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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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loyalen Gemüth eine Gänsehaut. Seitdem hat es auf retrospectivem Wege
eine fast providentielle Bedeutung gewonnen.

Hannover, Kurhessen und Nassau haben aufgehört zu existiren. Die übrigen
Mittel- und Kleinstaaten, soweit sie dem norddeutschen Bund angehören, hatten
Einsicht genug, um mit dem politischen und wirthschaftlichen Einheitsdrange
der Nation ihren Frieden zu schließen, durch welchen sie sich eines Theiles ihrer
Sondersouveränetät im Interesse des 'Ganzen begeben und sich nur denjenigen
Theil ihrer Selbständigkeit reserviren, welcher nicht in Widerspruch steht mit
den öffentlichen und gemeinsamen Interessen der deutschen Nation.

Aus diesem Frieden geht der große und heilbringende Grundsatz hervor,
von welchem der Entwurf der Verfassung des norddeutschen Bundes wohl aus¬
geht und welchen der Reichstag ohne Zweifel sanctioniren wird, -- der Grundsatz:

"Die Bundesgewalt hat das Oberaussichtsrecht über das Eisenbahn-
Wesen. Sie allein hat das Recht, Concessionen zu ertheilen und die Ex¬
propriation zu verfügen und unter Zustimmung des Reichstags ein allge¬
meines deutsches Eisenbahngesetz zu erlassen."

Damit sind die Verwickelungen und Hemmnisse beseitigt, welche bisher den
Bau und Betrieb von Eisenbahnen i" Deutschland erschwerten, verzögerten,
unmöglich machten. Die wunderlichen Strecken, welche der zwergstaatliche Sou-
veränetätsdünkel in seiner Selbstüberhebung ausführte, werden nicht mehr
wie bisher ein Hinderniß sein für die natürlichen Linien, welchen der Klein¬
staat nun nicht mehr die Concession vorenthalten kann. Die vertragsmäßigen
oder legalen Monopole, das Recht, Parallel- oder sonstige Concurrenzbahnen
zu verhindern, werden wegfallen. Ein allgemeines gleiches deutsches Eisenbahn-
gesetz wird die Vorbedingungen des Eisenbahnbaucs regeln. Die strategischen
Rücksichten werden nicht mehr hemmen, sondern fördern; denn sie werden nur
noch einen äußern, d. h. nichtdeutschen Feind als möglich voraussetzen, aber
nicht mehr einen innern, deutschen. Während sie bisher jedem EmzelsMt
Motive für ein Veto lieferten, werden sie in Zukunft der Bundesgewalt Mo¬
tive an die Hand geben, das polnische Veto der separatistischen Sonderintcressen
zu brechen und Eisenbahnlinien zu fördern, auf welchen nicht blos "das mili-
tärische Bedürfniß" fährt, sondern auch der allgemeine und der locale Verkehr.

Wenn wir bei den Vorschriften des Verfassungsentwurfes ein Bedenken
haben, so wäre es das, daß etwa die Bundesgewalt zu tief in die freien Be¬
wegungen des wirthschaftlichen Verkehrs eingreifen könnte, welche besser durch
das Naturgesetz der freien Concurrenz, als durch polizeiliche Vor¬
schriften der Staatsgewalt --sei es Bundes-, sei es Territorialgewalt --
geregelt werden.

Doch wir glauben, die Wahrung dieses Standpunktes getrost den Na¬
tionalökonomen aus der deutschen Manchesterschule, deren Vertreter zwar nicht


loyalen Gemüth eine Gänsehaut. Seitdem hat es auf retrospectivem Wege
eine fast providentielle Bedeutung gewonnen.

Hannover, Kurhessen und Nassau haben aufgehört zu existiren. Die übrigen
Mittel- und Kleinstaaten, soweit sie dem norddeutschen Bund angehören, hatten
Einsicht genug, um mit dem politischen und wirthschaftlichen Einheitsdrange
der Nation ihren Frieden zu schließen, durch welchen sie sich eines Theiles ihrer
Sondersouveränetät im Interesse des 'Ganzen begeben und sich nur denjenigen
Theil ihrer Selbständigkeit reserviren, welcher nicht in Widerspruch steht mit
den öffentlichen und gemeinsamen Interessen der deutschen Nation.

Aus diesem Frieden geht der große und heilbringende Grundsatz hervor,
von welchem der Entwurf der Verfassung des norddeutschen Bundes wohl aus¬
geht und welchen der Reichstag ohne Zweifel sanctioniren wird, — der Grundsatz:

„Die Bundesgewalt hat das Oberaussichtsrecht über das Eisenbahn-
Wesen. Sie allein hat das Recht, Concessionen zu ertheilen und die Ex¬
propriation zu verfügen und unter Zustimmung des Reichstags ein allge¬
meines deutsches Eisenbahngesetz zu erlassen."

Damit sind die Verwickelungen und Hemmnisse beseitigt, welche bisher den
Bau und Betrieb von Eisenbahnen i» Deutschland erschwerten, verzögerten,
unmöglich machten. Die wunderlichen Strecken, welche der zwergstaatliche Sou-
veränetätsdünkel in seiner Selbstüberhebung ausführte, werden nicht mehr
wie bisher ein Hinderniß sein für die natürlichen Linien, welchen der Klein¬
staat nun nicht mehr die Concession vorenthalten kann. Die vertragsmäßigen
oder legalen Monopole, das Recht, Parallel- oder sonstige Concurrenzbahnen
zu verhindern, werden wegfallen. Ein allgemeines gleiches deutsches Eisenbahn-
gesetz wird die Vorbedingungen des Eisenbahnbaucs regeln. Die strategischen
Rücksichten werden nicht mehr hemmen, sondern fördern; denn sie werden nur
noch einen äußern, d. h. nichtdeutschen Feind als möglich voraussetzen, aber
nicht mehr einen innern, deutschen. Während sie bisher jedem EmzelsMt
Motive für ein Veto lieferten, werden sie in Zukunft der Bundesgewalt Mo¬
tive an die Hand geben, das polnische Veto der separatistischen Sonderintcressen
zu brechen und Eisenbahnlinien zu fördern, auf welchen nicht blos „das mili-
tärische Bedürfniß" fährt, sondern auch der allgemeine und der locale Verkehr.

Wenn wir bei den Vorschriften des Verfassungsentwurfes ein Bedenken
haben, so wäre es das, daß etwa die Bundesgewalt zu tief in die freien Be¬
wegungen des wirthschaftlichen Verkehrs eingreifen könnte, welche besser durch
das Naturgesetz der freien Concurrenz, als durch polizeiliche Vor¬
schriften der Staatsgewalt —sei es Bundes-, sei es Territorialgewalt —
geregelt werden.

Doch wir glauben, die Wahrung dieses Standpunktes getrost den Na¬
tionalökonomen aus der deutschen Manchesterschule, deren Vertreter zwar nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/35>, abgerufen am 01.07.2024.