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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Oestreichs ist es aber unvereinbar, daß auch diesseits der Leitha sich ein zweites
Ungarn erHede, daß auch die deutsche Hälfte des Reiches mit den gleichen Rechten
ausgestattet werde, wie die Länder der ungarischen Krone. Hat in diesen die
Centralregierung sich an den Volkswillen eng gebunden, ihrer Executive feste
Schranken auferlegt, so geschah es nur mit dem stillen Vorbehalte, dafür in den
andern Provinzen schadlos zu werden, hier desto freier über die Volkskraft schalten
zu können, die stets bereiten Machtmittel zu finden.

Beust hat zwar mit der an ihm bekannten sittlichen Entrüstung den Gedanken
von sich gewiesen, als ob er den Dualismus so verstehe, daß "die eine Hälfte
des Reiches verfassungsmäßig, die andere versassungslos lebte." Das wird aber
auch nicht geschehen. In holder Eintracht mit dem wiener Reichstage wird er
regieren. Denn der Reichstag, der nur eine Minorität der Bevölkerung reprci-
sentirt, wird keine Opposition gegen den Staatsmann machen, welcher diese
Minorität in den Rechten der Mehrheit erhält. Die Herzenswünsche der leiten¬
den Männer Deutschöstreichs wird er verwirklichen, auf volkstümlichen Wegen
wandeln. Wird nicht tagtäglich die Revision des prager Friedens als das wün-
schenswertheste Ereigniß für Oestreich geschildert, nicht die Nothwendigkeit,
Ostreich wieder als deutsche Präsidialmacht, als den Hort der kleinen deuischen
Fürsten, und den Schutzgeist der Particularisten einzusetzen, bewiesen. -- Es
war wirklich rührend, wie man in Wien vor einigen Wochen für die Inte¬
grität des deutschen Bodens schwärmte, sich dafür begeisterte, daß auch nicht
ein Fuß deutscher Erde an den Erbfeind ausgeliefert würde. Denn wenn man
sonst die Franzosen am Rhein wünscht, so geschieht das nur, um die unzu¬
länglichen Mittel Preußens, Deutschland zu schützen, seine unberechtigten An¬
sprüche, als deutsche Hauptmacht zu gelten, zu documentiren. Hat sich nicht
Preußen auch jetzt wieder durch seine Nachgiebigkeit als Minderer des Reiches
gezeigt? Man könnte freilich auf das Vorrücken der italienischen Sprachgrenze
in Tirol, auf das Zurückweichen des deutschen Elementes in den halbslawischen
Provinzen Oestreichs hinweisen und betonen, daß die deutsche Bildung in
Oestreich seit Jahrzehenten eine stetige Einbuße erfährt. Doch das hieße un¬
würdig von Oestreichs Mission denken. Sein Deutschthum fängt erst jenseit seiner
westlichen Grenze an, es ist deutsch für die Bayern und Würtenberger, für die
westphälischen und rheinischen Ultramontanen, für die hannoverschen Particu¬
laristen, innerhalb seiner Grenzen braucht es für die Entwickelung deutscher
Gesinnung und Cultur nichts zu thun, da darf das deutsche Wesen bald den
Slawen, bald den Magyaren, bald der feudalen Aristokratie, bald der römi¬
schen Kirche geopfert werden.

Jedenfalls ist die Wiederherstellung der deutschen Macht Oestreichs in
Wien populär und dort auch die Ueberzeugung verbreitet, daß Hr. v. Beust
dieses Ziel erreichen werde. Stimmt man mit ihm im Zwecke so vollkommen


Oestreichs ist es aber unvereinbar, daß auch diesseits der Leitha sich ein zweites
Ungarn erHede, daß auch die deutsche Hälfte des Reiches mit den gleichen Rechten
ausgestattet werde, wie die Länder der ungarischen Krone. Hat in diesen die
Centralregierung sich an den Volkswillen eng gebunden, ihrer Executive feste
Schranken auferlegt, so geschah es nur mit dem stillen Vorbehalte, dafür in den
andern Provinzen schadlos zu werden, hier desto freier über die Volkskraft schalten
zu können, die stets bereiten Machtmittel zu finden.

