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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Gerücht durch die Welt gegangen, daß unser Fürst bereits auf dem Punkte
stehe, die Souveränität an Preußen abzutreten. Wenn wirklich auch bloßes
Gerücht, immerhin ein bedeutsames Zeichen! Wir haben die Phantasien ge¬
lesen von einem thüringischen Gesammtsiaat. wir haben zu unserm Staunen
Vernommen, daß man in Greiz den hochherzigen Entschluß gefaßt, in allen Ein¬
richtungen des eignen Staats sich fortan eng an die Präsidialmacht anzuschließen,
-- daß man aber gewillt sei, die Krone selber daran zu geben, das hat man
allein dem waldeckschen Bundesgenossen nachgesagt. Und doch, wer unser Länd¬
chen aus der Ferne betrachtete, unterrichtet allein durch die Kundgebungen, die
in langen Zwischenräumen durch die außergewöhnliche Kraftanstrengung irgend¬
eines unsrer "Gebildeten" über unsre Grenzen hinausflattern, der wird schier
nicht begreifen können, wie unsre Negierung die erste sein sollte, die allen
Muth verlöre. Oder hat man da draußen jemals etwas erfahren von reak¬
tionären Tendenzen des waldeckschen Regimes, von absolutistischer Willkür, von
Klagen des Volks über Vernachlässigung seiner Interessen? Im Gegentheil!
Sagt doch Professor O. Speyer in Arolsen. einer der vielseitigst gebildeten und
liberalsten Männer des Landes, in einer eingehenden Abhandlung über Waldeck-
Pyrmont ("Unsere Zeit", Jahrgang 1862): "Die auf dem Grunde des mo-
dernen Staatsrechts und freisinniger Anschauungen durchaus umgestaltete Gesetz-
gebung hat den früher sehr zurückgebliebenen Staat in wenig Jahren auf die
Höhe der Zeit erhoben." Sonderbares Schauspiel indeß: ein Staat auf
der Hohe der Zeit und dennoch, will man dem Gerüchte trauen, am Rande des
Untergangs! Einen Augenblick zweifeln wir, sollen wir diese Situation tra¬
gisch oder komisch finden. Aber wir sind zu ernst; es frommt nicht mehr>, sich
ergötzlich zu weiden an den kühnen Theorien kleinstaatlicher Hofphilosophen,
dieser andern Don Quixotes, nur daß sie gegenüber ihren Wahngebilden statt
des Schwertes das Weihrauchfaß schwingen. Unsere Zeit hat eine schwere
Rache genommen für den allzu lange getriebenen Unfug, sich selbst zu betrügen
und sich gewaltsam einzubilden, man sehe etwas, wo nie etwas gewesen, die
Vortrefflichfeit der Staatsformen zu preisen, wo nie auch nur die einfachsten
Bedingungen staatlichen Inhalts vorhanden waren. Es ist endlich Pflicht auch
für den sorglosesten Bürger der kleinen Länder, grade in diesen für die künftige
Entwicklung der deutschen Dinge so verhängnißvollen Wochen, seine wirkliche
Stellung richtig zu begreifen, zu wissen, in welchen Verhältnissen sein winziges
Gemeinwesen in die neue Gesammtgestaltung eintritt, zu beurtheilen, welche
Zukunft seiner in demselben wartet. Unter diesem Gesichtspunkte treten-wir
an unsre Skizzirung der waldeckschen Zustände.

In den höchsten Gegenden des westlichen Deutschlands, ein wenig östlich
von der Wasserscheide zwischen Rhein und Weser, liegt das gebirgige Fürsten-
thum, das Klima rauh, wenngleich nicht ungesund, der Boden zu zwei Fünfteln


Gerücht durch die Welt gegangen, daß unser Fürst bereits auf dem Punkte
stehe, die Souveränität an Preußen abzutreten. Wenn wirklich auch bloßes
Gerücht, immerhin ein bedeutsames Zeichen! Wir haben die Phantasien ge¬
lesen von einem thüringischen Gesammtsiaat. wir haben zu unserm Staunen
Vernommen, daß man in Greiz den hochherzigen Entschluß gefaßt, in allen Ein¬
richtungen des eignen Staats sich fortan eng an die Präsidialmacht anzuschließen,
— daß man aber gewillt sei, die Krone selber daran zu geben, das hat man
allein dem waldeckschen Bundesgenossen nachgesagt. Und doch, wer unser Länd¬
chen aus der Ferne betrachtete, unterrichtet allein durch die Kundgebungen, die
in langen Zwischenräumen durch die außergewöhnliche Kraftanstrengung irgend¬
eines unsrer „Gebildeten" über unsre Grenzen hinausflattern, der wird schier
nicht begreifen können, wie unsre Negierung die erste sein sollte, die allen
Muth verlöre. Oder hat man da draußen jemals etwas erfahren von reak¬
tionären Tendenzen des waldeckschen Regimes, von absolutistischer Willkür, von
Klagen des Volks über Vernachlässigung seiner Interessen? Im Gegentheil!
Sagt doch Professor O. Speyer in Arolsen. einer der vielseitigst gebildeten und
liberalsten Männer des Landes, in einer eingehenden Abhandlung über Waldeck-
Pyrmont („Unsere Zeit", Jahrgang 1862): „Die auf dem Grunde des mo-
dernen Staatsrechts und freisinniger Anschauungen durchaus umgestaltete Gesetz-
gebung hat den früher sehr zurückgebliebenen Staat in wenig Jahren auf die
Höhe der Zeit erhoben." Sonderbares Schauspiel indeß: ein Staat auf
der Hohe der Zeit und dennoch, will man dem Gerüchte trauen, am Rande des
Untergangs! Einen Augenblick zweifeln wir, sollen wir diese Situation tra¬
gisch oder komisch finden. Aber wir sind zu ernst; es frommt nicht mehr>, sich
ergötzlich zu weiden an den kühnen Theorien kleinstaatlicher Hofphilosophen,
dieser andern Don Quixotes, nur daß sie gegenüber ihren Wahngebilden statt
des Schwertes das Weihrauchfaß schwingen. Unsere Zeit hat eine schwere
Rache genommen für den allzu lange getriebenen Unfug, sich selbst zu betrügen
und sich gewaltsam einzubilden, man sehe etwas, wo nie etwas gewesen, die
Vortrefflichfeit der Staatsformen zu preisen, wo nie auch nur die einfachsten
Bedingungen staatlichen Inhalts vorhanden waren. Es ist endlich Pflicht auch
für den sorglosesten Bürger der kleinen Länder, grade in diesen für die künftige
Entwicklung der deutschen Dinge so verhängnißvollen Wochen, seine wirkliche
Stellung richtig zu begreifen, zu wissen, in welchen Verhältnissen sein winziges
Gemeinwesen in die neue Gesammtgestaltung eintritt, zu beurtheilen, welche
Zukunft seiner in demselben wartet. Unter diesem Gesichtspunkte treten-wir
an unsre Skizzirung der waldeckschen Zustände.

In den höchsten Gegenden des westlichen Deutschlands, ein wenig östlich
von der Wasserscheide zwischen Rhein und Weser, liegt das gebirgige Fürsten-
thum, das Klima rauh, wenngleich nicht ungesund, der Boden zu zwei Fünfteln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/58>, abgerufen am 01.07.2024.