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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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"Auf dem Meere erschien der Heilige (Simeon)^ vielmals leibhaftig vielen
Schiffern und half ihnen in ihren Drangsalen zur Zeit der Noth, wenn Sturm
und Orkan sie überfielen. Dann kamen sie nachher zu ihm und erzählten in
seiner Gegenwart, wie sie ihn leibhaftig zur Zeit der Gefahr gesehen hätten
und wie sich der Sturm sofort gelegt, nachdem er ihnen erschienen wäre. Auch
kümmerte sich der Heilige viel um die Meerfahrer. -- Einst geschah es um
wieder, daß ein Schiff von Arabien, vom Oberlande (Jemen?) fuhr mit vielen
Reisenden an Bord, Männern und Frauen, die sich nach ihrer Heimath Syrien
begeben wollten. Als sie nun auf dem Schiffe die Hälfte des Weges zurück¬
gelegt hatten und sich mitten im Meer befanden, überfiel sie plötzlich ein Un¬
wetter! das Meer ward aufgewühlt, die Wogen erhoben sich, die Winde bliesen
heftig, Finsterniß deckte sie, und das Schiff war nahe daran umzuschlagen.
Denn sie fuhren aus gen Himmel, wie die Schrift sagt, und fuhren
nieder zum Abgrund (Psalm 107, 26). Da schrien sie, ängstigten sich,
weinten in Thränen und Jammer und fanden keine Hilfe noch Rettung. Gleich¬
mäßig deckte ein jeder sich zu und fiel auf sein Amelie) nieder, um seinen
eigenen Tod nicht zu sehen. Denn es war ihnen allen zur Gewißheit geworden,
daß sie nie wieder das trockene Land erblicken würden, zumal da sie gesehen
hatten, wie ein schwarzer Mann gleich einem Neger") gekommen war und sich
oben aus den Mittelmast des Schiffes gestellt hatte. Denn man sagt, daß die¬
ser jedesmal ein Schiff untergehen läßt, wenn er darauf gesehen wird. So
ließen den" alle die Hoffnung auf Rettung fahren, bereiteten sich auf den Tod
vor und warfen sich schreiend mit verhülltem Antlijz nieder. Es war da aber
ein Mann aus Ulmer-(?), einem Dorf gegenüber Unit (Diarbekr in Mesopo¬
tamien), der mit sich ein wenig von dem Staube**) des Heiligen (Simeon)
führte. Nun gefiel es dem Herrn, ihm dies in den Sinn zu rufen, um durch
seinen Verehrer (Simeon) eine große That zu vollbringen und die geängstigten
Seelen durch seinen Gläubigen zu retten. Der Mann erinnerte sich also daran,
machte sich auf und nahm den Staub; dann machte er davon ein Kreuz an
den großen Mast mitten im Schiff und schlug die Hände, welche mit jenem
Staub angefüllt waren, aus dieser und auf jener Seite des Schiffes zusammen.
Dabei schrien alle am Boden liegend: "Herr Simeon, dringe in den Herrn




') Eigentlich "Inder". Perser und Syrer gebrauchen den Jndier zur Bezeichnung eines
schwarzen Menschen, wie die Araber den Abyssinier und wir den Mohren (Mauren).
") Das Wort, das wir nach Asscmanis Vorgang mit Staub übersehen und das sonst
ganz ungewöhnlich ist, während es i" diesem Heiligenleben oft als Vermittelung der Wunder
vorkommt, bedeutet vielleicht gradezu Excrement. Bekanntlich spiele" heilige Ercremcnte in
Ostastcn eine gewisse Rolle, da dort die von syrischen und ägyptischen Asketen kaum erreichten
Vorbilder der vergötterten Sklbstqnälerei wohnten, so ist diese Vergleichung wohl nicht unbe¬
rechtigt. Aesih-lische Rücksichten kennt dieses Aoketcnthum überhaupt nicht.

