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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Willen des ungarischen Adels, an der Leidenschaft des Volkes. Die Wahrung
der Nationalität lag diesem doch näher als der Erwerb materieller Reichthümer,
an dem Widerstand des Adels gegen Szechenyis Pläne offenbarte es sich, daß die
Reform der Verfassung dennoch dringender und nothwendiger sei, als die Regulirung
der Theiß und die Hebung des Bodencreditö. Szöchenyi, in den dreißiger
Jahren der populärste Mann Ungarns, trat allmälig zurück gegen Kossuth den
politischen Agitator und gegen die Partei des Pesel Hirlap, welche den Par¬
lamentarismus an die Stelle der altständischen Verfassung, die Centralisation
der Verwaltung an die Stelle der Halbsouveränen Comitate setzte, im Straf-
recht, im Kirchenrecht u. s. w. die modernen Humanitären Ideen zu Ehren
brachte.

Auf diesen Wechsel der Parteistellung, auf die Wandlung der politischen
Ziele übte die slavische Bewegung den größten Einfluß. HorvHth ist zu sehr
patriotischer Magyare, um dieselbe unbefangen und billig zu beurtheilen. Nach¬
dem in ganz Europa das nationale Princip als staatenbildend und in der po¬
litischen Welt ausschließlich berechtigt auf die Fahnen geschrieben worden war,
konnte man nicht einem einzelnen Volksstamme zumuthen, sich selbst als un¬
fruchtbar und todt vom Ringkampfe auszuschließen. Auch die Slaven dursten
sich in träumerischen Hoffnungen ergehen und von der nächsten Zukunft die
größten Dinge, Macht, Ruhm erwarten. Horväth wie alle Magyaren sind im
Unrecht, wenn sie an den Idealismus der slavischen Stämme schlechthin nicht
glauben und von Hanse aus Neid, Intriguen u. s. w. als die Wurzel ihrer
Bestrebungen hinstellen. Nur das Eine muß man den Ungarn zugeben, daß
ihnen gegenüber das idealistische Element nicht zur Geltung kam, sie im In¬
teresse der Selbsterhaltung feindlich gegen die Ungarslaven austreten mußten.
Sie konnten nicht ihre glorreiche Geschichte verleugnen, nicht in übel ange¬
brachten Wohlwollen alle historischen Rechte zu Gunsten von kleinen Völker-
schaften, Slovaken, Kroaten, Serben, ausgeben, die arm, unselbständig, unge¬
bildet, im politischen Leben ungeschickt, nothwendig eine Beute des Hofes werden
mußten und damit auch die Einheit des Landes, die Wirksamkeit der Verfassung
gefährdet hätten. Ein Sieg der Slaven, das hat das Jahr 1849 bewiesen,
war mit einem Siege des Wiener Hofes, mit der schimpflichsten Knechtung
Ungarns, gleichbedeutend. Die Ahnung davon beschlich die Ungarn schon früh-
zeitig, sie haßten die slavischen Landsleute wie nur ein wohlhäbiger Bürger
einen zudringlichen Bettler hassen kann, sie fürchteten sie auch als die unwillkür¬
lichen Werkzeuge der wiener Reaktion. Doppelt kräftig betonten sie die Rechte
und Vorzüge der eigenen Nationalität -- dieser Tendenz verdankt Kossuth sein
Ansehen. Kein Ungar hat so leidenschaftlich die Slaven bekämpft, dem Ehr-
geize und der Eitelkeit der Magyaren so unbedingt geschmeichelt, den nationalen
Wunsch so unermüdlich gepflegt und genährt wie Kossuth. Doppelt bemühten


Brenjboten IV- 1867. 2

Willen des ungarischen Adels, an der Leidenschaft des Volkes. Die Wahrung
der Nationalität lag diesem doch näher als der Erwerb materieller Reichthümer,
an dem Widerstand des Adels gegen Szechenyis Pläne offenbarte es sich, daß die
Reform der Verfassung dennoch dringender und nothwendiger sei, als die Regulirung
der Theiß und die Hebung des Bodencreditö. Szöchenyi, in den dreißiger
Jahren der populärste Mann Ungarns, trat allmälig zurück gegen Kossuth den
politischen Agitator und gegen die Partei des Pesel Hirlap, welche den Par¬
lamentarismus an die Stelle der altständischen Verfassung, die Centralisation
der Verwaltung an die Stelle der Halbsouveränen Comitate setzte, im Straf-
recht, im Kirchenrecht u. s. w. die modernen Humanitären Ideen zu Ehren
brachte.

