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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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immer vorwärts gebracht und hat also seine Berechtigung. Die innere Dis¬
ciplin ist seit langer Zeit in der französischen Armee gelockert und wir können
uns deshalb nicht entschließen, dem jetzigen Kaiser einen Vorwurf daraus zu
machen oder wohl gar heute diese Armee geringer zu achten als früher.

Das interessanteste Bild, welches der General entrollt, ist entschieden die
Schilderung der heutigen Recrutirungsgesetze und deren Folgen für den Geist
und Charakter der französischen Armee. Die Stellvertretung und das Avance¬
mentsrecht aller Unteroffiziere zum Offizier war schon zur Zeit der Revolution
Regel geworden. Die Zeit der Bourbonen hatte in diesen Verhältnissen einige
Rückschritte gebracht, unter Louis Philipp aber im Jahre 1832 wurde das
Recrutirungswesen und das Avancement gesetzlich geordnet.

Das Nccrutirungsgesetz gestattete jedem Einzelnen, für sich einen zum Dienst
geeigneten Ersatzmann zu stellen. Wie er denselben aufbrachte war seine Sache.
Statt des Stellvertretungsrechts führte Napoleon das Loskaufsrecht ein. Der
Dienstpflichtige brachte früher statt seiner einen andern Mann, jetzt bringt er
Geld und überläßt der Regierung die Beschaffung des Stellvertreters. An¬
scheinend wird dabei kein Princip gegen früher geändert, in Wirklichkeit ist das
ganze Lebenselement der Armee ein anderes geworden.

1) Die Dienstpflicht ist in eine Steuer verwandelt, welche nur mit Wider¬
streben durch die eigene Person bezahlt wird. Diese einmalige Steuer betrug
bisher 2,000 bis 2,300 Fras. und ist erst vor wenigen Tagen auf 3,000 Fras.
erhöht. Die Industrie hat sich darauf geworfen, jedem, der nur arbeitsfähig
ist und einige Charakterfestigkeit hat, die Aufbringung dieser Summe zu ermög¬
lichen. Wie wir in Deutschland Ausstattungsfassen haben, welche durch regel¬
mäßige kleine Zahlungen, Lohncrsparnisse u. s. w. größere Summen flüssig
machen, so finden wir in Frankreich Versicherungsgesellschaften gegen "1^6 sol-
vice miliwire". -- Die Folge davon ist, daß mehr und mehr nur das aller¬
geringste Element der französischen Gesellschaft in das Heer eintritt. Während
sonst auf dem Lande, in der kleinen Gemeinschaft eines Dorfes sich nur aus¬
nahmsweise ein Einzelner fand, welcher das Onus auf sich lud, als Stellvertreter
einzutreten (die Nomanliteratur ist angefüllt mit betreffenden Schilderungen), und
durchschnittlich jeder Bauer seiner Dienstpflicht selbst genügte, hat sich heute das
Blatt gewendet, grade der Bauer in seinem einfachen und ruhigen Leben genügt
am leichtesten den Anforderungen jener Versicherungsgesellschaften und die ge¬
sunden und kräftigen Elemente der ländlichen Bevölkerung verschwinden immer
mehr aus der Armee. Die Städte fangen an, aus der Masse ihrer unsichern
Existenzen und aus dem untern Proletariat den größern Theil des Ersatzes für
die Armee zu liefern,

2) Die Zahl der sich Loskaufenden wird jedes Jahr größer und da die
Regierung die Stellvertreter aus ihren alten Soldaten nimmt, so mindert sich


immer vorwärts gebracht und hat also seine Berechtigung. Die innere Dis¬
ciplin ist seit langer Zeit in der französischen Armee gelockert und wir können
uns deshalb nicht entschließen, dem jetzigen Kaiser einen Vorwurf daraus zu
machen oder wohl gar heute diese Armee geringer zu achten als früher.

Das interessanteste Bild, welches der General entrollt, ist entschieden die
Schilderung der heutigen Recrutirungsgesetze und deren Folgen für den Geist
und Charakter der französischen Armee. Die Stellvertretung und das Avance¬
mentsrecht aller Unteroffiziere zum Offizier war schon zur Zeit der Revolution
Regel geworden. Die Zeit der Bourbonen hatte in diesen Verhältnissen einige
Rückschritte gebracht, unter Louis Philipp aber im Jahre 1832 wurde das
Recrutirungswesen und das Avancement gesetzlich geordnet.

Das Nccrutirungsgesetz gestattete jedem Einzelnen, für sich einen zum Dienst
geeigneten Ersatzmann zu stellen. Wie er denselben aufbrachte war seine Sache.
Statt des Stellvertretungsrechts führte Napoleon das Loskaufsrecht ein. Der
Dienstpflichtige brachte früher statt seiner einen andern Mann, jetzt bringt er
Geld und überläßt der Regierung die Beschaffung des Stellvertreters. An¬
scheinend wird dabei kein Princip gegen früher geändert, in Wirklichkeit ist das
ganze Lebenselement der Armee ein anderes geworden.

