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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Einbrecher zu Schuhen. Diese Bestimmung schließt an sich nicht das Recht deS
Königs von Holland aus, seine Souveränetätsrechte dem Herrscher eines an¬
dern Staates zu cediren, aber eS macht die Cession abhängig von Beistimmung
der Vertragsmächte. Auch die übernommene Garantie für Bewahrung der Neu¬
tralität ist nach der Deutung, welche ihr der englische Minister Stanley gegeben
hat, eine bedingte; es soll eine Collcctivgarantie in der Weise sein, daß bei
künftiger Verletzung der Neutralität erst eine Vereinbarung sämmtlicher garan-
tirender Mächte zu erfolgen hat, bevor dem Territorium seine gegenwärtige
Stellung geschützt wird. Schwer ist zu begreifen, wie deutsche Korrespondenten
darin einen ebenso festen, ja größeren Schutz des Landes Luxemburg finden
können, als z. B. Belgien genießt; denn ein Eingriff in die Integrität Luxem¬
burgs wird grade nur durch eine der garantirenden Mächte unternommen werden,
und die übrigen würden alsdann in der Lage sein, ihren Entschluß nach poli¬
tischen Opportnnitätsgründen zu fassen. Deutlich wird im Gegentheil durch
diese Erklärung, daß die unbeteiligten Großmächte in der Stille schon jetzt die
Stellung Luxemburgs auf die Dauer unhaltbar erachten, nur bestrebt sind, eine
brennende Krieg>frage fortzuschaffen, und der Zukunft die Entscheidung über¬
lassen, ob das Territorium zu Deutschland, Belgien oder Frankreich fallen soll.

Wir können auch sicher sein, daß in dem Ländchen die Agitation jetzt erst
recht beginnen wird; die Abhängigkeit von französischer Cultur zieht die Ge¬
bildeten nach Frankreich, die realen Interessen binden an Deutichland. Die fran¬
zösischen Emissäre werden fortfahren, für Frankreich Partei zu machen; der
Abzug der preußischen Besatzung aber mag vielleicht auf der andern Seite grade
dazu beitragen, dem Lande die Empfindung eine" fremden Drucks zu nehm-n.
und eine unbefangene Würdigung der Landcsinteressen durchzusetzen. Den Luxem¬
burgern ist vorläufig geworden, was sie in der Mehrzahl begehrten sie selbst
mögen über ihre Zukunft entscheiden; wir müssen unterdeß dahin arbeiten, ihnen
das Band werth zu machen, welches sie an Deutschland fesselt. Und wir können
deshalb die Ausfälle nicht loben, welche deutsche Blätter im Aerger der Stunde
gegen die abgeneigten Stammgenossen machen.

Ist aber auch die garantirte Jsolirung Luxemburgs eine unsichere, so dürfen
wir doch annehmen, daß sie für die nächste Zukunft bei einem etwa auebrechen-
den Kriege zwischen Deutschland und Frankreich den kriegführenden Mächten
einen Zwang auflegen wird.

Daß jetzt ein neues Terrain zwischen Deutschland und Frankreich den neu-
tralisirten Staaten Belgien und Schweiz zugefügt wird, verengt das Angriffs¬
gebiet der beiden großen Nationen auf den verhältnißmäßig engen Raum von
Trier und Mainz bis zum Schwarzwald und den Vogesen -- natürlich unter
der Voraussetzung, daß die kriegführenden Mächte genöthigt sind, die stipulirte
Neutralität zu achten. Denn vor dem ehernen Bande unserer großen Rhein-


Einbrecher zu Schuhen. Diese Bestimmung schließt an sich nicht das Recht deS
Königs von Holland aus, seine Souveränetätsrechte dem Herrscher eines an¬
dern Staates zu cediren, aber eS macht die Cession abhängig von Beistimmung
der Vertragsmächte. Auch die übernommene Garantie für Bewahrung der Neu¬
tralität ist nach der Deutung, welche ihr der englische Minister Stanley gegeben
hat, eine bedingte; es soll eine Collcctivgarantie in der Weise sein, daß bei
künftiger Verletzung der Neutralität erst eine Vereinbarung sämmtlicher garan-
tirender Mächte zu erfolgen hat, bevor dem Territorium seine gegenwärtige
Stellung geschützt wird. Schwer ist zu begreifen, wie deutsche Korrespondenten
darin einen ebenso festen, ja größeren Schutz des Landes Luxemburg finden
können, als z. B. Belgien genießt; denn ein Eingriff in die Integrität Luxem¬
burgs wird grade nur durch eine der garantirenden Mächte unternommen werden,
und die übrigen würden alsdann in der Lage sein, ihren Entschluß nach poli¬
tischen Opportnnitätsgründen zu fassen. Deutlich wird im Gegentheil durch
diese Erklärung, daß die unbeteiligten Großmächte in der Stille schon jetzt die
Stellung Luxemburgs auf die Dauer unhaltbar erachten, nur bestrebt sind, eine
brennende Krieg>frage fortzuschaffen, und der Zukunft die Entscheidung über¬
lassen, ob das Territorium zu Deutschland, Belgien oder Frankreich fallen soll.

