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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Pferde, das ist doch schlechtes Geschirr. Elendes Geräppel, kann nichts ziehen,
den Berg hinauf gar nichts. Aber man füttert sie gut und haut ihnen die
Peitsche ein paar Mal um die Köpfe herum, und dann geht's hast Du nicht
gesehen -- vorn Trab, hinten Galopp, über die Ebene hinaus, wenn aber
ein Berg kommt, dann ist's all. Der böse Dr. B. sagt, wie mit den Junkern,
so habe man es hier auch mit Land und Leuten, und namentlich mit den Be¬
amten, gemacht, und deshalb sei es auch so schnell alle geworden, als man an
den Berg kam ; und wenn ich ihm in irgendetwas recht geben möchte, so wär's
wegen der Junker; denn ich als Posthaltcrstochter--

"Um Gottes willen, liebe Mutter, verschone mich mit Deinen Pserde-
geschichten; ich bekomme sonst Migraine," seufzte Minchen, oder wie sie außer
Haus genannt wurde, Minna, "ich sehe immer noch mit banger Ahnung der
Zukunft entgegen. Du hast Dich mit Deinen Prophezeihungen schon öfters
geirrt. Erinnere Dich nur noch an Anno Neun und fünfzig. Damals sagtest
Du: Die Oestreicher siegen, und dann marschirt der Herzog an der Spitze
seiner Armee nach Paris und thut den Bonaparte ab und kommt dann wieder
mit so und so viel Million Kriegsbeute; und dann schafft er mit Hilfe des
Kaisers von Oestreich die Verfassung ab und jagt die garstigen Landstände zum
Teufel, die ihm das Leben so sauer machen und ihn daran hindern, seinen ge¬
treuen Dienern und deren Wittwen und Waisen an Gehalt und Pension und
Unterstützung aus Staatsmitteln so viel zu geben, als ihm sein gutes Herz
vorschreibt. Aber von alledem kam das Gegentheil. Seit 18S9 kam der
Nationalverein oben auf, und selbst der Regierungsdirector Werren, dem der
Herzog alle Gewalt gab im Himmel und auf Erden, und der Oestreich und
den Dienstadel und die Geistlichkeit und alles hinter sich hatte, konnte ihn
nicht bändigen, sondern ist elend an ihm zu Schanden geworden."

"Nun ja," replicirt die Frau Geheime Kammerrath, .damals habe ich mich
geirrt; irren ist menschlich. Aber diesmal ist's anders. Denn alle klugen Leute
speculiren, wie ich. Glaubst Du wohl, daß der Advocat Maltravers die Pe¬
titionen für die herzoglichen Ansprüche an den Landesdomänen so eifrig zur
Unterschrist colportireu ließe, wenn er nicht gewiß wäre, herzoglicher Fiscal-
anwalt zu werden? Und meinst Du, der Herr von Holzbach hätte sich den pracht¬
vollen Witz mit dem alten Frack und mit dem Affenpinscher erlaubt, wenn er
nicht sicher wäre, daß er herzoglicher Domänendirector wird? Kurz, der alte
Gott lebt noch, und in einem Jahr sind wir wieder was wir waren."




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Pferde, das ist doch schlechtes Geschirr. Elendes Geräppel, kann nichts ziehen,
den Berg hinauf gar nichts. Aber man füttert sie gut und haut ihnen die
Peitsche ein paar Mal um die Köpfe herum, und dann geht's hast Du nicht
gesehen — vorn Trab, hinten Galopp, über die Ebene hinaus, wenn aber
ein Berg kommt, dann ist's all. Der böse Dr. B. sagt, wie mit den Junkern,
so habe man es hier auch mit Land und Leuten, und namentlich mit den Be¬
amten, gemacht, und deshalb sei es auch so schnell alle geworden, als man an
den Berg kam ; und wenn ich ihm in irgendetwas recht geben möchte, so wär's
wegen der Junker; denn ich als Posthaltcrstochter--

„Um Gottes willen, liebe Mutter, verschone mich mit Deinen Pserde-
geschichten; ich bekomme sonst Migraine," seufzte Minchen, oder wie sie außer
Haus genannt wurde, Minna, „ich sehe immer noch mit banger Ahnung der
Zukunft entgegen. Du hast Dich mit Deinen Prophezeihungen schon öfters
geirrt. Erinnere Dich nur noch an Anno Neun und fünfzig. Damals sagtest
Du: Die Oestreicher siegen, und dann marschirt der Herzog an der Spitze
seiner Armee nach Paris und thut den Bonaparte ab und kommt dann wieder
mit so und so viel Million Kriegsbeute; und dann schafft er mit Hilfe des
Kaisers von Oestreich die Verfassung ab und jagt die garstigen Landstände zum
Teufel, die ihm das Leben so sauer machen und ihn daran hindern, seinen ge¬
treuen Dienern und deren Wittwen und Waisen an Gehalt und Pension und
Unterstützung aus Staatsmitteln so viel zu geben, als ihm sein gutes Herz
vorschreibt. Aber von alledem kam das Gegentheil. Seit 18S9 kam der
Nationalverein oben auf, und selbst der Regierungsdirector Werren, dem der
Herzog alle Gewalt gab im Himmel und auf Erden, und der Oestreich und
den Dienstadel und die Geistlichkeit und alles hinter sich hatte, konnte ihn
nicht bändigen, sondern ist elend an ihm zu Schanden geworden."