1) Die Dienstpflicht ist in eine Steuer verwandelt, welche nur mit Wider¬
streben durch die eigene Person bezahlt wird. Diese einmalige Steuer betrug
bisher 2,000 bis 2,300 Fras. und ist erst vor wenigen Tagen auf 3,000 Fras.
erhöht. Die Industrie hat sich darauf geworfen, jedem, der nur arbeitsfähig
ist und einige Charakterfestigkeit hat, die Aufbringung dieser Summe zu ermög¬
lichen. Wie wir in Deutschland Ausstattungsfassen haben, welche durch regel¬
mäßige kleine Zahlungen, Lohncrsparnisse u. s. w. größere Summen flüssig
machen, so finden wir in Frankreich Versicherungsgesellschaften gegen „1^6 sol-
vice miliwire". — Die Folge davon ist, daß mehr und mehr nur das aller¬
geringste Element der französischen Gesellschaft in das Heer eintritt. Während
sonst auf dem Lande, in der kleinen Gemeinschaft eines Dorfes sich nur aus¬
nahmsweise ein Einzelner fand, welcher das Onus auf sich lud, als Stellvertreter
einzutreten (die Nomanliteratur ist angefüllt mit betreffenden Schilderungen), und
durchschnittlich jeder Bauer seiner Dienstpflicht selbst genügte, hat sich heute das
Blatt gewendet, grade der Bauer in seinem einfachen und ruhigen Leben genügt
am leichtesten den Anforderungen jener Versicherungsgesellschaften und die ge¬
sunden und kräftigen Elemente der ländlichen Bevölkerung verschwinden immer
mehr aus der Armee. Die Städte fangen an, aus der Masse ihrer unsichern
Existenzen und aus dem untern Proletariat den größern Theil des Ersatzes für
die Armee zu liefern,

2) Die Zahl der sich Loskaufenden wird jedes Jahr größer und da die
Regierung die Stellvertreter aus ihren alten Soldaten nimmt, so mindert sich


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[0206] immer vorwärts gebracht und hat also seine Berechtigung. Die innere Dis¬ ciplin ist seit langer Zeit in der französischen Armee gelockert und wir können uns deshalb nicht entschließen, dem jetzigen Kaiser einen Vorwurf daraus zu machen oder wohl gar heute diese Armee geringer zu achten als früher. Das interessanteste Bild, welches der General entrollt, ist entschieden die Schilderung der heutigen Recrutirungsgesetze und deren Folgen für den Geist und Charakter der französischen Armee. Die Stellvertretung und das Avance¬ mentsrecht aller Unteroffiziere zum Offizier war schon zur Zeit der Revolution Regel geworden. Die Zeit der Bourbonen hatte in diesen Verhältnissen einige Rückschritte gebracht, unter Louis Philipp aber im Jahre 1832 wurde das Recrutirungswesen und das Avancement gesetzlich geordnet. Das Nccrutirungsgesetz gestattete jedem Einzelnen, für sich einen zum Dienst geeigneten Ersatzmann zu stellen. Wie er denselben aufbrachte war seine Sache. Statt des Stellvertretungsrechts führte Napoleon das Loskaufsrecht ein. Der Dienstpflichtige brachte früher statt seiner einen andern Mann, jetzt bringt er Geld und überläßt der Regierung die Beschaffung des Stellvertreters. An¬ scheinend wird dabei kein Princip gegen früher geändert, in Wirklichkeit ist das ganze Lebenselement der Armee ein anderes geworden. 1) Die Dienstpflicht ist in eine Steuer verwandelt, welche nur mit Wider¬ streben durch die eigene Person bezahlt wird. Diese einmalige Steuer betrug bisher 2,000 bis 2,300 Fras. und ist erst vor wenigen Tagen auf 3,000 Fras. erhöht. Die Industrie hat sich darauf geworfen, jedem, der nur arbeitsfähig ist und einige Charakterfestigkeit hat, die Aufbringung dieser Summe zu ermög¬ lichen. Wie wir in Deutschland Ausstattungsfassen haben, welche durch regel¬ mäßige kleine Zahlungen, Lohncrsparnisse u. s. w. größere Summen flüssig machen, so finden wir in Frankreich Versicherungsgesellschaften gegen „1^6 sol- vice miliwire". — Die Folge davon ist, daß mehr und mehr nur das aller¬ geringste Element der französischen Gesellschaft in das Heer eintritt. Während sonst auf dem Lande, in der kleinen Gemeinschaft eines Dorfes sich nur aus¬ nahmsweise ein Einzelner fand, welcher das Onus auf sich lud, als Stellvertreter einzutreten (die Nomanliteratur ist angefüllt mit betreffenden Schilderungen), und durchschnittlich jeder Bauer seiner Dienstpflicht selbst genügte, hat sich heute das Blatt gewendet, grade der Bauer in seinem einfachen und ruhigen Leben genügt am leichtesten den Anforderungen jener Versicherungsgesellschaften und die ge¬ sunden und kräftigen Elemente der ländlichen Bevölkerung verschwinden immer mehr aus der Armee. Die Städte fangen an, aus der Masse ihrer unsichern Existenzen und aus dem untern Proletariat den größern Theil des Ersatzes für die Armee zu liefern, 2) Die Zahl der sich Loskaufenden wird jedes Jahr größer und da die Regierung die Stellvertreter aus ihren alten Soldaten nimmt, so mindert sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/206>, abgerufen am 01.07.2024.