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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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begann. Für das religiöse Bedürfniß trat dadurch die Nothwendigkeit von
Übersetzungen hervor. Die nun entstehenden Arbeiten waren blos für die
Juden berechnet, welche nur ausnahmsweise Angehörige fremder Nationen
in ihre durch tausend Absonderlichkeiten abgeschlossene Gemeinde aufnehmen
konnten. Wesentlich verändert werden die Verhältnisse, seit das Christenthum
entstanden war, welches sich zwar als den rechten Erben der geistigen Güter
Israels ansah, aber zugleich in der großartigsten Propaganda eine Lebensauf¬
gabe fand, sich an alle Völker wandte und zu jedem in seiner Zunge redete.
Nun mußte die Uebersetzungsliteratur einen gewaltigen Aufschwung nehmen.
Diese Bewegung dauerte dann, bis alle damaligen christlichen Völker die heilige
Schrift in ihrer eigenen Sprache lasen. Die darauf hereinbrechende mittel¬
alterliche Finsterniß brachte aber auch auf diesem Gebiete eine fast vollständige
Stockung hervor, bis endlich die Bewegung beim Morgenroth der neuen Zuk
zu einem neuen, noch großartigeren, aber doch wesentlich veränderten Leben
wieder erwachte. In vieler Hinficht bietet die alte Ubcrsetznngsliteratnr ein
höchst anziehendes Schauspiel dar. Schon der Umstand, daß nie vorher ein
solches Streben bestanden hatte, die literarischen Schätze einer Sprache in einer
anderen einzubürgern, giebt ihr einen eigenen Reiz.

Mit verschiedenem Erfolg versuchten Einzelne und ganze Classen von Ge¬
lehrten die heiligen Bücher zu, übertrage". An mancher dieser Übersetzungen
haben Jahrhunderte gearbeitet, und so wenisi sie meistens dem Ideale ent¬
sprechen, welches wir uns von einem derartigen Unternehmen machen, so wichtig
sind sie schon als Beweise des regen Eifers, die Bibel zum allgemeinen Volks¬
buch zu machen. Das Hauptinteresse war hierbei immer das religiöse. Daher
spiegeln sich auch die religiösen Ansichten, welche man unwillkürlich immer auch
in die alten Schriften hineindeutete, vielfach in den Übersetzungen al> und so
sehr hierdurch oft der wahre Sinn entstellt wird, so sehr wurde doch durch dies
Anpassen der Bibel an den augenblicklichen religiösen Standpunkt der Gemeinde
ihre Wuksamkeit gefördert. Durchgehends haben wir in solchen Umdeutungen.
Zusätzen und Abschwächungen nicht die Willkür eines einzelnen Übersetzers,
sondern den Geist der Gemeinschaft zu suchen, innerhalb deren er stand. Eine
ästhetische Rücksicht, die Absicht, das Original mit seinen Schönheiten in ähn¬
licher Weise nachzubilden, kommt nur vereinzelt und nebensächlich zur Geltung;
war doch eine solche Betrachtung der alten herrlichen Schöpfungen auch denen
fast ganz unbekannt, welche der Originalsprache mächtig waren.

Für den biblischen Kritiker wie für den Sprachforscher haben die alten
Übersetzungen des Alten Testaments, über welche wir hier etwas eingehender
reden wollen, noch einen besonderen Werth. Sie geben uns nicht blos die
Auffassung des Originals bei den Alten, sondern auch zum Theil den Reflex
eines Textes, welcher sich von dem recipirten mehr oder weniger unterscheidet.


begann. Für das religiöse Bedürfniß trat dadurch die Nothwendigkeit von
Übersetzungen hervor. Die nun entstehenden Arbeiten waren blos für die
Juden berechnet, welche nur ausnahmsweise Angehörige fremder Nationen
in ihre durch tausend Absonderlichkeiten abgeschlossene Gemeinde aufnehmen
konnten. Wesentlich verändert werden die Verhältnisse, seit das Christenthum
entstanden war, welches sich zwar als den rechten Erben der geistigen Güter
Israels ansah, aber zugleich in der großartigsten Propaganda eine Lebensauf¬
gabe fand, sich an alle Völker wandte und zu jedem in seiner Zunge redete.
Nun mußte die Uebersetzungsliteratur einen gewaltigen Aufschwung nehmen.
Diese Bewegung dauerte dann, bis alle damaligen christlichen Völker die heilige
Schrift in ihrer eigenen Sprache lasen. Die darauf hereinbrechende mittel¬
alterliche Finsterniß brachte aber auch auf diesem Gebiete eine fast vollständige
Stockung hervor, bis endlich die Bewegung beim Morgenroth der neuen Zuk
zu einem neuen, noch großartigeren, aber doch wesentlich veränderten Leben
wieder erwachte. In vieler Hinficht bietet die alte Ubcrsetznngsliteratnr ein
höchst anziehendes Schauspiel dar. Schon der Umstand, daß nie vorher ein
solches Streben bestanden hatte, die literarischen Schätze einer Sprache in einer
anderen einzubürgern, giebt ihr einen eigenen Reiz.

