Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Zustände und Aussichten in Oestreich.
4. Lljen a Xirä,!?!

Der alte Kaiserstaat, so Viel geschmäht und hart verurtheilt, dessen Leichen-
rede schon vor Jahren geschrieben wurde, dessen Unfähigkeit zu leben und sich
zu entwickeln bei Vielen als Axiom festgehalten wird, hat wieder einmal seine
Feinde überrascht, gezeigt, daß er sich wohl noch verjüngen kann, ja das volle
Anrecht besitzt, an der Spitze der Civilisation zu schreiten. Wir dachten bis-
her. eine Revolution könnte ohne Blutvergießen. wilde Kämpfe und gewaltsame
Thaten nicht vor sich gehen, es würden alle gewohnte Bande der Ordnung
gesprengt, der Aufruhr tobe in den Straßen, der mächtige Eigenwille herrsche
in der Rathsversammlung. In Oestreich wurde eine Revolution in diesen Tagen
durchgeführt, plötzlich und unerwartet in ihrem Siege, groß in ihren Folgen,
bei dem Schalle der Pauken und Trompeten, unter dem Freudenjubel der Menge,
in holder Eintracht der Sieger und Besiegten.

Wohl mochte den Zuschauer und Theilnehmer an der Krönung des
ungarischen Königs zuerst die unerhörte Pracht blenden, die nur noch in Ungarn
mögliche unmittelbare Mischung des Orients, des Mittelalters und moderner
Cultur verblüffen und anfangs jeden andern Eindruck als den sprachlosen
Staunens und der Betäubung zurückdrängen. Das Tigerfell und die Geheim¬
rathsuniform, der Krummsäbel und der Kammerherrnschlüssel berührten einander
brüderlich. Wenn die Magnaten hoch zu Rosse einen Augenblick das Reiter-
Volk des Ostens Versinnlicht, so führten wieder die Bischöfe, deren Zustim¬
mung zur Krönung ausdrücklich verlangt wurde, die Salbung, der Königs¬
ritt ein Bild des Mittelalters vor das Auge, in die farblose Gegenwart
versetzten wieder die Deputationen des Reichsrathes, die Anwesenheit der con-
stitutionellen Minister. Hatte sich aber der Blick gesättigt an den Wundern
des Costümes, der Verstand erholt von den wahrgenommenen Seltsamkeiten
der Sitte, so ceremoniell kraus, so peinlich abgemessen und daher wieder so


Grenzboten II. 1867. 62
Zustände und Aussichten in Oestreich.
4. Lljen a Xirä,!?!

Der alte Kaiserstaat, so Viel geschmäht und hart verurtheilt, dessen Leichen-
rede schon vor Jahren geschrieben wurde, dessen Unfähigkeit zu leben und sich
zu entwickeln bei Vielen als Axiom festgehalten wird, hat wieder einmal seine
Feinde überrascht, gezeigt, daß er sich wohl noch verjüngen kann, ja das volle
Anrecht besitzt, an der Spitze der Civilisation zu schreiten. Wir dachten bis-
her. eine Revolution könnte ohne Blutvergießen. wilde Kämpfe und gewaltsame
Thaten nicht vor sich gehen, es würden alle gewohnte Bande der Ordnung
gesprengt, der Aufruhr tobe in den Straßen, der mächtige Eigenwille herrsche
in der Rathsversammlung. In Oestreich wurde eine Revolution in diesen Tagen
durchgeführt, plötzlich und unerwartet in ihrem Siege, groß in ihren Folgen,
bei dem Schalle der Pauken und Trompeten, unter dem Freudenjubel der Menge,
in holder Eintracht der Sieger und Besiegten.

Wohl mochte den Zuschauer und Theilnehmer an der Krönung des
ungarischen Königs zuerst die unerhörte Pracht blenden, die nur noch in Ungarn
mögliche unmittelbare Mischung des Orients, des Mittelalters und moderner
Cultur verblüffen und anfangs jeden andern Eindruck als den sprachlosen
Staunens und der Betäubung zurückdrängen. Das Tigerfell und die Geheim¬
rathsuniform, der Krummsäbel und der Kammerherrnschlüssel berührten einander
brüderlich. Wenn die Magnaten hoch zu Rosse einen Augenblick das Reiter-
Volk des Ostens Versinnlicht, so führten wieder die Bischöfe, deren Zustim¬
mung zur Krönung ausdrücklich verlangt wurde, die Salbung, der Königs¬
ritt ein Bild des Mittelalters vor das Auge, in die farblose Gegenwart
versetzten wieder die Deputationen des Reichsrathes, die Anwesenheit der con-
stitutionellen Minister. Hatte sich aber der Blick gesättigt an den Wundern
des Costümes, der Verstand erholt von den wahrgenommenen Seltsamkeiten
der Sitte, so ceremoniell kraus, so peinlich abgemessen und daher wieder so


