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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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welche man nur zur Wahlurne dirigirt, um irgendeinen Reichen oder Vor¬
nehmen durch Massen von Stimmen auszustatten. Denn der Deutsche ist seit
Einführung parlamentarischer Formen gewohnt, seinen Erwählten als einen
Anwalt und Mandatar, als einen Beamten der Wähler zu betrachten, ein
herzliches persönliches Vertrauen ist ihm Voraussetzung. Das fürchtet er
geändert. --

Es war gut, daß eine wichtige Frage der großen Politik das verdüsterte
Antlitz, welches der Reichstag durch jene Abstimmungen erhalten, wieder um,
formte und die Parteien einander näherte. Was Graf Bismarck in seiner
Antwort aus die Jnterpellation nicbt bejahte, nicht verneinte, gilt doch für
zweifellos: daß der Vertrag zwischen Frankreich und Holland über die Cession
Luxemburgs abgeschlossen ist. Und für ebenso zweifellos gilt dem Reichstage,
daß Preußen sein Bcsatzungsrecht in Luxemburg nicht aufgeben wird, und ge¬
faßt abwarten, ob die Behauptung dieses Rechts in einem deutschen Lande des
Zollvereins jenen voreiligen Kauf rückgängig machen, oder den Kaiser Napoleon
zu weiteren Verwickelungen mit dem Bundesstaate treiben wird. Dies ist jeden¬
falls die richtige Haltung und sie entspricht genau den Wünschen und Forde¬
rungen unserer Nation.

Ob Luxemburg als Festung großen oder geringen Werth für Deutschland
habe, ist gar nicht die Hauptsache. Für den Bundesstaat und Preußen steht
die Sache so, daß wir nach den Umwandlungen des letzten Jahres kein Stück
unserer Besitzrechte und Ansprüche aufgeben dürfen, wenn nicht das gesteigerte
Selbstgefühl des Volkes und das Ansehen Preußens tödtlich gekränkt werden
soll. Savoyen und Nizza ist die Erinnerung, welche überall lebendig wird.
Wir aber waren nicht in der Lage der Italiener, unsere Einigung durch Gebiets¬
abtretungen an einen Nachbar zu erkaufen, und es würde als > tiefe und bren¬
nende Schmach empfunden werden, wenn bei uns geschähe, was den Italienern
noch heute als ein Makel ihrer politischen Ehre gilt.

Die Schwierigkeit des unglücklichen Handels bleibt, daß er unser Verhält¬
niß zu Frankreich unvermeidlich stört. Wenn der Kaiser von dem Kaufe zurück¬
tritt, oder wenn er darauf beharrt, in jedem Falle hat er die Franzosen in eine
Alteration gesetzt, welche ihn weiter compromittiren muß. Das französische
Heer aber ist. wie das deutsche, in einer Ncuformation, für beide ist ein Jahr
der Ruhe wünschenswerth. Für die Franzosen aber weit mehr als
für uns.

Noch ist in militärischen Kreisen bis heute nichts zu be.merken, was auf die
Möglichkeit ernster Eventualitäten hinwiese. Aber freilich kann jeder Tag, jode
neue Nachricht aus dem Haag zu repressiven Maßregeln nöthigen.


welche man nur zur Wahlurne dirigirt, um irgendeinen Reichen oder Vor¬
nehmen durch Massen von Stimmen auszustatten. Denn der Deutsche ist seit
Einführung parlamentarischer Formen gewohnt, seinen Erwählten als einen
Anwalt und Mandatar, als einen Beamten der Wähler zu betrachten, ein
herzliches persönliches Vertrauen ist ihm Voraussetzung. Das fürchtet er
geändert. —

Es war gut, daß eine wichtige Frage der großen Politik das verdüsterte
Antlitz, welches der Reichstag durch jene Abstimmungen erhalten, wieder um,
formte und die Parteien einander näherte. Was Graf Bismarck in seiner
Antwort aus die Jnterpellation nicbt bejahte, nicht verneinte, gilt doch für
zweifellos: daß der Vertrag zwischen Frankreich und Holland über die Cession
Luxemburgs abgeschlossen ist. Und für ebenso zweifellos gilt dem Reichstage,
daß Preußen sein Bcsatzungsrecht in Luxemburg nicht aufgeben wird, und ge¬
faßt abwarten, ob die Behauptung dieses Rechts in einem deutschen Lande des
Zollvereins jenen voreiligen Kauf rückgängig machen, oder den Kaiser Napoleon
zu weiteren Verwickelungen mit dem Bundesstaate treiben wird. Dies ist jeden¬
falls die richtige Haltung und sie entspricht genau den Wünschen und Forde¬
rungen unserer Nation.