Beust hat zwar mit der an ihm bekannten sittlichen Entrüstung den Gedanken
von sich gewiesen, als ob er den Dualismus so verstehe, daß „die eine Hälfte
des Reiches verfassungsmäßig, die andere versassungslos lebte." Das wird aber
auch nicht geschehen. In holder Eintracht mit dem wiener Reichstage wird er
regieren. Denn der Reichstag, der nur eine Minorität der Bevölkerung reprci-
sentirt, wird keine Opposition gegen den Staatsmann machen, welcher diese
Minorität in den Rechten der Mehrheit erhält. Die Herzenswünsche der leiten¬
den Männer Deutschöstreichs wird er verwirklichen, auf volkstümlichen Wegen
wandeln. Wird nicht tagtäglich die Revision des prager Friedens als das wün-
schenswertheste Ereigniß für Oestreich geschildert, nicht die Nothwendigkeit,
Ostreich wieder als deutsche Präsidialmacht, als den Hort der kleinen deuischen
Fürsten, und den Schutzgeist der Particularisten einzusetzen, bewiesen. — Es
war wirklich rührend, wie man in Wien vor einigen Wochen für die Inte¬
grität des deutschen Bodens schwärmte, sich dafür begeisterte, daß auch nicht
ein Fuß deutscher Erde an den Erbfeind ausgeliefert würde. Denn wenn man
sonst die Franzosen am Rhein wünscht, so geschieht das nur, um die unzu¬
länglichen Mittel Preußens, Deutschland zu schützen, seine unberechtigten An¬
sprüche, als deutsche Hauptmacht zu gelten, zu documentiren. Hat sich nicht
Preußen auch jetzt wieder durch seine Nachgiebigkeit als Minderer des Reiches
gezeigt? Man könnte freilich auf das Vorrücken der italienischen Sprachgrenze
in Tirol, auf das Zurückweichen des deutschen Elementes in den halbslawischen
Provinzen Oestreichs hinweisen und betonen, daß die deutsche Bildung in
Oestreich seit Jahrzehenten eine stetige Einbuße erfährt. Doch das hieße un¬
würdig von Oestreichs Mission denken. Sein Deutschthum fängt erst jenseit seiner
westlichen Grenze an, es ist deutsch für die Bayern und Würtenberger, für die
westphälischen und rheinischen Ultramontanen, für die hannoverschen Particu¬
laristen, innerhalb seiner Grenzen braucht es für die Entwickelung deutscher
Gesinnung und Cultur nichts zu thun, da darf das deutsche Wesen bald den
Slawen, bald den Magyaren, bald der feudalen Aristokratie, bald der römi¬
schen Kirche geopfert werden.

Jedenfalls ist die Wiederherstellung der deutschen Macht Oestreichs in
Wien populär und dort auch die Ueberzeugung verbreitet, daß Hr. v. Beust
dieses Ziel erreichen werde. Stimmt man mit ihm im Zwecke so vollkommen


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[0494] Oestreichs ist es aber unvereinbar, daß auch diesseits der Leitha sich ein zweites Ungarn erHede, daß auch die deutsche Hälfte des Reiches mit den gleichen Rechten ausgestattet werde, wie die Länder der ungarischen Krone. Hat in diesen die Centralregierung sich an den Volkswillen eng gebunden, ihrer Executive feste Schranken auferlegt, so geschah es nur mit dem stillen Vorbehalte, dafür in den andern Provinzen schadlos zu werden, hier desto freier über die Volkskraft schalten zu können, die stets bereiten Machtmittel zu finden. Beust hat zwar mit der an ihm bekannten sittlichen Entrüstung den Gedanken von sich gewiesen, als ob er den Dualismus so verstehe, daß „die eine Hälfte des Reiches verfassungsmäßig, die andere versassungslos lebte." Das wird aber auch nicht geschehen. In holder Eintracht mit dem wiener Reichstage wird er regieren. Denn der Reichstag, der nur eine Minorität der Bevölkerung reprci- sentirt, wird keine Opposition gegen den Staatsmann machen, welcher diese Minorität in den Rechten der Mehrheit erhält. Die Herzenswünsche der leiten¬ den Männer Deutschöstreichs wird er verwirklichen, auf volkstümlichen Wegen wandeln. Wird nicht tagtäglich die Revision des prager Friedens als das wün- schenswertheste Ereigniß für Oestreich geschildert, nicht die Nothwendigkeit, Ostreich wieder als deutsche Präsidialmacht, als den Hort der kleinen deuischen Fürsten, und den Schutzgeist der Particularisten einzusetzen, bewiesen. — Es war wirklich rührend, wie man in Wien vor einigen Wochen für die Inte¬ grität des deutschen Bodens schwärmte, sich dafür begeisterte, daß auch nicht ein Fuß deutscher Erde an den Erbfeind ausgeliefert würde. Denn wenn man sonst die Franzosen am Rhein wünscht, so geschieht das nur, um die unzu¬ länglichen Mittel Preußens, Deutschland zu schützen, seine unberechtigten An¬ sprüche, als deutsche Hauptmacht zu gelten, zu documentiren. Hat sich nicht Preußen auch jetzt wieder durch seine Nachgiebigkeit als Minderer des Reiches gezeigt? Man könnte freilich auf das Vorrücken der italienischen Sprachgrenze in Tirol, auf das Zurückweichen des deutschen Elementes in den halbslawischen Provinzen Oestreichs hinweisen und betonen, daß die deutsche Bildung in Oestreich seit Jahrzehenten eine stetige Einbuße erfährt. Doch das hieße un¬ würdig von Oestreichs Mission denken. Sein Deutschthum fängt erst jenseit seiner westlichen Grenze an, es ist deutsch für die Bayern und Würtenberger, für die westphälischen und rheinischen Ultramontanen, für die hannoverschen Particu¬ laristen, innerhalb seiner Grenzen braucht es für die Entwickelung deutscher Gesinnung und Cultur nichts zu thun, da darf das deutsche Wesen bald den Slawen, bald den Magyaren, bald der feudalen Aristokratie, bald der römi¬ schen Kirche geopfert werden. Jedenfalls ist die Wiederherstellung der deutschen Macht Oestreichs in Wien populär und dort auch die Ueberzeugung verbreitet, daß Hr. v. Beust dieses Ziel erreichen werde. Stimmt man mit ihm im Zwecke so vollkommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/494>, abgerufen am 24.08.2024.