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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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min mehre neue griechische Übersetzungen nach dem inzwischen festgestellten
officiellen Text und gemäß der recipirten Auslegungsweise.

Zuerst (gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts) übersetzte Aquila den
kanonischen Text mit peinlichster Wörtlichkeit, welche so weit ging, daß er selbst
Partikeln, welche blos die grammatischen Kasusbeziehungen ausdrücken, durch
griechische Wörtchen wiedergab. Hier erkennt man die Schule des Allda, welche
in jeder Construction, in jedem Wörtchen, ja in jedem Buchstaben der Schrift
eine tiefe Absicht des inspirirenden heiligen Geistes fand, so daß auch die Über¬
setzung jede Einzelheit, so, weit irgend möglich, wiedergeben sollte. Bald nach¬
her arbeitete Thcodetion (sicher ebenfalls ein Jude) den griechischen Bulgärtext
mit strenger Rücksicht auf den hebräischen Wortlaut "in. Diese Arbeit gefiel
mit Recht auch in christlichen Kreisen, sodaß man sogar sehr bald statt der als
zu schlecht erkannten alten Uebersetzung des Buches Daniel die des Thcodotion
zum Kirchengebrauch einführte. Eine etwas freiere und dem Ausdrucke nach
elegantere Übersetzung verfaßte gegen den Schluß des zweiten Jahrhunderts
Symmachus, der wahrscheinlich auch ein Juc e war. obwohl ihn christliche Nach¬
richten zum Judenchristen (Ebioniten) machen. Leider sind von diesen d>el
Übersetzern mit Ausnahme des thcodotionschen Daniels nur k eine, wenn auch
sehr zahlreiche Bruchstücke erhalten, aus denen sich indeß erkennen läßt, daß sie
vollkommen von der damaligen jüdischen Schulaufsassung abhängen. Übrigens
halten sie sich alle drei gern an den Wortlaut der alten Übersetzer, wo sie
keine besondern Gründe zur Abweichung haben. Bon einigen andern jüdisch-
gnechischcn anonymen Uebersetzern haben wir nur einzelne Fragmente; auch von
christlicher Seite fehlte es nicht ganz an derartigen Bemühungen.

Die alte Übersetzung war inzwischen vielfach verderbt. Leider hat der
Fluch, den nach dem Aristeasroman die Synagogenvorsteher in Alexandria aus
jede Entstellung der Uebersetzung des Pentateuchs legten, keine Wirkung gehabt.
Da bei den Juden, welche dieselbe benupteu. der Gebrauch des Originals nie
ganz verschwand, so konnte es nicht fehlen, daß man sie oft nach demselben
verbesserte. Man schrieb seine abweichende Auffassung eines Wortes oder Satzes
auch wohl an den Rand und dieser kam dann leicht zu der ursprüngliche" in
den Text. Dazu änderte man auch vielfach willkürlich u^d endlich konnten
bei einem so viel gebrauchten Buche zahlreiche Ahschreibefehlcr nicht ausbleiben.
Schon Philon hatte einen sehr verdorbenen Pentatencl'lext vor sich. Später
kamen noch tendenziöse Versuche hinzu, den Text im christlichen Sinne zu fälschen,
ohne jedoch viel Wirkung zu haben, Noch schlimmer mußte dies nun werden,
seit man noch andere griechische Uebersetzungen hatte, welche als genaue Re¬
präsentanten des jüdischen Wortlauts galten und mit deren Hilfe nun auch
solche, die der Grundsprache nicht mächtig waren, die Septuaginta verbessern
konnten. Der Text verwilderte ganz und gar.


min mehre neue griechische Übersetzungen nach dem inzwischen festgestellten
officiellen Text und gemäß der recipirten Auslegungsweise.

Zuerst (gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts) übersetzte Aquila den
kanonischen Text mit peinlichster Wörtlichkeit, welche so weit ging, daß er selbst
Partikeln, welche blos die grammatischen Kasusbeziehungen ausdrücken, durch
griechische Wörtchen wiedergab. Hier erkennt man die Schule des Allda, welche
in jeder Construction, in jedem Wörtchen, ja in jedem Buchstaben der Schrift
eine tiefe Absicht des inspirirenden heiligen Geistes fand, so daß auch die Über¬
setzung jede Einzelheit, so, weit irgend möglich, wiedergeben sollte. Bald nach¬
her arbeitete Thcodetion (sicher ebenfalls ein Jude) den griechischen Bulgärtext
mit strenger Rücksicht auf den hebräischen Wortlaut »in. Diese Arbeit gefiel
mit Recht auch in christlichen Kreisen, sodaß man sogar sehr bald statt der als
zu schlecht erkannten alten Uebersetzung des Buches Daniel die des Thcodotion
zum Kirchengebrauch einführte. Eine etwas freiere und dem Ausdrucke nach
elegantere Übersetzung verfaßte gegen den Schluß des zweiten Jahrhunderts
Symmachus, der wahrscheinlich auch ein Juc e war. obwohl ihn christliche Nach¬
richten zum Judenchristen (Ebioniten) machen. Leider sind von diesen d>el
Übersetzern mit Ausnahme des thcodotionschen Daniels nur k eine, wenn auch
sehr zahlreiche Bruchstücke erhalten, aus denen sich indeß erkennen läßt, daß sie
vollkommen von der damaligen jüdischen Schulaufsassung abhängen. Übrigens
halten sie sich alle drei gern an den Wortlaut der alten Übersetzer, wo sie
keine besondern Gründe zur Abweichung haben. Bon einigen andern jüdisch-
gnechischcn anonymen Uebersetzern haben wir nur einzelne Fragmente; auch von
christlicher Seite fehlte es nicht ganz an derartigen Bemühungen.

Die alte Übersetzung war inzwischen vielfach verderbt. Leider hat der
Fluch, den nach dem Aristeasroman die Synagogenvorsteher in Alexandria aus
jede Entstellung der Uebersetzung des Pentateuchs legten, keine Wirkung gehabt.
Da bei den Juden, welche dieselbe benupteu. der Gebrauch des Originals nie
ganz verschwand, so konnte es nicht fehlen, daß man sie oft nach demselben
verbesserte. Man schrieb seine abweichende Auffassung eines Wortes oder Satzes
auch wohl an den Rand und dieser kam dann leicht zu der ursprüngliche» in
den Text. Dazu änderte man auch vielfach willkürlich u^d endlich konnten
bei einem so viel gebrauchten Buche zahlreiche Ahschreibefehlcr nicht ausbleiben.
Schon Philon hatte einen sehr verdorbenen Pentatencl'lext vor sich. Später
kamen noch tendenziöse Versuche hinzu, den Text im christlichen Sinne zu fälschen,
ohne jedoch viel Wirkung zu haben, Noch schlimmer mußte dies nun werden,
seit man noch andere griechische Uebersetzungen hatte, welche als genaue Re¬
präsentanten des jüdischen Wortlauts galten und mit deren Hilfe nun auch
solche, die der Grundsprache nicht mächtig waren, die Septuaginta verbessern
konnten. Der Text verwilderte ganz und gar.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/153>, abgerufen am 03.07.2024.