Auf diesen Wechsel der Parteistellung, auf die Wandlung der politischen
Ziele übte die slavische Bewegung den größten Einfluß. HorvHth ist zu sehr
patriotischer Magyare, um dieselbe unbefangen und billig zu beurtheilen. Nach¬
dem in ganz Europa das nationale Princip als staatenbildend und in der po¬
litischen Welt ausschließlich berechtigt auf die Fahnen geschrieben worden war,
konnte man nicht einem einzelnen Volksstamme zumuthen, sich selbst als un¬
fruchtbar und todt vom Ringkampfe auszuschließen. Auch die Slaven dursten
sich in träumerischen Hoffnungen ergehen und von der nächsten Zukunft die
größten Dinge, Macht, Ruhm erwarten. Horväth wie alle Magyaren sind im
Unrecht, wenn sie an den Idealismus der slavischen Stämme schlechthin nicht
glauben und von Hanse aus Neid, Intriguen u. s. w. als die Wurzel ihrer
Bestrebungen hinstellen. Nur das Eine muß man den Ungarn zugeben, daß
ihnen gegenüber das idealistische Element nicht zur Geltung kam, sie im In¬
teresse der Selbsterhaltung feindlich gegen die Ungarslaven austreten mußten.
Sie konnten nicht ihre glorreiche Geschichte verleugnen, nicht in übel ange¬
brachten Wohlwollen alle historischen Rechte zu Gunsten von kleinen Völker-
schaften, Slovaken, Kroaten, Serben, ausgeben, die arm, unselbständig, unge¬
bildet, im politischen Leben ungeschickt, nothwendig eine Beute des Hofes werden
mußten und damit auch die Einheit des Landes, die Wirksamkeit der Verfassung
gefährdet hätten. Ein Sieg der Slaven, das hat das Jahr 1849 bewiesen,
war mit einem Siege des Wiener Hofes, mit der schimpflichsten Knechtung
Ungarns, gleichbedeutend. Die Ahnung davon beschlich die Ungarn schon früh-
zeitig, sie haßten die slavischen Landsleute wie nur ein wohlhäbiger Bürger
einen zudringlichen Bettler hassen kann, sie fürchteten sie auch als die unwillkür¬
lichen Werkzeuge der wiener Reaktion. Doppelt kräftig betonten sie die Rechte
und Vorzüge der eigenen Nationalität — dieser Tendenz verdankt Kossuth sein
Ansehen. Kein Ungar hat so leidenschaftlich die Slaven bekämpft, dem Ehr-
geize und der Eitelkeit der Magyaren so unbedingt geschmeichelt, den nationalen
Wunsch so unermüdlich gepflegt und genährt wie Kossuth. Doppelt bemühten


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[0013] Willen des ungarischen Adels, an der Leidenschaft des Volkes. Die Wahrung der Nationalität lag diesem doch näher als der Erwerb materieller Reichthümer, an dem Widerstand des Adels gegen Szechenyis Pläne offenbarte es sich, daß die Reform der Verfassung dennoch dringender und nothwendiger sei, als die Regulirung der Theiß und die Hebung des Bodencreditö. Szöchenyi, in den dreißiger Jahren der populärste Mann Ungarns, trat allmälig zurück gegen Kossuth den politischen Agitator und gegen die Partei des Pesel Hirlap, welche den Par¬ lamentarismus an die Stelle der altständischen Verfassung, die Centralisation der Verwaltung an die Stelle der Halbsouveränen Comitate setzte, im Straf- recht, im Kirchenrecht u. s. w. die modernen Humanitären Ideen zu Ehren brachte. Auf diesen Wechsel der Parteistellung, auf die Wandlung der politischen Ziele übte die slavische Bewegung den größten Einfluß. HorvHth ist zu sehr patriotischer Magyare, um dieselbe unbefangen und billig zu beurtheilen. Nach¬ dem in ganz Europa das nationale Princip als staatenbildend und in der po¬ litischen Welt ausschließlich berechtigt auf die Fahnen geschrieben worden war, konnte man nicht einem einzelnen Volksstamme zumuthen, sich selbst als un¬ fruchtbar und todt vom Ringkampfe auszuschließen. Auch die Slaven dursten sich in träumerischen Hoffnungen ergehen und von der nächsten Zukunft die größten Dinge, Macht, Ruhm erwarten. Horväth wie alle Magyaren sind im Unrecht, wenn sie an den Idealismus der slavischen Stämme schlechthin nicht glauben und von Hanse aus Neid, Intriguen u. s. w. als die Wurzel ihrer Bestrebungen hinstellen. Nur das Eine muß man den Ungarn zugeben, daß ihnen gegenüber das idealistische Element nicht zur Geltung kam, sie im In¬ teresse der Selbsterhaltung feindlich gegen die Ungarslaven austreten mußten. Sie konnten nicht ihre glorreiche Geschichte verleugnen, nicht in übel ange¬ brachten Wohlwollen alle historischen Rechte zu Gunsten von kleinen Völker- schaften, Slovaken, Kroaten, Serben, ausgeben, die arm, unselbständig, unge¬ bildet, im politischen Leben ungeschickt, nothwendig eine Beute des Hofes werden mußten und damit auch die Einheit des Landes, die Wirksamkeit der Verfassung gefährdet hätten. Ein Sieg der Slaven, das hat das Jahr 1849 bewiesen, war mit einem Siege des Wiener Hofes, mit der schimpflichsten Knechtung Ungarns, gleichbedeutend. Die Ahnung davon beschlich die Ungarn schon früh- zeitig, sie haßten die slavischen Landsleute wie nur ein wohlhäbiger Bürger einen zudringlichen Bettler hassen kann, sie fürchteten sie auch als die unwillkür¬ lichen Werkzeuge der wiener Reaktion. Doppelt kräftig betonten sie die Rechte und Vorzüge der eigenen Nationalität — dieser Tendenz verdankt Kossuth sein Ansehen. Kein Ungar hat so leidenschaftlich die Slaven bekämpft, dem Ehr- geize und der Eitelkeit der Magyaren so unbedingt geschmeichelt, den nationalen Wunsch so unermüdlich gepflegt und genährt wie Kossuth. Doppelt bemühten Brenjboten IV- 1867. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/13>, abgerufen am 19.10.2024.