Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Einigung schwer. Die Ueberzeugung von der Richtigkeit der Idee war viel
weiter verbreitet als der Wille und die Fähigkeit, sich über praktisches Vorgehen
zu verständigen. Zuletzt drang die kecke und entschlossene Initiative eines Ein¬
zelnen durch. Herr August Behn, ein nicht unbedeutender Rheder, stellte sich
plötzlich mit einer Art leidenschaftlicher Energie an die Spitze des Unternehmens,
veröffentlichte rasch hinter einander mehre packend geschriebene Artikel und Flug¬
schriften, correspondirte und telegraphirte nach allen Seiten hin und hatte nach
vier- oder fünfwöchentlicher fieberhafter Thätigkeit die Genugthuung, daß in der
von ihm berufenen Gründerversammlung am 16. März nach scharfem und für
ihn glücklichem Wortgefecht die Constiwirung eines "Germanischen Lloyd" be¬
schlossen wurde.

Die Schiffsbcsichtigungsanstalten haben den Zweck, neugebaute oder durch¬
greifend reparirte Schiffe sowohl, wie solche, welche nach einer längeren Fahrt
der Reparatur bedürfen, durch Sachverständige prüfen zu lassen, und deren Gut¬
achten in Bezug auf die wahrscheinliche Haltbarkeit des so geprüften.Schiffs
dann in einem regelmäßig veröffentlichten Register bekannt zu machen. Ihre
Register dienen so 'als Grundlage für die Versicherungsverträge, welche über
Schiff und Ladung abgeschlossen werden. An der Spitze aller Schiffsbcsichti¬
gungsanstalten steht das Bureau "Venlas" in Paris, 1834 von dem geschäfts¬
kundigen Belgier Charles Bal, der noch heute an der Spitze steht, ins Leben
gerufen. In seinen Registern finden sich über 30,000 Schisse aller Nationen
classificirt. Es ist das einzige annäherungsweise universelle und kosmopolitische
Institut dieser Art; selbst der englische Lloyd ist in viel höherem Grade eng¬
lisches Nationalinstitut, als die Veritas ein französisches. In ihrer ersten Lebens¬
zeit leistete die Veritas dem Weltverkehr allgemein und warm anerkannte Dienste.
Aber mit den Jahren erhoben sich immer mehr Beschwerden. - Mag die große
und einzige Ausdehnung, die das pariser Register erlangt hat, seinen Inhabern
und Verwaltern, wie es zu gehen Pflegt, allmälig etwas von trägem, hoch¬
mütigem und eigennützigen Monopolgcist mitgetheilt haben; mögen die An¬
sprüche an solche Institute grade mit der durch die Veritas gebotenen Befriedi¬
gung gewachsen sein, und zwar rascher als die Neigung oder die Fähigkeit des
Herrn Bal und Genossen, ihnen zu folgen: genug, seit einer gewissen Reihe
von Jahren tauchen vielcrwärts rivalisirende Institute auf, welche fast alle aus
dem Drange bestimmter Kreise hervorgehen, sich von der Alleinherrschaft der
Veritas zu emancipiren, und welche im Gegensatz zu dem kosmopolitischen
Charakter der Veritas an die nationale Selbstbestimmung und Unabhängigkeit
appelliren.

Diese Seite der Sache trat auch in Deutschland in den Vordergrund, als
der Anstoß, der von Rostock aus schon vor längerer Zeit gegeben worden war,
vor ungefähr anderthalb Jahren in einer lebhaften Erörterung der Angelegen-


Einigung schwer. Die Ueberzeugung von der Richtigkeit der Idee war viel
weiter verbreitet als der Wille und die Fähigkeit, sich über praktisches Vorgehen
zu verständigen. Zuletzt drang die kecke und entschlossene Initiative eines Ein¬
zelnen durch. Herr August Behn, ein nicht unbedeutender Rheder, stellte sich
plötzlich mit einer Art leidenschaftlicher Energie an die Spitze des Unternehmens,
veröffentlichte rasch hinter einander mehre packend geschriebene Artikel und Flug¬
schriften, correspondirte und telegraphirte nach allen Seiten hin und hatte nach
vier- oder fünfwöchentlicher fieberhafter Thätigkeit die Genugthuung, daß in der
von ihm berufenen Gründerversammlung am 16. März nach scharfem und für
ihn glücklichem Wortgefecht die Constiwirung eines „Germanischen Lloyd" be¬
schlossen wurde.

