worden war. Während Zehntausende keltischer und chemischer Konvertiten der
griechisch-orthodoxen Kirche vergeblich um die sehnlich gewünschte Erlaubniß zur
Rückkehr zum Lutherthum baten, fabelte die Most. Presse von der Unter¬
drückung der griechischen Kirche in Livland, und als die Regierung die Kon¬
fession der in gemischter Ehe erzeugten Kinder für die Bewohner der Ostsee¬
provinzen frei gab, sprach man in Moskau von einer Schädigung der heiligsten
Interessen Rußlands und seiner Kirche. Im Frühjahr 1867 wurde der grie¬
chisch-orthodoxe Erzbischof von Riga und Mitau an den Don versetzt, weil er
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