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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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deutsche Schiffsbesichtigungsanstalt wären mit ihrer Annahme nationaler Wür¬
digkeit der Sache etwas bescheidener gewesen. Nicht alle?, was verwandte Inter¬
essen durch ganz Deutschland oder Norddeutschland hin zusammenfaßt, ist des¬
halb auch schon im emphatischen Sinn des Worts national. Unsere politische
Schwache als Nation hat in uns den Hang entwickelt, die nationale Gemein¬
samkeit bei jeder halbwegs sich bietenden Gelegenheit möglichst.nachdrücklich zu
betonen. Aber seit uns die volle Gesundheit wiedergekehrt, die Kraft herrlicher
als je verjüngt ist, darf man wohl aufhören, national zu nennen, was eigent¬
lich nicht national ist oder zu sein braucht, um diesen edlen Stempel nicht unnöthig
abzuschleifen.

In der Frage, welche uns beschäftigt, liegen die Enischeidungsgründc auf
einem anderen Gebiete. Es handelt sich vornehmlich erstens um das Interesse
der Seeversicherer im Verhältniß oder im Gegensatz zu dein Interesse der Rheder
und Schiffsbauer, und zweitens um die Form der Schisfsbcsichtigungsanstalt, ob
sie besser auf Selbstverwaltung der Interessenten gegründet oder als selbständiges
Actienuntcrnehmen behandelt wird. Die deutschen Gegner der Veritas gingen
von Beschwerden der Rheder und Sehiffsbaumcistcr aus und steuerten folgerichtig
auf ein hauptsächlich von diesen beiden Classen ins Leben zu rufendes Institut,
auf Selbstverwaltung und Gegenseitigkeit los. Sie warfen der Veritas Mangel
an ausreichender technischer Kenntniß unter ihren Sachverständigen und über¬
mäßige Höhe der Gebühren, sowie namentlich den einträglichen Schwindel Vor,
den sie mit einem nachträglich eingeführten Kunz oder Stern, der noch über die
erste Classe geht, getrieben haben sollte. Die deutschen Vertheidiger der Veritas
konnten diese Vorwürfe wohl nicht völlig entkräften, allein sie behaupteten, die
Besichtigung und Classification der Seeschiffe sei eine Aufgabe für selbständige
Unternehmungen, nicht für ein von den Eigenthümern und Erbauern der Schiffe
errichtetes Institut, und sie finde keineswegs im Interesse dieser letzteren beiden
Classen, sondern lediglich im Interesse der seco ersi es erer statt. Für den
Gebrauch des Versicherers würden die Schiffe geprüft und in Register ein¬
getragen mit bestimmten, Richtschnur ertheilenden Zeichen; in ihrem Auftrage
allein handele die Anstalt und dürfe daher auch allein in ihrem Interesse han¬
deln. Den Einfluß von Rhedern und Schiffsbaumeistern könne sich der Verhinderer
am wenigsten gefallen lassen, denn ihr Interesse sei dem seinigen grade ent¬
gegengesetzt, -- sie seien die Käufer der'Sicherheit, welche er feil halte, und er
könne ihnen deshalb nun und nimmermehr einräumen, auf die Grundlage seines
Urtheils in Bezug auf den Preis, welchen er zu fordern habe, bestimmend ein¬
zuwirken. Die Verhinderer aber seien ihrerseits im Großen und Ganzen mit der
Veritas zufrieden. Daß Rheder und Schiffsbaumcister mit ihr unzufrieden
seien, könne ebenso gut in ihrer pflichtgemäßen Sorge für die Interessen der
Verhinderer als in wirklichen Verstößen und Mängeln seinen Grund haben.


deutsche Schiffsbesichtigungsanstalt wären mit ihrer Annahme nationaler Wür¬
digkeit der Sache etwas bescheidener gewesen. Nicht alle?, was verwandte Inter¬
essen durch ganz Deutschland oder Norddeutschland hin zusammenfaßt, ist des¬
halb auch schon im emphatischen Sinn des Worts national. Unsere politische
Schwache als Nation hat in uns den Hang entwickelt, die nationale Gemein¬
samkeit bei jeder halbwegs sich bietenden Gelegenheit möglichst.nachdrücklich zu
betonen. Aber seit uns die volle Gesundheit wiedergekehrt, die Kraft herrlicher
als je verjüngt ist, darf man wohl aufhören, national zu nennen, was eigent¬
lich nicht national ist oder zu sein braucht, um diesen edlen Stempel nicht unnöthig
abzuschleifen.