Die Schiffsbcsichtigungsanstalten haben den Zweck, neugebaute oder durch¬
greifend reparirte Schiffe sowohl, wie solche, welche nach einer längeren Fahrt
der Reparatur bedürfen, durch Sachverständige prüfen zu lassen, und deren Gut¬
achten in Bezug auf die wahrscheinliche Haltbarkeit des so geprüften.Schiffs
dann in einem regelmäßig veröffentlichten Register bekannt zu machen. Ihre
Register dienen so 'als Grundlage für die Versicherungsverträge, welche über
Schiff und Ladung abgeschlossen werden. An der Spitze aller Schiffsbcsichti¬
gungsanstalten steht das Bureau „Venlas" in Paris, 1834 von dem geschäfts¬
kundigen Belgier Charles Bal, der noch heute an der Spitze steht, ins Leben
gerufen. In seinen Registern finden sich über 30,000 Schisse aller Nationen
classificirt. Es ist das einzige annäherungsweise universelle und kosmopolitische
Institut dieser Art; selbst der englische Lloyd ist in viel höherem Grade eng¬
lisches Nationalinstitut, als die Veritas ein französisches. In ihrer ersten Lebens¬
zeit leistete die Veritas dem Weltverkehr allgemein und warm anerkannte Dienste.
Aber mit den Jahren erhoben sich immer mehr Beschwerden. - Mag die große
und einzige Ausdehnung, die das pariser Register erlangt hat, seinen Inhabern
und Verwaltern, wie es zu gehen Pflegt, allmälig etwas von trägem, hoch¬
mütigem und eigennützigen Monopolgcist mitgetheilt haben; mögen die An¬
sprüche an solche Institute grade mit der durch die Veritas gebotenen Befriedi¬
gung gewachsen sein, und zwar rascher als die Neigung oder die Fähigkeit des
Herrn Bal und Genossen, ihnen zu folgen: genug, seit einer gewissen Reihe
von Jahren tauchen vielcrwärts rivalisirende Institute auf, welche fast alle aus
dem Drange bestimmter Kreise hervorgehen, sich von der Alleinherrschaft der
Veritas zu emancipiren, und welche im Gegensatz zu dem kosmopolitischen
Charakter der Veritas an die nationale Selbstbestimmung und Unabhängigkeit
appelliren.

