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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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um die militärische Bildung zu heben. Indessen war es damit kein rechter
Ernst. Zudem erhielt die geistige Ausbildung, wo dieselbe als unentbehrlich
erkannt wurde, nur zu häusig eine falsche Richtung, und die Betreffenden
beschäftigten sich dann eher mit allen andern Wissenschaften und Künsten, als
mit der Ausbildung in ihrem speciellen Berufe. Die Aufhebung des östreichi¬
schen Landwehrinflitutes, so veraltet auch dasselbe im Vergleich zu dem jetzigen
preußischen sein mochte, war längst von einsichtsvollen Militärs getadelt worden,
und die Dienstverpflichtung der Soldaten zu acht Jahren Linie und nur zwei
Jahren Reserve, sowie der Modus der Einberufung der Recruten, Beurlaubten
und Reservemänner hatten sich schon 1869 als ungenügend bewährt. Das Ca¬
pital und die Intelligenz waren von Ableistung der Wehrpflicht befreit und die
höheren Führerstellen waren in das fast ausschließliche Besitzrecht des Hofadels
übergegangen. Indessen hätte man bei einem energischen Borgehen auch durch
die bedingte Conscription und die freie Werbung eine hinlängliche Streitmacht
aufbringen können.

Sowie 1859 wurde auch 1866 über Verrath geklagt und die Verräther¬
und Spionennecherei ging zuletzt gradezu ins Unerträgliche. Daß der preußische
Generalstab das fremde Land besser konnte, als der östreichische das eigene, daß
man aus der Sympathie eines großen Theiles der Bewohner keinen Nutzen zu
ziehen verstand, konnte wohl kein Verrath genannt werden. Daß die preußischen
Kundschafter besser als die östreichischen bedient wurden, war die Folge einer
übel angebrachten Sparsamkeit, und es scheint zudem, daß man selbst zuver¬
lässige und wichtige Kundschafterberichte nicht beachtete oder nicht zu verwerthen
verstand. In Venetien, wo die Bevölkerung von einer entschieden feindseligen
Stimmung erfüllt war, besaß die östreichische Armee sogar bessere Kundschafter
als die Opcrationskanzlei des Königs Victor Emanuel.

Das Lächerlichste aber war, daß man der Adjüstirung die Schuld beimaß.
Wohl halte man viele Zeit seit dem letzten französisch-italienischen Kriege, dessen
Ausgang gleichfalls durch Adjustuungsmängel herbeigeführt sein sollte, mit Be¬
rathungen und Experimenten über Farbe und Schnitt der Monturen vergeudet,
aber es wäre nach kurzer Dauer des Feldzuges das Ueberflüssige und Unzweck¬
mäßige von selbst verschwunden. Die Preußen haben bis jetzt noch nicht daran
gedacht, ihre seit fast dreißig Jahren eingeführte und keineswegs besonders be¬
queme Bekleidung gänzlich zu beseitigen. Das, was man für den Krieg als
durchaus unpraktisch erkannte, z. B. die Epaulets und Helmbüsche, wurde ein¬
fach abgelegt oder in der Garnison zurückgelassen.

Die Männer aus dem feudalen Lager, die Czechen, Kroaten, Polen, Ungarn
und die zahlreiche Schaar der französischen und italienischen Emigranten hatten
entweder gleich im Anfange ihre Mitwirkung versagt oder hatten sich als total
unfähig erwiesen; die italienische" und ungarischen Regimenter waren ent-


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um die militärische Bildung zu heben. Indessen war es damit kein rechter
Ernst. Zudem erhielt die geistige Ausbildung, wo dieselbe als unentbehrlich
erkannt wurde, nur zu häusig eine falsche Richtung, und die Betreffenden
beschäftigten sich dann eher mit allen andern Wissenschaften und Künsten, als
mit der Ausbildung in ihrem speciellen Berufe. Die Aufhebung des östreichi¬
schen Landwehrinflitutes, so veraltet auch dasselbe im Vergleich zu dem jetzigen
preußischen sein mochte, war längst von einsichtsvollen Militärs getadelt worden,
und die Dienstverpflichtung der Soldaten zu acht Jahren Linie und nur zwei
Jahren Reserve, sowie der Modus der Einberufung der Recruten, Beurlaubten
und Reservemänner hatten sich schon 1869 als ungenügend bewährt. Das Ca¬
pital und die Intelligenz waren von Ableistung der Wehrpflicht befreit und die
höheren Führerstellen waren in das fast ausschließliche Besitzrecht des Hofadels
übergegangen. Indessen hätte man bei einem energischen Borgehen auch durch
die bedingte Conscription und die freie Werbung eine hinlängliche Streitmacht
aufbringen können.

