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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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den spätern Erzeugnissen dieses Zurückgehen auf die Erstausgaben derselbe" un¬
erläßlich und von Erfolg sei, erhärtet Bernays mit einer Reihe evidenter Be¬
lege aus den Texten der "natürlichen Tochter", des "Elpenor". der "Lehrjahre",
"Wahlverwandtschaften", "Wanderjahre", "guten Frauen", "Briefen aus der
Schweiz", "Dichtung und Wahrheit".

Durch dieses Feststellen der unterscheidenden Textbeschaffcnheit der Ausgaben,
Herkunft und Filiation ihrer Verderbnisse, welches nur einer durch alle Auf¬
lagen sich wiederholenden Lesung mit unermüdlicher Aufmerksamkeit und com-
binirenden Geiste gelingen konnte, hat Bernays die äußere Fundamentalkritik
des Goethetextes erst geschaffen. Ohne diese blieb jede Behandlung, die seine
Echtheit.und Reinheit bewahren will, bei jedem Anstoße, der nicht zu den hand¬
greiflichen Druckfehlern gehört, auf Conjecturalkrittk beschränkt. Nach Vollen¬
dung aber dieser Fundamentalkritik hat die innere historischen Boden, und wird
ihre Anwendung spruchreif.

Schon von Anfang konnte diese äußere Kritik, die der innern in die Hand
arbeitet, ihr grundlegendes Geschäft nicht ohne die letztere machen, ihren Merk¬
malen und Schlußgliedern die Beweiskraft nicht geben ohne gebildete Vertraut¬
heit nicht nur mit Sprache und Poesie im Allgemeinen, sondern mit der eigen¬
thümlichen dieses Schriftstellers und der besondern der einzelnen kritischen Stelle.
Es ist daher auch bei Bernays jede der ausgewählten problematischen Lesarten,
durch die er eine Ausgabe charakterisiert, aus solcher Kenntniß der Dichtersprache
und Fühlung des Zusammenhangs beurtheilt, und die Richtigkeit der von ihm
entwickelten kritischen Textgeschichte wird eben darum einleuchtend und über¬
zeugend, weil er die eingedrungenen Lesarten nicht allein als Abweisungen
von jenen der Erstausgaben, sondern auch als den Sinn ve>fehlend, den Aus¬
druck störend oder der Weise des Dichters weniger gemäß, mit einer tüchtigen
innern Kritik darthut. Wer diesen Besprechungen von mehr als hundert ein¬
zelnen Stellen aus den verschiedenen Dramen, Romanen, darstellenden Schriften
Goethes und den Erörterungen der echten Schreibung gefolgt ist, der wird
auch sehr bestimmt empfinden, daß die Unterschiede, um die es sich hier handelt,
wie klein immer nach dem Betrage der Lettern, für den Eindruck der Werke
und den Genuß der Poesie von ganz wesentlichem Belange sind.

Es ist also ein entschiedenes Verdienst um unsere Literatur, um den großen
Dichter, um die Reinheit des Vermächtnisses, das die Nation a" seinen Werken
hat, was eine ehrliche Anzeige von dieser instructiven Schrift des jungen philo¬
logischen Meisters melden kann und muß. Das zweite von gleich allgemeinem
Interesse, was ein sachgemäßer Bericht hervorzuheben hat, ist die erfreuliche
Thatsache, daß dieser Unterricht über Zustand und Herstellung des Goethetextes
>>ur Probe und Reckenschaft einer Kritik ist, welche Bernays in dieser metho¬
dischen Strenge und Sinnesfeinheit bereits an einer ganzen Reihe von Werken


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den spätern Erzeugnissen dieses Zurückgehen auf die Erstausgaben derselbe» un¬
erläßlich und von Erfolg sei, erhärtet Bernays mit einer Reihe evidenter Be¬
lege aus den Texten der „natürlichen Tochter", des „Elpenor". der „Lehrjahre",
„Wahlverwandtschaften", „Wanderjahre", „guten Frauen", „Briefen aus der
Schweiz", „Dichtung und Wahrheit".

Durch dieses Feststellen der unterscheidenden Textbeschaffcnheit der Ausgaben,
Herkunft und Filiation ihrer Verderbnisse, welches nur einer durch alle Auf¬
lagen sich wiederholenden Lesung mit unermüdlicher Aufmerksamkeit und com-
binirenden Geiste gelingen konnte, hat Bernays die äußere Fundamentalkritik
des Goethetextes erst geschaffen. Ohne diese blieb jede Behandlung, die seine
Echtheit.und Reinheit bewahren will, bei jedem Anstoße, der nicht zu den hand¬
greiflichen Druckfehlern gehört, auf Conjecturalkrittk beschränkt. Nach Vollen¬
dung aber dieser Fundamentalkritik hat die innere historischen Boden, und wird
ihre Anwendung spruchreif.