Diese Seite der Sache trat auch in Deutschland in den Vordergrund, als
der Anstoß, der von Rostock aus schon vor längerer Zeit gegeben worden war,
vor ungefähr anderthalb Jahren in einer lebhaften Erörterung der Angelegen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190748"/>
          <p xml:id="ID_169" prev="#ID_168"> Einigung schwer. Die Ueberzeugung von der Richtigkeit der Idee war viel<lb/>
weiter verbreitet als der Wille und die Fähigkeit, sich über praktisches Vorgehen<lb/>
zu verständigen. Zuletzt drang die kecke und entschlossene Initiative eines Ein¬<lb/>
zelnen durch. Herr August Behn, ein nicht unbedeutender Rheder, stellte sich<lb/>
plötzlich mit einer Art leidenschaftlicher Energie an die Spitze des Unternehmens,<lb/>
veröffentlichte rasch hinter einander mehre packend geschriebene Artikel und Flug¬<lb/>
schriften, correspondirte und telegraphirte nach allen Seiten hin und hatte nach<lb/>
vier- oder fünfwöchentlicher fieberhafter Thätigkeit die Genugthuung, daß in der<lb/>
von ihm berufenen Gründerversammlung am 16. März nach scharfem und für<lb/>
ihn glücklichem Wortgefecht die Constiwirung eines &#x201E;Germanischen Lloyd" be¬<lb/>
schlossen wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_170"> Die Schiffsbcsichtigungsanstalten haben den Zweck, neugebaute oder durch¬<lb/>
greifend reparirte Schiffe sowohl, wie solche, welche nach einer längeren Fahrt<lb/>
der Reparatur bedürfen, durch Sachverständige prüfen zu lassen, und deren Gut¬<lb/>
achten in Bezug auf die wahrscheinliche Haltbarkeit des so geprüften.Schiffs<lb/>
dann in einem regelmäßig veröffentlichten Register bekannt zu machen. Ihre<lb/>
Register dienen so 'als Grundlage für die Versicherungsverträge, welche über<lb/>
Schiff und Ladung abgeschlossen werden. An der Spitze aller Schiffsbcsichti¬<lb/>
gungsanstalten steht das Bureau &#x201E;Venlas" in Paris, 1834 von dem geschäfts¬<lb/>
kundigen Belgier Charles Bal, der noch heute an der Spitze steht, ins Leben<lb/>
gerufen. In seinen Registern finden sich über 30,000 Schisse aller Nationen<lb/>
classificirt. Es ist das einzige annäherungsweise universelle und kosmopolitische<lb/>
Institut dieser Art; selbst der englische Lloyd ist in viel höherem Grade eng¬<lb/>
lisches Nationalinstitut, als die Veritas ein französisches. In ihrer ersten Lebens¬<lb/>
zeit leistete die Veritas dem Weltverkehr allgemein und warm anerkannte Dienste.<lb/>
Aber mit den Jahren erhoben sich immer mehr Beschwerden. - Mag die große<lb/>
und einzige Ausdehnung, die das pariser Register erlangt hat, seinen Inhabern<lb/>
und Verwaltern, wie es zu gehen Pflegt, allmälig etwas von trägem, hoch¬<lb/>
mütigem und eigennützigen Monopolgcist mitgetheilt haben; mögen die An¬<lb/>
sprüche an solche Institute grade mit der durch die Veritas gebotenen Befriedi¬<lb/>
gung gewachsen sein, und zwar rascher als die Neigung oder die Fähigkeit des<lb/>
Herrn Bal und Genossen, ihnen zu folgen: genug, seit einer gewissen Reihe<lb/>
von Jahren tauchen vielcrwärts rivalisirende Institute auf, welche fast alle aus<lb/>
dem Drange bestimmter Kreise hervorgehen, sich von der Alleinherrschaft der<lb/>
Veritas zu emancipiren, und welche im Gegensatz zu dem kosmopolitischen<lb/>
Charakter der Veritas an die nationale Selbstbestimmung und Unabhängigkeit<lb/>
appelliren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_171" next="#ID_172"> Diese Seite der Sache trat auch in Deutschland in den Vordergrund, als<lb/>
der Anstoß, der von Rostock aus schon vor längerer Zeit gegeben worden war,<lb/>
vor ungefähr anderthalb Jahren in einer lebhaften Erörterung der Angelegen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] Einigung schwer. Die Ueberzeugung von der Richtigkeit der Idee war viel weiter verbreitet als der Wille und die Fähigkeit, sich über praktisches Vorgehen zu verständigen. Zuletzt drang die kecke und entschlossene Initiative eines Ein¬ zelnen durch. Herr August Behn, ein nicht unbedeutender Rheder, stellte sich plötzlich mit einer Art leidenschaftlicher Energie an die Spitze des Unternehmens, veröffentlichte rasch hinter einander mehre packend geschriebene Artikel und Flug¬ schriften, correspondirte und telegraphirte nach allen Seiten hin und hatte nach vier- oder fünfwöchentlicher fieberhafter Thätigkeit die Genugthuung, daß in der von ihm berufenen Gründerversammlung am 16. März nach scharfem und für ihn glücklichem Wortgefecht die Constiwirung eines „Germanischen Lloyd" be¬ schlossen wurde. Die Schiffsbcsichtigungsanstalten haben den Zweck, neugebaute oder durch¬ greifend reparirte Schiffe sowohl, wie solche, welche nach einer längeren Fahrt der Reparatur bedürfen, durch Sachverständige prüfen zu lassen, und deren Gut¬ achten in Bezug auf die wahrscheinliche Haltbarkeit des so geprüften.Schiffs dann in einem regelmäßig veröffentlichten Register bekannt zu machen. Ihre Register dienen so 'als Grundlage für die Versicherungsverträge, welche über Schiff und Ladung abgeschlossen werden. An der Spitze aller Schiffsbcsichti¬ gungsanstalten steht das Bureau „Venlas" in Paris, 1834 von dem geschäfts¬ kundigen Belgier Charles Bal, der noch heute an der Spitze steht, ins Leben gerufen. In seinen Registern finden sich über 30,000 Schisse aller Nationen classificirt. Es ist das einzige annäherungsweise universelle und kosmopolitische Institut dieser Art; selbst der englische Lloyd ist in viel höherem Grade eng¬ lisches Nationalinstitut, als die Veritas ein französisches. In ihrer ersten Lebens¬ zeit leistete die Veritas dem Weltverkehr allgemein und warm anerkannte Dienste. Aber mit den Jahren erhoben sich immer mehr Beschwerden. - Mag die große und einzige Ausdehnung, die das pariser Register erlangt hat, seinen Inhabern und Verwaltern, wie es zu gehen Pflegt, allmälig etwas von trägem, hoch¬ mütigem und eigennützigen Monopolgcist mitgetheilt haben; mögen die An¬ sprüche an solche Institute grade mit der durch die Veritas gebotenen Befriedi¬ gung gewachsen sein, und zwar rascher als die Neigung oder die Fähigkeit des Herrn Bal und Genossen, ihnen zu folgen: genug, seit einer gewissen Reihe von Jahren tauchen vielcrwärts rivalisirende Institute auf, welche fast alle aus dem Drange bestimmter Kreise hervorgehen, sich von der Alleinherrschaft der Veritas zu emancipiren, und welche im Gegensatz zu dem kosmopolitischen Charakter der Veritas an die nationale Selbstbestimmung und Unabhängigkeit appelliren. Diese Seite der Sache trat auch in Deutschland in den Vordergrund, als der Anstoß, der von Rostock aus schon vor längerer Zeit gegeben worden war, vor ungefähr anderthalb Jahren in einer lebhaften Erörterung der Angelegen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/54>, abgerufen am 24.08.2024.