Mit verschiedenem Erfolg versuchten Einzelne und ganze Classen von Ge¬
lehrten die heiligen Bücher zu, übertrage». An mancher dieser Übersetzungen
haben Jahrhunderte gearbeitet, und so wenisi sie meistens dem Ideale ent¬
sprechen, welches wir uns von einem derartigen Unternehmen machen, so wichtig
sind sie schon als Beweise des regen Eifers, die Bibel zum allgemeinen Volks¬
buch zu machen. Das Hauptinteresse war hierbei immer das religiöse. Daher
spiegeln sich auch die religiösen Ansichten, welche man unwillkürlich immer auch
in die alten Schriften hineindeutete, vielfach in den Übersetzungen al> und so
sehr hierdurch oft der wahre Sinn entstellt wird, so sehr wurde doch durch dies
Anpassen der Bibel an den augenblicklichen religiösen Standpunkt der Gemeinde
ihre Wuksamkeit gefördert. Durchgehends haben wir in solchen Umdeutungen.
Zusätzen und Abschwächungen nicht die Willkür eines einzelnen Übersetzers,
sondern den Geist der Gemeinschaft zu suchen, innerhalb deren er stand. Eine
ästhetische Rücksicht, die Absicht, das Original mit seinen Schönheiten in ähn¬
licher Weise nachzubilden, kommt nur vereinzelt und nebensächlich zur Geltung;
war doch eine solche Betrachtung der alten herrlichen Schöpfungen auch denen
fast ganz unbekannt, welche der Originalsprache mächtig waren.

Für den biblischen Kritiker wie für den Sprachforscher haben die alten
Übersetzungen des Alten Testaments, über welche wir hier etwas eingehender
reden wollen, noch einen besonderen Werth. Sie geben uns nicht blos die
Auffassung des Originals bei den Alten, sondern auch zum Theil den Reflex
eines Textes, welcher sich von dem recipirten mehr oder weniger unterscheidet.


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[0147] begann. Für das religiöse Bedürfniß trat dadurch die Nothwendigkeit von Übersetzungen hervor. Die nun entstehenden Arbeiten waren blos für die Juden berechnet, welche nur ausnahmsweise Angehörige fremder Nationen in ihre durch tausend Absonderlichkeiten abgeschlossene Gemeinde aufnehmen konnten. Wesentlich verändert werden die Verhältnisse, seit das Christenthum entstanden war, welches sich zwar als den rechten Erben der geistigen Güter Israels ansah, aber zugleich in der großartigsten Propaganda eine Lebensauf¬ gabe fand, sich an alle Völker wandte und zu jedem in seiner Zunge redete. Nun mußte die Uebersetzungsliteratur einen gewaltigen Aufschwung nehmen. Diese Bewegung dauerte dann, bis alle damaligen christlichen Völker die heilige Schrift in ihrer eigenen Sprache lasen. Die darauf hereinbrechende mittel¬ alterliche Finsterniß brachte aber auch auf diesem Gebiete eine fast vollständige Stockung hervor, bis endlich die Bewegung beim Morgenroth der neuen Zuk zu einem neuen, noch großartigeren, aber doch wesentlich veränderten Leben wieder erwachte. In vieler Hinficht bietet die alte Ubcrsetznngsliteratnr ein höchst anziehendes Schauspiel dar. Schon der Umstand, daß nie vorher ein solches Streben bestanden hatte, die literarischen Schätze einer Sprache in einer anderen einzubürgern, giebt ihr einen eigenen Reiz. Mit verschiedenem Erfolg versuchten Einzelne und ganze Classen von Ge¬ lehrten die heiligen Bücher zu, übertrage». An mancher dieser Übersetzungen haben Jahrhunderte gearbeitet, und so wenisi sie meistens dem Ideale ent¬ sprechen, welches wir uns von einem derartigen Unternehmen machen, so wichtig sind sie schon als Beweise des regen Eifers, die Bibel zum allgemeinen Volks¬ buch zu machen. Das Hauptinteresse war hierbei immer das religiöse. Daher spiegeln sich auch die religiösen Ansichten, welche man unwillkürlich immer auch in die alten Schriften hineindeutete, vielfach in den Übersetzungen al> und so sehr hierdurch oft der wahre Sinn entstellt wird, so sehr wurde doch durch dies Anpassen der Bibel an den augenblicklichen religiösen Standpunkt der Gemeinde ihre Wuksamkeit gefördert. Durchgehends haben wir in solchen Umdeutungen. Zusätzen und Abschwächungen nicht die Willkür eines einzelnen Übersetzers, sondern den Geist der Gemeinschaft zu suchen, innerhalb deren er stand. Eine ästhetische Rücksicht, die Absicht, das Original mit seinen Schönheiten in ähn¬ licher Weise nachzubilden, kommt nur vereinzelt und nebensächlich zur Geltung; war doch eine solche Betrachtung der alten herrlichen Schöpfungen auch denen fast ganz unbekannt, welche der Originalsprache mächtig waren. Für den biblischen Kritiker wie für den Sprachforscher haben die alten Übersetzungen des Alten Testaments, über welche wir hier etwas eingehender reden wollen, noch einen besonderen Werth. Sie geben uns nicht blos die Auffassung des Originals bei den Alten, sondern auch zum Theil den Reflex eines Textes, welcher sich von dem recipirten mehr oder weniger unterscheidet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/147>, abgerufen am 05.02.2025.