Wir können auch sicher sein, daß in dem Ländchen die Agitation jetzt erst
recht beginnen wird; die Abhängigkeit von französischer Cultur zieht die Ge¬
bildeten nach Frankreich, die realen Interessen binden an Deutichland. Die fran¬
zösischen Emissäre werden fortfahren, für Frankreich Partei zu machen; der
Abzug der preußischen Besatzung aber mag vielleicht auf der andern Seite grade
dazu beitragen, dem Lande die Empfindung eine» fremden Drucks zu nehm-n.
und eine unbefangene Würdigung der Landcsinteressen durchzusetzen. Den Luxem¬
burgern ist vorläufig geworden, was sie in der Mehrzahl begehrten sie selbst
mögen über ihre Zukunft entscheiden; wir müssen unterdeß dahin arbeiten, ihnen
das Band werth zu machen, welches sie an Deutschland fesselt. Und wir können
deshalb die Ausfälle nicht loben, welche deutsche Blätter im Aerger der Stunde
gegen die abgeneigten Stammgenossen machen.

Ist aber auch die garantirte Jsolirung Luxemburgs eine unsichere, so dürfen
wir doch annehmen, daß sie für die nächste Zukunft bei einem etwa auebrechen-
den Kriege zwischen Deutschland und Frankreich den kriegführenden Mächten
einen Zwang auflegen wird.

Daß jetzt ein neues Terrain zwischen Deutschland und Frankreich den neu-
tralisirten Staaten Belgien und Schweiz zugefügt wird, verengt das Angriffs¬
gebiet der beiden großen Nationen auf den verhältnißmäßig engen Raum von
Trier und Mainz bis zum Schwarzwald und den Vogesen — natürlich unter
der Voraussetzung, daß die kriegführenden Mächte genöthigt sind, die stipulirte
Neutralität zu achten. Denn vor dem ehernen Bande unserer großen Rhein-


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[0286] Einbrecher zu Schuhen. Diese Bestimmung schließt an sich nicht das Recht deS Königs von Holland aus, seine Souveränetätsrechte dem Herrscher eines an¬ dern Staates zu cediren, aber eS macht die Cession abhängig von Beistimmung der Vertragsmächte. Auch die übernommene Garantie für Bewahrung der Neu¬ tralität ist nach der Deutung, welche ihr der englische Minister Stanley gegeben hat, eine bedingte; es soll eine Collcctivgarantie in der Weise sein, daß bei künftiger Verletzung der Neutralität erst eine Vereinbarung sämmtlicher garan- tirender Mächte zu erfolgen hat, bevor dem Territorium seine gegenwärtige Stellung geschützt wird. Schwer ist zu begreifen, wie deutsche Korrespondenten darin einen ebenso festen, ja größeren Schutz des Landes Luxemburg finden können, als z. B. Belgien genießt; denn ein Eingriff in die Integrität Luxem¬ burgs wird grade nur durch eine der garantirenden Mächte unternommen werden, und die übrigen würden alsdann in der Lage sein, ihren Entschluß nach poli¬ tischen Opportnnitätsgründen zu fassen. Deutlich wird im Gegentheil durch diese Erklärung, daß die unbeteiligten Großmächte in der Stille schon jetzt die Stellung Luxemburgs auf die Dauer unhaltbar erachten, nur bestrebt sind, eine brennende Krieg>frage fortzuschaffen, und der Zukunft die Entscheidung über¬ lassen, ob das Territorium zu Deutschland, Belgien oder Frankreich fallen soll. Wir können auch sicher sein, daß in dem Ländchen die Agitation jetzt erst recht beginnen wird; die Abhängigkeit von französischer Cultur zieht die Ge¬ bildeten nach Frankreich, die realen Interessen binden an Deutichland. Die fran¬ zösischen Emissäre werden fortfahren, für Frankreich Partei zu machen; der Abzug der preußischen Besatzung aber mag vielleicht auf der andern Seite grade dazu beitragen, dem Lande die Empfindung eine» fremden Drucks zu nehm-n. und eine unbefangene Würdigung der Landcsinteressen durchzusetzen. Den Luxem¬ burgern ist vorläufig geworden, was sie in der Mehrzahl begehrten sie selbst mögen über ihre Zukunft entscheiden; wir müssen unterdeß dahin arbeiten, ihnen das Band werth zu machen, welches sie an Deutschland fesselt. Und wir können deshalb die Ausfälle nicht loben, welche deutsche Blätter im Aerger der Stunde gegen die abgeneigten Stammgenossen machen. Ist aber auch die garantirte Jsolirung Luxemburgs eine unsichere, so dürfen wir doch annehmen, daß sie für die nächste Zukunft bei einem etwa auebrechen- den Kriege zwischen Deutschland und Frankreich den kriegführenden Mächten einen Zwang auflegen wird. Daß jetzt ein neues Terrain zwischen Deutschland und Frankreich den neu- tralisirten Staaten Belgien und Schweiz zugefügt wird, verengt das Angriffs¬ gebiet der beiden großen Nationen auf den verhältnißmäßig engen Raum von Trier und Mainz bis zum Schwarzwald und den Vogesen — natürlich unter der Voraussetzung, daß die kriegführenden Mächte genöthigt sind, die stipulirte Neutralität zu achten. Denn vor dem ehernen Bande unserer großen Rhein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/286>, abgerufen am 24.08.2024.