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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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keine Phrasen mehr geblendet plötzlich in einer concreten Frage erkannte, mehr
oder weniger bewußt den Interessen des Auslandes in die Hände arbeitete.

Aber war denn mit dem Schutz- und TrulMndniß die Sache wirklich schon
entschieden? In dem Augenblick, da es zur Oeffentlichkeit gelangte, war man
weniger von der Thatsache selbst überrascht: durch die Aeußerungen Bismarcks
im Parlament und durch die Veröffentlichung der Bündnisse Badens und
Bayerns war man allmälig darauf vorbereitet worden; auch waren eingewcihtere
Kreise nicht ganz im Dunkel darüber geblieben. Um so größer aber war nun
das Erstaunen über das bisherige Verhalten der Negierung. Sieben Monate
lang hatte sie diesen Vertrag in der Tasche, zu dem Hr. v. Varnbüler selbst
die Anregung gegeben, und in dieser ganzen Zeit war nichts geschehen, um die
Bevölkerung für eine solche Wendung der würtembergischen Politik vorzube¬
reiten und zu gewinnen, nichts, um diejenigen Maßregeln ins Leben zu rufen,
ohne welche der Bündnisvertrag ein Stück Papier blieb. Es hätte den Minister
wenig gekostet, bei den Kammerberathungen im October seiner Partei einen
Wink zu geben, daß das damals noch zum guten Ton gehörige Schreien gegen den
"Friedensbrecher" nicht mehr ganz zeitgemäß sei. Statt dessen hatte er zuge¬
lassen, daß seine Getreuesten munter in die Trompete der Volkspartei bliesen
und sich für den süddeutschen Bund erhitzten, dem er selbst insgeheim den
Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Die Führer der Kammermchrheit
sollen es nachträglich dem Minister schwer verdacht haben, daß er sie damals
in solcher Weise bloßstclltc und für ein Programm sich compromittiren ließ,
das jetzt doppelt lächerlich war. Auch in Bayern und in Baden waren die
Verträge geheim gehalten worden, aber die Minister hatten inzwischen doch den
Anschluß an Preußen als das anzustrebende Ziel bezeichnet, und damit der
öffentlichen Meinung eine Direction gegeben, die namentlich in Bayern für die
Haltung der Abgeordnetenkammer vom größten Werth war. In Würtemberg
wiegte man die öffentliche Meinung in dem Glauben, daß die Souveränetät
des Staats die oberste Richtschnur der Politik sei. Die deutsche Partei, die
dasselbe wollte, was die Regierung im Geheimen bereits geplant hatte, ließ
man nicht direct, aber durch die beeinflußte niedere Presse in Stadt und Land
bekämpfen. Für alle Mahnungen zu energischen Reformmcißregeln schien man
taub. Von ' einer Thätigkeit im Kriegsministerium war nichts zu bemerken,
außer daß noch im Januar der Kriegsminister den Entwurf einer Wehrver¬
fassung ausarbeitete, der auf viermonatlicher Präsenz beruhend, möglichst an
das schweizerische Milizsystem sich anschloß. Die Stuttgarter Conferenzen hatten
nur allgemeine Grundsätze ausgestellt und waren ohne ersichtliche praktische
Konsequenzen. Eine solche Haltung war doch nur erklärlich, entweder wenn
die Regierung aus Respect vor den Agitationen der Volkspartei nicht offen
mit ihrer Meinung hervorzutreten wagte, oder wenn sie selbst noch keine feste


keine Phrasen mehr geblendet plötzlich in einer concreten Frage erkannte, mehr
oder weniger bewußt den Interessen des Auslandes in die Hände arbeitete.

Aber war denn mit dem Schutz- und TrulMndniß die Sache wirklich schon
entschieden? In dem Augenblick, da es zur Oeffentlichkeit gelangte, war man
weniger von der Thatsache selbst überrascht: durch die Aeußerungen Bismarcks
im Parlament und durch die Veröffentlichung der Bündnisse Badens und
Bayerns war man allmälig darauf vorbereitet worden; auch waren eingewcihtere
Kreise nicht ganz im Dunkel darüber geblieben. Um so größer aber war nun
das Erstaunen über das bisherige Verhalten der Negierung. Sieben Monate
lang hatte sie diesen Vertrag in der Tasche, zu dem Hr. v. Varnbüler selbst
die Anregung gegeben, und in dieser ganzen Zeit war nichts geschehen, um die
Bevölkerung für eine solche Wendung der würtembergischen Politik vorzube¬
reiten und zu gewinnen, nichts, um diejenigen Maßregeln ins Leben zu rufen,
ohne welche der Bündnisvertrag ein Stück Papier blieb. Es hätte den Minister
wenig gekostet, bei den Kammerberathungen im October seiner Partei einen
Wink zu geben, daß das damals noch zum guten Ton gehörige Schreien gegen den
„Friedensbrecher" nicht mehr ganz zeitgemäß sei. Statt dessen hatte er zuge¬
lassen, daß seine Getreuesten munter in die Trompete der Volkspartei bliesen
und sich für den süddeutschen Bund erhitzten, dem er selbst insgeheim den
Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Die Führer der Kammermchrheit
sollen es nachträglich dem Minister schwer verdacht haben, daß er sie damals
in solcher Weise bloßstclltc und für ein Programm sich compromittiren ließ,
das jetzt doppelt lächerlich war. Auch in Bayern und in Baden waren die
Verträge geheim gehalten worden, aber die Minister hatten inzwischen doch den
Anschluß an Preußen als das anzustrebende Ziel bezeichnet, und damit der
öffentlichen Meinung eine Direction gegeben, die namentlich in Bayern für die
Haltung der Abgeordnetenkammer vom größten Werth war. In Würtemberg
wiegte man die öffentliche Meinung in dem Glauben, daß die Souveränetät
des Staats die oberste Richtschnur der Politik sei. Die deutsche Partei, die
dasselbe wollte, was die Regierung im Geheimen bereits geplant hatte, ließ
man nicht direct, aber durch die beeinflußte niedere Presse in Stadt und Land
bekämpfen. Für alle Mahnungen zu energischen Reformmcißregeln schien man
taub. Von ' einer Thätigkeit im Kriegsministerium war nichts zu bemerken,
außer daß noch im Januar der Kriegsminister den Entwurf einer Wehrver¬
fassung ausarbeitete, der auf viermonatlicher Präsenz beruhend, möglichst an
das schweizerische Milizsystem sich anschloß. Die Stuttgarter Conferenzen hatten
nur allgemeine Grundsätze ausgestellt und waren ohne ersichtliche praktische
Konsequenzen. Eine solche Haltung war doch nur erklärlich, entweder wenn
die Regierung aus Respect vor den Agitationen der Volkspartei nicht offen
mit ihrer Meinung hervorzutreten wagte, oder wenn sie selbst noch keine feste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/214>, abgerufen am 22.07.2024.