Grenzboten II. 1867. 62
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191183"/>
        <div n="1">
          <head> Zustände und Aussichten in Oestreich.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 4. Lljen a Xirä,!?!</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1582"> Der alte Kaiserstaat, so Viel geschmäht und hart verurtheilt, dessen Leichen-<lb/>
rede schon vor Jahren geschrieben wurde, dessen Unfähigkeit zu leben und sich<lb/>
zu entwickeln bei Vielen als Axiom festgehalten wird, hat wieder einmal seine<lb/>
Feinde überrascht, gezeigt, daß er sich wohl noch verjüngen kann, ja das volle<lb/>
Anrecht besitzt, an der Spitze der Civilisation zu schreiten. Wir dachten bis-<lb/>
her. eine Revolution könnte ohne Blutvergießen. wilde Kämpfe und gewaltsame<lb/>
Thaten nicht vor sich gehen, es würden alle gewohnte Bande der Ordnung<lb/>
gesprengt, der Aufruhr tobe in den Straßen, der mächtige Eigenwille herrsche<lb/>
in der Rathsversammlung. In Oestreich wurde eine Revolution in diesen Tagen<lb/>
durchgeführt, plötzlich und unerwartet in ihrem Siege, groß in ihren Folgen,<lb/>
bei dem Schalle der Pauken und Trompeten, unter dem Freudenjubel der Menge,<lb/>
in holder Eintracht der Sieger und Besiegten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1583" next="#ID_1584"> Wohl mochte den Zuschauer und Theilnehmer an der Krönung des<lb/>
ungarischen Königs zuerst die unerhörte Pracht blenden, die nur noch in Ungarn<lb/>
mögliche unmittelbare Mischung des Orients, des Mittelalters und moderner<lb/>
Cultur verblüffen und anfangs jeden andern Eindruck als den sprachlosen<lb/>
Staunens und der Betäubung zurückdrängen. Das Tigerfell und die Geheim¬<lb/>
rathsuniform, der Krummsäbel und der Kammerherrnschlüssel berührten einander<lb/>
brüderlich. Wenn die Magnaten hoch zu Rosse einen Augenblick das Reiter-<lb/>
Volk des Ostens Versinnlicht, so führten wieder die Bischöfe, deren Zustim¬<lb/>
mung zur Krönung ausdrücklich verlangt wurde, die Salbung, der Königs¬<lb/>
ritt ein Bild des Mittelalters vor das Auge, in die farblose Gegenwart<lb/>
versetzten wieder die Deputationen des Reichsrathes, die Anwesenheit der con-<lb/>
stitutionellen Minister. Hatte sich aber der Blick gesättigt an den Wundern<lb/>
des Costümes, der Verstand erholt von den wahrgenommenen Seltsamkeiten<lb/>
der Sitte, so ceremoniell kraus, so peinlich abgemessen und daher wieder so</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1867. 62</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] Zustände und Aussichten in Oestreich. 4. Lljen a Xirä,!?! Der alte Kaiserstaat, so Viel geschmäht und hart verurtheilt, dessen Leichen- rede schon vor Jahren geschrieben wurde, dessen Unfähigkeit zu leben und sich zu entwickeln bei Vielen als Axiom festgehalten wird, hat wieder einmal seine Feinde überrascht, gezeigt, daß er sich wohl noch verjüngen kann, ja das volle Anrecht besitzt, an der Spitze der Civilisation zu schreiten. Wir dachten bis- her. eine Revolution könnte ohne Blutvergießen. wilde Kämpfe und gewaltsame Thaten nicht vor sich gehen, es würden alle gewohnte Bande der Ordnung gesprengt, der Aufruhr tobe in den Straßen, der mächtige Eigenwille herrsche in der Rathsversammlung. In Oestreich wurde eine Revolution in diesen Tagen durchgeführt, plötzlich und unerwartet in ihrem Siege, groß in ihren Folgen, bei dem Schalle der Pauken und Trompeten, unter dem Freudenjubel der Menge, in holder Eintracht der Sieger und Besiegten. Wohl mochte den Zuschauer und Theilnehmer an der Krönung des ungarischen Königs zuerst die unerhörte Pracht blenden, die nur noch in Ungarn mögliche unmittelbare Mischung des Orients, des Mittelalters und moderner Cultur verblüffen und anfangs jeden andern Eindruck als den sprachlosen Staunens und der Betäubung zurückdrängen. Das Tigerfell und die Geheim¬ rathsuniform, der Krummsäbel und der Kammerherrnschlüssel berührten einander brüderlich. Wenn die Magnaten hoch zu Rosse einen Augenblick das Reiter- Volk des Ostens Versinnlicht, so führten wieder die Bischöfe, deren Zustim¬ mung zur Krönung ausdrücklich verlangt wurde, die Salbung, der Königs¬ ritt ein Bild des Mittelalters vor das Auge, in die farblose Gegenwart versetzten wieder die Deputationen des Reichsrathes, die Anwesenheit der con- stitutionellen Minister. Hatte sich aber der Blick gesättigt an den Wundern des Costümes, der Verstand erholt von den wahrgenommenen Seltsamkeiten der Sitte, so ceremoniell kraus, so peinlich abgemessen und daher wieder so Grenzboten II. 1867. 62

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/489>, abgerufen am 03.07.2024.