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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Abnahme der mehr politischen Geschäfte drängt ohnehin daraus hin. Insofern
aber doch ein Nest politischer Action zurückbleibt, wird es angemessen sein, diesen
wenigstens in der repräsentative" Sphäre für eine besondere, das ganze Staats-
wesen umfassende Körperschaft abzuscheiden, d. h. mit anderen Worten die
längst beabsichtigte Trennung der Hauptgemeinde des Staats von diesem selbst
endlich einmal auszuführen.

Erst wenn dieser die Energie und die Verantwortlichkeit conccntrirende
Proceß vollzogen sein wird, kann man hoffen, die Hansestädte ihre Rolle als
bevorzugte städtische Gemeinden, die ihnen auch in Zukunft ungeschmälert blei¬
ben wird, mit vollem Bewußtsein ergreifen und ausfüllen zu sehen. Dann
erst werden sie im Stande sein. Muster einer allseitig entwickelten und mit der
Cultur der Zeit ununterbrochen fortschreitenden Gemeindeverwaltung abzu¬
geben. Sie gehören zu den reichsten unter ihresgleichen, sowohl was unmittel¬
baren Besitz der Gesammtheit als was die durchschnittliche Steuerfähigkeit ihrer
Bewohner anlangt; sie sind durch die Ueberlieferungen einer strengen und weitaus-
gedehnter Bürgerpflicht, eines regen, durchgängigen, opferfähiger Gemeinsinnes
moralisch stärker als die meisten anderen deutschen Städte, wenn es freiwillige
Leistungen oder Steuern zu gemeinnützigen Zwecken gilt; und endlich besitzen
sie, was außer ihnen jetzt keine deutsche Stadt mehr, die innere Souveränität,
das Vermögen der Gesetzgebung, wenn Geld und uncrzwungene Thätigkeit für irgend
einen wichtigen öffentlichen Zweck nicht ausreichen. Bisher hat viel daran gefehlt,
daß die Hansestädte von diesen Vorzügen ihrer Stellung als Gemeinden, anderen
Städten gegenüber, rechten und vollen Gebrauch gemacht hätten. Politische
Beschäftigungen und deren unvermeidliche Folge, Parteikämpfe, hinderten sie
daran. Jetzt aber ist das Feld ziemlich frei; wenn sie sich noch ferner vor
ihresgleichen hervorthun und ihres Vorrechts innerer Unumschränkheit würdig
beweisen wollen, muß es aus dem Gebiet der communalen Thätigkeit geschehen.

Dies ist wahrhaftig keine verächtliche Sphäre. Mit dem rapiden Wachs¬
thum der Städte häufen, vervielfältigen und erschweren sich die Aufgaben der
Städteverwaltung dermaßen, daß nur die volle Hingabe vorzüglicher Kräfte sie
befriedigend lösen kann. Welche Probleme stellt ihr nicht allein nicht die öffent¬
liche Gesundheitspflege, die sich seit kurzem so mächtig in den Vordergrund
drängt! Entwässerung und Wasscrzuführung, Wegräumung der Auswurfsstoffe
durch unterirdische Canäle oder durch Abfuhr, Entgiftung der Häuser in Zeiten
größerer Epidemien -- alle diese selbst der Wissenschaft zum Theil noch so neuen
und räthselreichen Fragen gehören heutzutage zu dem Beruf eines Stadtraths
oder der Stadtverordneten in größeren Städten. Wir werden bald sehen, daß den
Cholera-Conferenzen der Aerzte und Botaniker, die Bildung einer hygienischen
Section auf dem Congreß deutscher Naturforscher und Aerzte, freier und jeder'
manu zugänglicher, hauptsächlich aber von Gemeinde-Beamten und -Vertretern be>


Abnahme der mehr politischen Geschäfte drängt ohnehin daraus hin. Insofern
aber doch ein Nest politischer Action zurückbleibt, wird es angemessen sein, diesen
wenigstens in der repräsentative» Sphäre für eine besondere, das ganze Staats-
wesen umfassende Körperschaft abzuscheiden, d. h. mit anderen Worten die
längst beabsichtigte Trennung der Hauptgemeinde des Staats von diesem selbst
endlich einmal auszuführen.

Erst wenn dieser die Energie und die Verantwortlichkeit conccntrirende
Proceß vollzogen sein wird, kann man hoffen, die Hansestädte ihre Rolle als
bevorzugte städtische Gemeinden, die ihnen auch in Zukunft ungeschmälert blei¬
ben wird, mit vollem Bewußtsein ergreifen und ausfüllen zu sehen. Dann
erst werden sie im Stande sein. Muster einer allseitig entwickelten und mit der
Cultur der Zeit ununterbrochen fortschreitenden Gemeindeverwaltung abzu¬
geben. Sie gehören zu den reichsten unter ihresgleichen, sowohl was unmittel¬
baren Besitz der Gesammtheit als was die durchschnittliche Steuerfähigkeit ihrer
Bewohner anlangt; sie sind durch die Ueberlieferungen einer strengen und weitaus-
gedehnter Bürgerpflicht, eines regen, durchgängigen, opferfähiger Gemeinsinnes
moralisch stärker als die meisten anderen deutschen Städte, wenn es freiwillige
Leistungen oder Steuern zu gemeinnützigen Zwecken gilt; und endlich besitzen
sie, was außer ihnen jetzt keine deutsche Stadt mehr, die innere Souveränität,
das Vermögen der Gesetzgebung, wenn Geld und uncrzwungene Thätigkeit für irgend
einen wichtigen öffentlichen Zweck nicht ausreichen. Bisher hat viel daran gefehlt,
daß die Hansestädte von diesen Vorzügen ihrer Stellung als Gemeinden, anderen
Städten gegenüber, rechten und vollen Gebrauch gemacht hätten. Politische
Beschäftigungen und deren unvermeidliche Folge, Parteikämpfe, hinderten sie
daran. Jetzt aber ist das Feld ziemlich frei; wenn sie sich noch ferner vor
ihresgleichen hervorthun und ihres Vorrechts innerer Unumschränkheit würdig
beweisen wollen, muß es aus dem Gebiet der communalen Thätigkeit geschehen.

Dies ist wahrhaftig keine verächtliche Sphäre. Mit dem rapiden Wachs¬
thum der Städte häufen, vervielfältigen und erschweren sich die Aufgaben der
Städteverwaltung dermaßen, daß nur die volle Hingabe vorzüglicher Kräfte sie
befriedigend lösen kann. Welche Probleme stellt ihr nicht allein nicht die öffent¬
liche Gesundheitspflege, die sich seit kurzem so mächtig in den Vordergrund
drängt! Entwässerung und Wasscrzuführung, Wegräumung der Auswurfsstoffe
durch unterirdische Canäle oder durch Abfuhr, Entgiftung der Häuser in Zeiten
größerer Epidemien — alle diese selbst der Wissenschaft zum Theil noch so neuen
und räthselreichen Fragen gehören heutzutage zu dem Beruf eines Stadtraths
oder der Stadtverordneten in größeren Städten. Wir werden bald sehen, daß den
Cholera-Conferenzen der Aerzte und Botaniker, die Bildung einer hygienischen
Section auf dem Congreß deutscher Naturforscher und Aerzte, freier und jeder'
manu zugänglicher, hauptsächlich aber von Gemeinde-Beamten und -Vertretern be>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/230>, abgerufen am 20.10.2024.