Schon von Anfang konnte diese äußere Kritik, die der innern in die Hand
arbeitet, ihr grundlegendes Geschäft nicht ohne die letztere machen, ihren Merk¬
malen und Schlußgliedern die Beweiskraft nicht geben ohne gebildete Vertraut¬
heit nicht nur mit Sprache und Poesie im Allgemeinen, sondern mit der eigen¬
thümlichen dieses Schriftstellers und der besondern der einzelnen kritischen Stelle.
Es ist daher auch bei Bernays jede der ausgewählten problematischen Lesarten,
durch die er eine Ausgabe charakterisiert, aus solcher Kenntniß der Dichtersprache
und Fühlung des Zusammenhangs beurtheilt, und die Richtigkeit der von ihm
entwickelten kritischen Textgeschichte wird eben darum einleuchtend und über¬
zeugend, weil er die eingedrungenen Lesarten nicht allein als Abweisungen
von jenen der Erstausgaben, sondern auch als den Sinn ve>fehlend, den Aus¬
druck störend oder der Weise des Dichters weniger gemäß, mit einer tüchtigen
innern Kritik darthut. Wer diesen Besprechungen von mehr als hundert ein¬
zelnen Stellen aus den verschiedenen Dramen, Romanen, darstellenden Schriften
Goethes und den Erörterungen der echten Schreibung gefolgt ist, der wird
auch sehr bestimmt empfinden, daß die Unterschiede, um die es sich hier handelt,
wie klein immer nach dem Betrage der Lettern, für den Eindruck der Werke
und den Genuß der Poesie von ganz wesentlichem Belange sind.

Es ist also ein entschiedenes Verdienst um unsere Literatur, um den großen
Dichter, um die Reinheit des Vermächtnisses, das die Nation a» seinen Werken
hat, was eine ehrliche Anzeige von dieser instructiven Schrift des jungen philo¬
logischen Meisters melden kann und muß. Das zweite von gleich allgemeinem
Interesse, was ein sachgemäßer Bericht hervorzuheben hat, ist die erfreuliche
Thatsache, daß dieser Unterricht über Zustand und Herstellung des Goethetextes
>>ur Probe und Reckenschaft einer Kritik ist, welche Bernays in dieser metho¬
dischen Strenge und Sinnesfeinheit bereits an einer ganzen Reihe von Werken


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[0111] den spätern Erzeugnissen dieses Zurückgehen auf die Erstausgaben derselbe» un¬ erläßlich und von Erfolg sei, erhärtet Bernays mit einer Reihe evidenter Be¬ lege aus den Texten der „natürlichen Tochter", des „Elpenor". der „Lehrjahre", „Wahlverwandtschaften", „Wanderjahre", „guten Frauen", „Briefen aus der Schweiz", „Dichtung und Wahrheit". Durch dieses Feststellen der unterscheidenden Textbeschaffcnheit der Ausgaben, Herkunft und Filiation ihrer Verderbnisse, welches nur einer durch alle Auf¬ lagen sich wiederholenden Lesung mit unermüdlicher Aufmerksamkeit und com- binirenden Geiste gelingen konnte, hat Bernays die äußere Fundamentalkritik des Goethetextes erst geschaffen. Ohne diese blieb jede Behandlung, die seine Echtheit.und Reinheit bewahren will, bei jedem Anstoße, der nicht zu den hand¬ greiflichen Druckfehlern gehört, auf Conjecturalkrittk beschränkt. Nach Vollen¬ dung aber dieser Fundamentalkritik hat die innere historischen Boden, und wird ihre Anwendung spruchreif. Schon von Anfang konnte diese äußere Kritik, die der innern in die Hand arbeitet, ihr grundlegendes Geschäft nicht ohne die letztere machen, ihren Merk¬ malen und Schlußgliedern die Beweiskraft nicht geben ohne gebildete Vertraut¬ heit nicht nur mit Sprache und Poesie im Allgemeinen, sondern mit der eigen¬ thümlichen dieses Schriftstellers und der besondern der einzelnen kritischen Stelle. Es ist daher auch bei Bernays jede der ausgewählten problematischen Lesarten, durch die er eine Ausgabe charakterisiert, aus solcher Kenntniß der Dichtersprache und Fühlung des Zusammenhangs beurtheilt, und die Richtigkeit der von ihm entwickelten kritischen Textgeschichte wird eben darum einleuchtend und über¬ zeugend, weil er die eingedrungenen Lesarten nicht allein als Abweisungen von jenen der Erstausgaben, sondern auch als den Sinn ve>fehlend, den Aus¬ druck störend oder der Weise des Dichters weniger gemäß, mit einer tüchtigen innern Kritik darthut. Wer diesen Besprechungen von mehr als hundert ein¬ zelnen Stellen aus den verschiedenen Dramen, Romanen, darstellenden Schriften Goethes und den Erörterungen der echten Schreibung gefolgt ist, der wird auch sehr bestimmt empfinden, daß die Unterschiede, um die es sich hier handelt, wie klein immer nach dem Betrage der Lettern, für den Eindruck der Werke und den Genuß der Poesie von ganz wesentlichem Belange sind. Es ist also ein entschiedenes Verdienst um unsere Literatur, um den großen Dichter, um die Reinheit des Vermächtnisses, das die Nation a» seinen Werken hat, was eine ehrliche Anzeige von dieser instructiven Schrift des jungen philo¬ logischen Meisters melden kann und muß. Das zweite von gleich allgemeinem Interesse, was ein sachgemäßer Bericht hervorzuheben hat, ist die erfreuliche Thatsache, daß dieser Unterricht über Zustand und Herstellung des Goethetextes >>ur Probe und Reckenschaft einer Kritik ist, welche Bernays in dieser metho¬ dischen Strenge und Sinnesfeinheit bereits an einer ganzen Reihe von Werken 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/111>, abgerufen am 22.07.2024.