In der Frage, welche uns beschäftigt, liegen die Enischeidungsgründc auf
einem anderen Gebiete. Es handelt sich vornehmlich erstens um das Interesse
der Seeversicherer im Verhältniß oder im Gegensatz zu dein Interesse der Rheder
und Schiffsbauer, und zweitens um die Form der Schisfsbcsichtigungsanstalt, ob
sie besser auf Selbstverwaltung der Interessenten gegründet oder als selbständiges
Actienuntcrnehmen behandelt wird. Die deutschen Gegner der Veritas gingen
von Beschwerden der Rheder und Sehiffsbaumcistcr aus und steuerten folgerichtig
auf ein hauptsächlich von diesen beiden Classen ins Leben zu rufendes Institut,
auf Selbstverwaltung und Gegenseitigkeit los. Sie warfen der Veritas Mangel
an ausreichender technischer Kenntniß unter ihren Sachverständigen und über¬
mäßige Höhe der Gebühren, sowie namentlich den einträglichen Schwindel Vor,
den sie mit einem nachträglich eingeführten Kunz oder Stern, der noch über die
erste Classe geht, getrieben haben sollte. Die deutschen Vertheidiger der Veritas
konnten diese Vorwürfe wohl nicht völlig entkräften, allein sie behaupteten, die
Besichtigung und Classification der Seeschiffe sei eine Aufgabe für selbständige
Unternehmungen, nicht für ein von den Eigenthümern und Erbauern der Schiffe
errichtetes Institut, und sie finde keineswegs im Interesse dieser letzteren beiden
Classen, sondern lediglich im Interesse der seco ersi es erer statt. Für den
Gebrauch des Versicherers würden die Schiffe geprüft und in Register ein¬
getragen mit bestimmten, Richtschnur ertheilenden Zeichen; in ihrem Auftrage
allein handele die Anstalt und dürfe daher auch allein in ihrem Interesse han¬
deln. Den Einfluß von Rhedern und Schiffsbaumeistern könne sich der Verhinderer
am wenigsten gefallen lassen, denn ihr Interesse sei dem seinigen grade ent¬
gegengesetzt, — sie seien die Käufer der'Sicherheit, welche er feil halte, und er
könne ihnen deshalb nun und nimmermehr einräumen, auf die Grundlage seines
Urtheils in Bezug auf den Preis, welchen er zu fordern habe, bestimmend ein¬
zuwirken. Die Verhinderer aber seien ihrerseits im Großen und Ganzen mit der
Veritas zufrieden. Daß Rheder und Schiffsbaumcister mit ihr unzufrieden
seien, könne ebenso gut in ihrer pflichtgemäßen Sorge für die Interessen der
Verhinderer als in wirklichen Verstößen und Mängeln seinen Grund haben.


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[0056] deutsche Schiffsbesichtigungsanstalt wären mit ihrer Annahme nationaler Wür¬ digkeit der Sache etwas bescheidener gewesen. Nicht alle?, was verwandte Inter¬ essen durch ganz Deutschland oder Norddeutschland hin zusammenfaßt, ist des¬ halb auch schon im emphatischen Sinn des Worts national. Unsere politische Schwache als Nation hat in uns den Hang entwickelt, die nationale Gemein¬ samkeit bei jeder halbwegs sich bietenden Gelegenheit möglichst.nachdrücklich zu betonen. Aber seit uns die volle Gesundheit wiedergekehrt, die Kraft herrlicher als je verjüngt ist, darf man wohl aufhören, national zu nennen, was eigent¬ lich nicht national ist oder zu sein braucht, um diesen edlen Stempel nicht unnöthig abzuschleifen. In der Frage, welche uns beschäftigt, liegen die Enischeidungsgründc auf einem anderen Gebiete. Es handelt sich vornehmlich erstens um das Interesse der Seeversicherer im Verhältniß oder im Gegensatz zu dein Interesse der Rheder und Schiffsbauer, und zweitens um die Form der Schisfsbcsichtigungsanstalt, ob sie besser auf Selbstverwaltung der Interessenten gegründet oder als selbständiges Actienuntcrnehmen behandelt wird. Die deutschen Gegner der Veritas gingen von Beschwerden der Rheder und Sehiffsbaumcistcr aus und steuerten folgerichtig auf ein hauptsächlich von diesen beiden Classen ins Leben zu rufendes Institut, auf Selbstverwaltung und Gegenseitigkeit los. Sie warfen der Veritas Mangel an ausreichender technischer Kenntniß unter ihren Sachverständigen und über¬ mäßige Höhe der Gebühren, sowie namentlich den einträglichen Schwindel Vor, den sie mit einem nachträglich eingeführten Kunz oder Stern, der noch über die erste Classe geht, getrieben haben sollte. Die deutschen Vertheidiger der Veritas konnten diese Vorwürfe wohl nicht völlig entkräften, allein sie behaupteten, die Besichtigung und Classification der Seeschiffe sei eine Aufgabe für selbständige Unternehmungen, nicht für ein von den Eigenthümern und Erbauern der Schiffe errichtetes Institut, und sie finde keineswegs im Interesse dieser letzteren beiden Classen, sondern lediglich im Interesse der seco ersi es erer statt. Für den Gebrauch des Versicherers würden die Schiffe geprüft und in Register ein¬ getragen mit bestimmten, Richtschnur ertheilenden Zeichen; in ihrem Auftrage allein handele die Anstalt und dürfe daher auch allein in ihrem Interesse han¬ deln. Den Einfluß von Rhedern und Schiffsbaumeistern könne sich der Verhinderer am wenigsten gefallen lassen, denn ihr Interesse sei dem seinigen grade ent¬ gegengesetzt, — sie seien die Käufer der'Sicherheit, welche er feil halte, und er könne ihnen deshalb nun und nimmermehr einräumen, auf die Grundlage seines Urtheils in Bezug auf den Preis, welchen er zu fordern habe, bestimmend ein¬ zuwirken. Die Verhinderer aber seien ihrerseits im Großen und Ganzen mit der Veritas zufrieden. Daß Rheder und Schiffsbaumcister mit ihr unzufrieden seien, könne ebenso gut in ihrer pflichtgemäßen Sorge für die Interessen der Verhinderer als in wirklichen Verstößen und Mängeln seinen Grund haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/56>, abgerufen am 01.07.2024.