„Auf dem Meere erschien der Heilige (Simeon)^ vielmals leibhaftig vielen
Schiffern und half ihnen in ihren Drangsalen zur Zeit der Noth, wenn Sturm
und Orkan sie überfielen. Dann kamen sie nachher zu ihm und erzählten in
seiner Gegenwart, wie sie ihn leibhaftig zur Zeit der Gefahr gesehen hätten
und wie sich der Sturm sofort gelegt, nachdem er ihnen erschienen wäre. Auch
kümmerte sich der Heilige viel um die Meerfahrer. — Einst geschah es um
wieder, daß ein Schiff von Arabien, vom Oberlande (Jemen?) fuhr mit vielen
Reisenden an Bord, Männern und Frauen, die sich nach ihrer Heimath Syrien
begeben wollten. Als sie nun auf dem Schiffe die Hälfte des Weges zurück¬
gelegt hatten und sich mitten im Meer befanden, überfiel sie plötzlich ein Un¬
wetter! das Meer ward aufgewühlt, die Wogen erhoben sich, die Winde bliesen
heftig, Finsterniß deckte sie, und das Schiff war nahe daran umzuschlagen.
Denn sie fuhren aus gen Himmel, wie die Schrift sagt, und fuhren
nieder zum Abgrund (Psalm 107, 26). Da schrien sie, ängstigten sich,
weinten in Thränen und Jammer und fanden keine Hilfe noch Rettung. Gleich¬
mäßig deckte ein jeder sich zu und fiel auf sein Amelie) nieder, um seinen
eigenen Tod nicht zu sehen. Denn es war ihnen allen zur Gewißheit geworden,
daß sie nie wieder das trockene Land erblicken würden, zumal da sie gesehen
hatten, wie ein schwarzer Mann gleich einem Neger") gekommen war und sich
oben aus den Mittelmast des Schiffes gestellt hatte. Denn man sagt, daß die¬
ser jedesmal ein Schiff untergehen läßt, wenn er darauf gesehen wird. So
ließen den» alle die Hoffnung auf Rettung fahren, bereiteten sich auf den Tod
vor und warfen sich schreiend mit verhülltem Antlijz nieder. Es war da aber
ein Mann aus Ulmer-(?), einem Dorf gegenüber Unit (Diarbekr in Mesopo¬
tamien), der mit sich ein wenig von dem Staube**) des Heiligen (Simeon)
führte. Nun gefiel es dem Herrn, ihm dies in den Sinn zu rufen, um durch
seinen Verehrer (Simeon) eine große That zu vollbringen und die geängstigten
Seelen durch seinen Gläubigen zu retten. Der Mann erinnerte sich also daran,
machte sich auf und nahm den Staub; dann machte er davon ein Kreuz an
den großen Mast mitten im Schiff und schlug die Hände, welche mit jenem
Staub angefüllt waren, aus dieser und auf jener Seite des Schiffes zusammen.
Dabei schrien alle am Boden liegend: „Herr Simeon, dringe in den Herrn




') Eigentlich „Inder". Perser und Syrer gebrauchen den Jndier zur Bezeichnung eines
schwarzen Menschen, wie die Araber den Abyssinier und wir den Mohren (Mauren).
") Das Wort, das wir nach Asscmanis Vorgang mit Staub übersehen und das sonst
ganz ungewöhnlich ist, während es i» diesem Heiligenleben oft als Vermittelung der Wunder
vorkommt, bedeutet vielleicht gradezu Excrement. Bekanntlich spiele» heilige Ercremcnte in
Ostastcn eine gewisse Rolle, da dort die von syrischen und ägyptischen Asketen kaum erreichten
Vorbilder der vergötterten Sklbstqnälerei wohnten, so ist diese Vergleichung wohl nicht unbe¬
rechtigt. Aesih-lische Rücksichten kennt dieses Aoketcnthum überhaupt nicht.