Sowie 1859 wurde auch 1866 über Verrath geklagt und die Verräther¬
und Spionennecherei ging zuletzt gradezu ins Unerträgliche. Daß der preußische
Generalstab das fremde Land besser konnte, als der östreichische das eigene, daß
man aus der Sympathie eines großen Theiles der Bewohner keinen Nutzen zu
ziehen verstand, konnte wohl kein Verrath genannt werden. Daß die preußischen
Kundschafter besser als die östreichischen bedient wurden, war die Folge einer
übel angebrachten Sparsamkeit, und es scheint zudem, daß man selbst zuver¬
lässige und wichtige Kundschafterberichte nicht beachtete oder nicht zu verwerthen
verstand. In Venetien, wo die Bevölkerung von einer entschieden feindseligen
Stimmung erfüllt war, besaß die östreichische Armee sogar bessere Kundschafter
als die Opcrationskanzlei des Königs Victor Emanuel.

Das Lächerlichste aber war, daß man der Adjüstirung die Schuld beimaß.
Wohl halte man viele Zeit seit dem letzten französisch-italienischen Kriege, dessen
Ausgang gleichfalls durch Adjustuungsmängel herbeigeführt sein sollte, mit Be¬
rathungen und Experimenten über Farbe und Schnitt der Monturen vergeudet,
aber es wäre nach kurzer Dauer des Feldzuges das Ueberflüssige und Unzweck¬
mäßige von selbst verschwunden. Die Preußen haben bis jetzt noch nicht daran
gedacht, ihre seit fast dreißig Jahren eingeführte und keineswegs besonders be¬
queme Bekleidung gänzlich zu beseitigen. Das, was man für den Krieg als
durchaus unpraktisch erkannte, z. B. die Epaulets und Helmbüsche, wurde ein¬
fach abgelegt oder in der Garnison zurückgelassen.

Die Männer aus dem feudalen Lager, die Czechen, Kroaten, Polen, Ungarn
und die zahlreiche Schaar der französischen und italienischen Emigranten hatten
entweder gleich im Anfange ihre Mitwirkung versagt oder hatten sich als total
unfähig erwiesen; die italienische» und ungarischen Regimenter waren ent-


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[0335] um die militärische Bildung zu heben. Indessen war es damit kein rechter Ernst. Zudem erhielt die geistige Ausbildung, wo dieselbe als unentbehrlich erkannt wurde, nur zu häusig eine falsche Richtung, und die Betreffenden beschäftigten sich dann eher mit allen andern Wissenschaften und Künsten, als mit der Ausbildung in ihrem speciellen Berufe. Die Aufhebung des östreichi¬ schen Landwehrinflitutes, so veraltet auch dasselbe im Vergleich zu dem jetzigen preußischen sein mochte, war längst von einsichtsvollen Militärs getadelt worden, und die Dienstverpflichtung der Soldaten zu acht Jahren Linie und nur zwei Jahren Reserve, sowie der Modus der Einberufung der Recruten, Beurlaubten und Reservemänner hatten sich schon 1869 als ungenügend bewährt. Das Ca¬ pital und die Intelligenz waren von Ableistung der Wehrpflicht befreit und die höheren Führerstellen waren in das fast ausschließliche Besitzrecht des Hofadels übergegangen. Indessen hätte man bei einem energischen Borgehen auch durch die bedingte Conscription und die freie Werbung eine hinlängliche Streitmacht aufbringen können. Sowie 1859 wurde auch 1866 über Verrath geklagt und die Verräther¬ und Spionennecherei ging zuletzt gradezu ins Unerträgliche. Daß der preußische Generalstab das fremde Land besser konnte, als der östreichische das eigene, daß man aus der Sympathie eines großen Theiles der Bewohner keinen Nutzen zu ziehen verstand, konnte wohl kein Verrath genannt werden. Daß die preußischen Kundschafter besser als die östreichischen bedient wurden, war die Folge einer übel angebrachten Sparsamkeit, und es scheint zudem, daß man selbst zuver¬ lässige und wichtige Kundschafterberichte nicht beachtete oder nicht zu verwerthen verstand. In Venetien, wo die Bevölkerung von einer entschieden feindseligen Stimmung erfüllt war, besaß die östreichische Armee sogar bessere Kundschafter als die Opcrationskanzlei des Königs Victor Emanuel. Das Lächerlichste aber war, daß man der Adjüstirung die Schuld beimaß. Wohl halte man viele Zeit seit dem letzten französisch-italienischen Kriege, dessen Ausgang gleichfalls durch Adjustuungsmängel herbeigeführt sein sollte, mit Be¬ rathungen und Experimenten über Farbe und Schnitt der Monturen vergeudet, aber es wäre nach kurzer Dauer des Feldzuges das Ueberflüssige und Unzweck¬ mäßige von selbst verschwunden. Die Preußen haben bis jetzt noch nicht daran gedacht, ihre seit fast dreißig Jahren eingeführte und keineswegs besonders be¬ queme Bekleidung gänzlich zu beseitigen. Das, was man für den Krieg als durchaus unpraktisch erkannte, z. B. die Epaulets und Helmbüsche, wurde ein¬ fach abgelegt oder in der Garnison zurückgelassen. Die Männer aus dem feudalen Lager, die Czechen, Kroaten, Polen, Ungarn und die zahlreiche Schaar der französischen und italienischen Emigranten hatten entweder gleich im Anfange ihre Mitwirkung versagt oder hatten sich als total unfähig erwiesen; die italienische» und ungarischen Regimenter waren ent- 42 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/335>, abgerufen am 22.07.2024.