„Nun ja," replicirt die Frau Geheime Kammerrath, .damals habe ich mich
geirrt; irren ist menschlich. Aber diesmal ist's anders. Denn alle klugen Leute
speculiren, wie ich. Glaubst Du wohl, daß der Advocat Maltravers die Pe¬
titionen für die herzoglichen Ansprüche an den Landesdomänen so eifrig zur
Unterschrist colportireu ließe, wenn er nicht gewiß wäre, herzoglicher Fiscal-
anwalt zu werden? Und meinst Du, der Herr von Holzbach hätte sich den pracht¬
vollen Witz mit dem alten Frack und mit dem Affenpinscher erlaubt, wenn er
nicht sicher wäre, daß er herzoglicher Domänendirector wird? Kurz, der alte
Gott lebt noch, und in einem Jahr sind wir wieder was wir waren."




SO*
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[0399] Pferde, das ist doch schlechtes Geschirr. Elendes Geräppel, kann nichts ziehen, den Berg hinauf gar nichts. Aber man füttert sie gut und haut ihnen die Peitsche ein paar Mal um die Köpfe herum, und dann geht's hast Du nicht gesehen — vorn Trab, hinten Galopp, über die Ebene hinaus, wenn aber ein Berg kommt, dann ist's all. Der böse Dr. B. sagt, wie mit den Junkern, so habe man es hier auch mit Land und Leuten, und namentlich mit den Be¬ amten, gemacht, und deshalb sei es auch so schnell alle geworden, als man an den Berg kam ; und wenn ich ihm in irgendetwas recht geben möchte, so wär's wegen der Junker; denn ich als Posthaltcrstochter-- „Um Gottes willen, liebe Mutter, verschone mich mit Deinen Pserde- geschichten; ich bekomme sonst Migraine," seufzte Minchen, oder wie sie außer Haus genannt wurde, Minna, „ich sehe immer noch mit banger Ahnung der Zukunft entgegen. Du hast Dich mit Deinen Prophezeihungen schon öfters geirrt. Erinnere Dich nur noch an Anno Neun und fünfzig. Damals sagtest Du: Die Oestreicher siegen, und dann marschirt der Herzog an der Spitze seiner Armee nach Paris und thut den Bonaparte ab und kommt dann wieder mit so und so viel Million Kriegsbeute; und dann schafft er mit Hilfe des Kaisers von Oestreich die Verfassung ab und jagt die garstigen Landstände zum Teufel, die ihm das Leben so sauer machen und ihn daran hindern, seinen ge¬ treuen Dienern und deren Wittwen und Waisen an Gehalt und Pension und Unterstützung aus Staatsmitteln so viel zu geben, als ihm sein gutes Herz vorschreibt. Aber von alledem kam das Gegentheil. Seit 18S9 kam der Nationalverein oben auf, und selbst der Regierungsdirector Werren, dem der Herzog alle Gewalt gab im Himmel und auf Erden, und der Oestreich und den Dienstadel und die Geistlichkeit und alles hinter sich hatte, konnte ihn nicht bändigen, sondern ist elend an ihm zu Schanden geworden." „Nun ja," replicirt die Frau Geheime Kammerrath, .damals habe ich mich geirrt; irren ist menschlich. Aber diesmal ist's anders. Denn alle klugen Leute speculiren, wie ich. Glaubst Du wohl, daß der Advocat Maltravers die Pe¬ titionen für die herzoglichen Ansprüche an den Landesdomänen so eifrig zur Unterschrist colportireu ließe, wenn er nicht gewiß wäre, herzoglicher Fiscal- anwalt zu werden? Und meinst Du, der Herr von Holzbach hätte sich den pracht¬ vollen Witz mit dem alten Frack und mit dem Affenpinscher erlaubt, wenn er nicht sicher wäre, daß er herzoglicher Domänendirector wird? Kurz, der alte Gott lebt noch, und in einem Jahr sind wir wieder was wir waren." SO*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/399>, abgerufen am 05.02.2025.