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[0283] „Auf dem Meere erschien der Heilige (Simeon)^ vielmals leibhaftig vielen Schiffern und half ihnen in ihren Drangsalen zur Zeit der Noth, wenn Sturm und Orkan sie überfielen. Dann kamen sie nachher zu ihm und erzählten in seiner Gegenwart, wie sie ihn leibhaftig zur Zeit der Gefahr gesehen hätten und wie sich der Sturm sofort gelegt, nachdem er ihnen erschienen wäre. Auch kümmerte sich der Heilige viel um die Meerfahrer. — Einst geschah es um wieder, daß ein Schiff von Arabien, vom Oberlande (Jemen?) fuhr mit vielen Reisenden an Bord, Männern und Frauen, die sich nach ihrer Heimath Syrien begeben wollten. Als sie nun auf dem Schiffe die Hälfte des Weges zurück¬ gelegt hatten und sich mitten im Meer befanden, überfiel sie plötzlich ein Un¬ wetter! das Meer ward aufgewühlt, die Wogen erhoben sich, die Winde bliesen heftig, Finsterniß deckte sie, und das Schiff war nahe daran umzuschlagen. Denn sie fuhren aus gen Himmel, wie die Schrift sagt, und fuhren nieder zum Abgrund (Psalm 107, 26). Da schrien sie, ängstigten sich, weinten in Thränen und Jammer und fanden keine Hilfe noch Rettung. Gleich¬ mäßig deckte ein jeder sich zu und fiel auf sein Amelie) nieder, um seinen eigenen Tod nicht zu sehen. Denn es war ihnen allen zur Gewißheit geworden, daß sie nie wieder das trockene Land erblicken würden, zumal da sie gesehen hatten, wie ein schwarzer Mann gleich einem Neger") gekommen war und sich oben aus den Mittelmast des Schiffes gestellt hatte. Denn man sagt, daß die¬ ser jedesmal ein Schiff untergehen läßt, wenn er darauf gesehen wird. So ließen den» alle die Hoffnung auf Rettung fahren, bereiteten sich auf den Tod vor und warfen sich schreiend mit verhülltem Antlijz nieder. Es war da aber ein Mann aus Ulmer-(?), einem Dorf gegenüber Unit (Diarbekr in Mesopo¬ tamien), der mit sich ein wenig von dem Staube**) des Heiligen (Simeon) führte. Nun gefiel es dem Herrn, ihm dies in den Sinn zu rufen, um durch seinen Verehrer (Simeon) eine große That zu vollbringen und die geängstigten Seelen durch seinen Gläubigen zu retten. Der Mann erinnerte sich also daran, machte sich auf und nahm den Staub; dann machte er davon ein Kreuz an den großen Mast mitten im Schiff und schlug die Hände, welche mit jenem Staub angefüllt waren, aus dieser und auf jener Seite des Schiffes zusammen. Dabei schrien alle am Boden liegend: „Herr Simeon, dringe in den Herrn ') Eigentlich „Inder". Perser und Syrer gebrauchen den Jndier zur Bezeichnung eines schwarzen Menschen, wie die Araber den Abyssinier und wir den Mohren (Mauren). ") Das Wort, das wir nach Asscmanis Vorgang mit Staub übersehen und das sonst ganz ungewöhnlich ist, während es i» diesem Heiligenleben oft als Vermittelung der Wunder vorkommt, bedeutet vielleicht gradezu Excrement. Bekanntlich spiele» heilige Ercremcnte in Ostastcn eine gewisse Rolle, da dort die von syrischen und ägyptischen Asketen kaum erreichten Vorbilder der vergötterten Sklbstqnälerei wohnten, so ist diese Vergleichung wohl nicht unbe¬ rechtigt. Aesih-lische Rücksichten kennt dieses Aoketcnthum überhaupt nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/283>, abgerufen am 22.07.2024.