Ob Luxemburg als Festung großen oder geringen Werth für Deutschland
habe, ist gar nicht die Hauptsache. Für den Bundesstaat und Preußen steht
die Sache so, daß wir nach den Umwandlungen des letzten Jahres kein Stück
unserer Besitzrechte und Ansprüche aufgeben dürfen, wenn nicht das gesteigerte
Selbstgefühl des Volkes und das Ansehen Preußens tödtlich gekränkt werden
soll. Savoyen und Nizza ist die Erinnerung, welche überall lebendig wird.
Wir aber waren nicht in der Lage der Italiener, unsere Einigung durch Gebiets¬
abtretungen an einen Nachbar zu erkaufen, und es würde als > tiefe und bren¬
nende Schmach empfunden werden, wenn bei uns geschähe, was den Italienern
noch heute als ein Makel ihrer politischen Ehre gilt.

Die Schwierigkeit des unglücklichen Handels bleibt, daß er unser Verhält¬
niß zu Frankreich unvermeidlich stört. Wenn der Kaiser von dem Kaufe zurück¬
tritt, oder wenn er darauf beharrt, in jedem Falle hat er die Franzosen in eine
Alteration gesetzt, welche ihn weiter compromittiren muß. Das französische
Heer aber ist. wie das deutsche, in einer Ncuformation, für beide ist ein Jahr
der Ruhe wünschenswerth. Für die Franzosen aber weit mehr als
für uns.

Noch ist in militärischen Kreisen bis heute nichts zu be.merken, was auf die
Möglichkeit ernster Eventualitäten hinwiese. Aber freilich kann jeder Tag, jode
neue Nachricht aus dem Haag zu repressiven Maßregeln nöthigen.


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[0081] welche man nur zur Wahlurne dirigirt, um irgendeinen Reichen oder Vor¬ nehmen durch Massen von Stimmen auszustatten. Denn der Deutsche ist seit Einführung parlamentarischer Formen gewohnt, seinen Erwählten als einen Anwalt und Mandatar, als einen Beamten der Wähler zu betrachten, ein herzliches persönliches Vertrauen ist ihm Voraussetzung. Das fürchtet er geändert. — Es war gut, daß eine wichtige Frage der großen Politik das verdüsterte Antlitz, welches der Reichstag durch jene Abstimmungen erhalten, wieder um, formte und die Parteien einander näherte. Was Graf Bismarck in seiner Antwort aus die Jnterpellation nicbt bejahte, nicht verneinte, gilt doch für zweifellos: daß der Vertrag zwischen Frankreich und Holland über die Cession Luxemburgs abgeschlossen ist. Und für ebenso zweifellos gilt dem Reichstage, daß Preußen sein Bcsatzungsrecht in Luxemburg nicht aufgeben wird, und ge¬ faßt abwarten, ob die Behauptung dieses Rechts in einem deutschen Lande des Zollvereins jenen voreiligen Kauf rückgängig machen, oder den Kaiser Napoleon zu weiteren Verwickelungen mit dem Bundesstaate treiben wird. Dies ist jeden¬ falls die richtige Haltung und sie entspricht genau den Wünschen und Forde¬ rungen unserer Nation. Ob Luxemburg als Festung großen oder geringen Werth für Deutschland habe, ist gar nicht die Hauptsache. Für den Bundesstaat und Preußen steht die Sache so, daß wir nach den Umwandlungen des letzten Jahres kein Stück unserer Besitzrechte und Ansprüche aufgeben dürfen, wenn nicht das gesteigerte Selbstgefühl des Volkes und das Ansehen Preußens tödtlich gekränkt werden soll. Savoyen und Nizza ist die Erinnerung, welche überall lebendig wird. Wir aber waren nicht in der Lage der Italiener, unsere Einigung durch Gebiets¬ abtretungen an einen Nachbar zu erkaufen, und es würde als > tiefe und bren¬ nende Schmach empfunden werden, wenn bei uns geschähe, was den Italienern noch heute als ein Makel ihrer politischen Ehre gilt. Die Schwierigkeit des unglücklichen Handels bleibt, daß er unser Verhält¬ niß zu Frankreich unvermeidlich stört. Wenn der Kaiser von dem Kaufe zurück¬ tritt, oder wenn er darauf beharrt, in jedem Falle hat er die Franzosen in eine Alteration gesetzt, welche ihn weiter compromittiren muß. Das französische Heer aber ist. wie das deutsche, in einer Ncuformation, für beide ist ein Jahr der Ruhe wünschenswerth. Für die Franzosen aber weit mehr als für uns. Noch ist in militärischen Kreisen bis heute nichts zu be.merken, was auf die Möglichkeit ernster Eventualitäten hinwiese. Aber freilich kann jeder Tag, jode neue Nachricht aus dem Haag zu repressiven Maßregeln nöthigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/81>, abgerufen am 05.02.2025.