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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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laste des Begrüßungsfestes, das einem wirklich verehrten Fürsten galt, diesen
kleinen Formfehler übersah. --

So war denn endlich, wie es schien, das dauernde Fundament geschaffen,
auf welchem nun der organische Bau unter Oberleitung des Herrn Beyer aus¬
geführt werden sollte. Das Werk steht natürlich in enger Beziehung zur preu¬
ßischen Verfassung, an manchen Punkten allerdings abweichend, ohne sie jedoch
an freisinnigen Bestimmungen von wirklichem Werthe zu übertreffen. Freilich,
wir haben das ausgedehnteste Steuerbewilligungsrecht; aber es können doch,
wenn vor Beginn der dreijährigen Finanzperiode das Etatgesetz nicht zu Stande
gekommen, die bestehenden Steuern noch sechs Monate forterhoben werden, so"
wie die zu einer der Bundespflichten und der Landesverfassung entsprechenden
Regiemng erforderlichen Mittel überhaupt nicht verweigert werben dürfen. Im
besten Falle also ist hier nichts gewonnen als der circulus in äsmouLtrairäo.
Auch hinsichtlich der Redefreiheit der Abgeordneten ist man vorsichtiger gewesen
als in dem vielbesprochenen Artikel 84 der preußischen Verfassung. Die sehr
wichtige Bestimmung des Artikel 87 der letzteren aber, welcher die Versetzbarkeit
der Richter von einem vorgängige" ritterlichen Erkenntnisse abhängig macht,
geht für unsere Justizbeamten, mit Ausnahme der Mitglieder des Obergerichts,
ganz verloren.

Mit der Verfassung zugleich erschien ein neues Wahlgesetz, auch dieses dem
preußischen nachgebildet. Fünfzehn Abgeordnete, zwölf für Waldeck, drei für
Pyrmont, vertreten das Land, Daß diese Zahl sich gewöhnlich zum größern
Theile aus Bauern oder im bäuerlichen Interesse Gewählten, zum kleinern aus
Beamten zusammensktzt, ist nach den vorausgeschickten Ausführungen natürlich.
Unsere sogenannten Industriellen, diese unglücklichen Amphibien der waldeckschen
Bevölkerung, müssen darauf verzichten, ihre Angelegenheiten verfochten zu sehen;
sie haben an einer Besserung ihrer Lage durch die heimische Gesetzgebung längst
verzweifelt. Begreiflich, daß es nicht schwierig war. mit einem so gestalteten
Landtage die wichtigsten organischen Gesetze auf Grund moderner Staats-
Principien zu vereinbaren: die Beamten hatten dabei nichts zu verlieren, die
Bauern von der Mehrzahl der Dinge gar kein Verständniß. Wozu also --
fragen wir bescheiden -- die begeisterte Lobpreisung unserer liberalen Regierung,
wenn es. nachdem man einmal in die neuen Bahnen hineingedrängt war, nichts
weiter galt, als die Gesetzgebung anderer Staaten mit einigen Modificationen
zu übertragen und von einem willigen Landtage Votiren zu lassen? Wir
loben gern, aber vergöttern es nicht, wenn ein Kleinstaat der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts einmal nicht ein Schauplatz kleinlicher Willkühr und
mittelalterlicher Fäulniß ist. Wozu serner die schädlichen Phrasen, wie die
von dem herzlichen EinVerständniß zwischen Regierung und Landtag in all den
großen Fragen der Zeit? Wer wird es im Ernst erwarten, daß der waldecksche


laste des Begrüßungsfestes, das einem wirklich verehrten Fürsten galt, diesen
kleinen Formfehler übersah. —

So war denn endlich, wie es schien, das dauernde Fundament geschaffen,
auf welchem nun der organische Bau unter Oberleitung des Herrn Beyer aus¬
geführt werden sollte. Das Werk steht natürlich in enger Beziehung zur preu¬
ßischen Verfassung, an manchen Punkten allerdings abweichend, ohne sie jedoch
an freisinnigen Bestimmungen von wirklichem Werthe zu übertreffen. Freilich,
wir haben das ausgedehnteste Steuerbewilligungsrecht; aber es können doch,
wenn vor Beginn der dreijährigen Finanzperiode das Etatgesetz nicht zu Stande
gekommen, die bestehenden Steuern noch sechs Monate forterhoben werden, so»
wie die zu einer der Bundespflichten und der Landesverfassung entsprechenden
Regiemng erforderlichen Mittel überhaupt nicht verweigert werben dürfen. Im
besten Falle also ist hier nichts gewonnen als der circulus in äsmouLtrairäo.
Auch hinsichtlich der Redefreiheit der Abgeordneten ist man vorsichtiger gewesen
als in dem vielbesprochenen Artikel 84 der preußischen Verfassung. Die sehr
wichtige Bestimmung des Artikel 87 der letzteren aber, welcher die Versetzbarkeit
der Richter von einem vorgängige» ritterlichen Erkenntnisse abhängig macht,
geht für unsere Justizbeamten, mit Ausnahme der Mitglieder des Obergerichts,
ganz verloren.

Mit der Verfassung zugleich erschien ein neues Wahlgesetz, auch dieses dem
preußischen nachgebildet. Fünfzehn Abgeordnete, zwölf für Waldeck, drei für
Pyrmont, vertreten das Land, Daß diese Zahl sich gewöhnlich zum größern
Theile aus Bauern oder im bäuerlichen Interesse Gewählten, zum kleinern aus
Beamten zusammensktzt, ist nach den vorausgeschickten Ausführungen natürlich.
Unsere sogenannten Industriellen, diese unglücklichen Amphibien der waldeckschen
Bevölkerung, müssen darauf verzichten, ihre Angelegenheiten verfochten zu sehen;
sie haben an einer Besserung ihrer Lage durch die heimische Gesetzgebung längst
verzweifelt. Begreiflich, daß es nicht schwierig war. mit einem so gestalteten
Landtage die wichtigsten organischen Gesetze auf Grund moderner Staats-
Principien zu vereinbaren: die Beamten hatten dabei nichts zu verlieren, die
Bauern von der Mehrzahl der Dinge gar kein Verständniß. Wozu also —
fragen wir bescheiden — die begeisterte Lobpreisung unserer liberalen Regierung,
wenn es. nachdem man einmal in die neuen Bahnen hineingedrängt war, nichts
weiter galt, als die Gesetzgebung anderer Staaten mit einigen Modificationen
zu übertragen und von einem willigen Landtage Votiren zu lassen? Wir
loben gern, aber vergöttern es nicht, wenn ein Kleinstaat der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts einmal nicht ein Schauplatz kleinlicher Willkühr und
mittelalterlicher Fäulniß ist. Wozu serner die schädlichen Phrasen, wie die
von dem herzlichen EinVerständniß zwischen Regierung und Landtag in all den
großen Fragen der Zeit? Wer wird es im Ernst erwarten, daß der waldecksche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/96>, abgerufen am 24.08.2024.