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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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bei der Empfehlung älterer und Erfindung neuerer Allegorien vielfach nicht treu ge¬
blieben, da er als die drei Erfordernisse einer guten Allegorie Einfalt, Deutlichkeit
und Lieblichkeit aufstellt, diese Eigenschaften aber nur den wenigsten seiner Allegorien
beigelegt werden können. In seiner Eistlingsschrift hatte er von der Allegorie
auch noch gerühmt, sie sei desto besser, je unerwarteter sie auftrete, je ver¬
borgener sie sei. "Sie ist wie eine unter Blättern und Zweigen versteckte
Frucht, welche desto angenehmer ist, je unvermutheter man sie findet." Dieses
Verlangen hat er später aufgegeben, sicherlich mit Neckt, da es sich mit der
Forderung der Einfachheit und Deutlichkeit nicht wohl vereinigt. "Liegt
nämlich," wie Justi treffend bemerkt, "der Reiz der Allegorie in der Aufdeckung
eines Verborgenen, in dem Vergnügen der Jagd, nach Addisons Ausdruck, so
wäre die Verborgenheit das Maß ihrer Vollkommenheit. Ist dagegen das
Kriterium ihrer Güte das wahre Verhältniß des Bezeichneten zum Zeichen, so
wäre sie am vollkommensten, wenn das Bild aufhörte bloßes Zeichen zu sein,
damit hörte aber auch die Allegorie auf. Da Piles verlangte, und viele sind
ihm beigetreten, daß nur autorisirte Allegorien gestattet werden dürften, denn
neu erfundene Allegorien sind Räthsel; aber gibt es etwas langweiligeres als
längst ausgeschlossene Räthsel?"

Winckelmann bestimmte sein Werk vorzugsweise für Künstler, er wollte also
durch dasselbe auf die lebende Kunst einwirken. Sein Herausgeber scheint sich
von dem neuen Abdrucke Aehnliches zu versprechen, denn er meint, es werde
"nicht wohl ein Künstler das Büchlein durchblättern, ohne sich durch die eine
ober andere Andeutung ahnungsreich angeregt und gehoben zu fühlen, um zu¬
letzt die Ueberzeugung zu gewinnen, daß die Wesenheit eines zu bildenden Kunst¬
werks hinter der leiblichen Seite der Farben- und Formenpracht zu suchen ist."
Dazu ist jede andre Schrift Winckelmanns besser geeignet; möge vielmehr Gott
unsre heutigen Künstler in Gnaden davor bewahren sich durch dies Buch auf
Abwege verlocken und zu den mehr und mehr verlassenen Bahnen der Allegori-
siererei zurückführen zu lassen, welche für uns noch viel ungeeigneter ist als
für das Alterthum, weil uns alle jene Begriffe und Abstractionen weit un-
lebmbiger und schwerer verständlich sind, als den überall personificirenden, für
Symbole und Andeutungen viel zugänglicheren Alten. Es ist aber auch wohl
kaum eine ernstliche Gefahr, daß das neu abgedruckte Buch einen solchen Ein¬
fluß gewinne. Denn auch in der Form der Darstellung steht es weit hinter
Winckelmanns andern Werken zurück, wie das selbst von seinen Freunden sofort
nach dem Erscheinen des Buches empfunden und von Winckelmann nur mangel¬
haft durch die Bemerkung gerechtfertigt ward, ein Lehrbuch müsse so sein, kurz
und einfach. Nur selten zeigt sich jener hohe pathetische Schwung, welcher ein
so hervorstechendes Merkmal des winckelmannschen Stils ist. Eben aus diesem
Grunde ist aber der neue Abdruck grade dieser Schrift fast zu bedauern. Sie


bei der Empfehlung älterer und Erfindung neuerer Allegorien vielfach nicht treu ge¬
blieben, da er als die drei Erfordernisse einer guten Allegorie Einfalt, Deutlichkeit
und Lieblichkeit aufstellt, diese Eigenschaften aber nur den wenigsten seiner Allegorien
beigelegt werden können. In seiner Eistlingsschrift hatte er von der Allegorie
auch noch gerühmt, sie sei desto besser, je unerwarteter sie auftrete, je ver¬
borgener sie sei. „Sie ist wie eine unter Blättern und Zweigen versteckte
Frucht, welche desto angenehmer ist, je unvermutheter man sie findet." Dieses
Verlangen hat er später aufgegeben, sicherlich mit Neckt, da es sich mit der
Forderung der Einfachheit und Deutlichkeit nicht wohl vereinigt. „Liegt
nämlich," wie Justi treffend bemerkt, „der Reiz der Allegorie in der Aufdeckung
eines Verborgenen, in dem Vergnügen der Jagd, nach Addisons Ausdruck, so
wäre die Verborgenheit das Maß ihrer Vollkommenheit. Ist dagegen das
Kriterium ihrer Güte das wahre Verhältniß des Bezeichneten zum Zeichen, so
wäre sie am vollkommensten, wenn das Bild aufhörte bloßes Zeichen zu sein,
damit hörte aber auch die Allegorie auf. Da Piles verlangte, und viele sind
ihm beigetreten, daß nur autorisirte Allegorien gestattet werden dürften, denn
neu erfundene Allegorien sind Räthsel; aber gibt es etwas langweiligeres als
längst ausgeschlossene Räthsel?"

Winckelmann bestimmte sein Werk vorzugsweise für Künstler, er wollte also
durch dasselbe auf die lebende Kunst einwirken. Sein Herausgeber scheint sich
von dem neuen Abdrucke Aehnliches zu versprechen, denn er meint, es werde
„nicht wohl ein Künstler das Büchlein durchblättern, ohne sich durch die eine
ober andere Andeutung ahnungsreich angeregt und gehoben zu fühlen, um zu¬
letzt die Ueberzeugung zu gewinnen, daß die Wesenheit eines zu bildenden Kunst¬
werks hinter der leiblichen Seite der Farben- und Formenpracht zu suchen ist."
Dazu ist jede andre Schrift Winckelmanns besser geeignet; möge vielmehr Gott
unsre heutigen Künstler in Gnaden davor bewahren sich durch dies Buch auf
Abwege verlocken und zu den mehr und mehr verlassenen Bahnen der Allegori-
siererei zurückführen zu lassen, welche für uns noch viel ungeeigneter ist als
für das Alterthum, weil uns alle jene Begriffe und Abstractionen weit un-
lebmbiger und schwerer verständlich sind, als den überall personificirenden, für
Symbole und Andeutungen viel zugänglicheren Alten. Es ist aber auch wohl
kaum eine ernstliche Gefahr, daß das neu abgedruckte Buch einen solchen Ein¬
fluß gewinne. Denn auch in der Form der Darstellung steht es weit hinter
Winckelmanns andern Werken zurück, wie das selbst von seinen Freunden sofort
nach dem Erscheinen des Buches empfunden und von Winckelmann nur mangel¬
haft durch die Bemerkung gerechtfertigt ward, ein Lehrbuch müsse so sein, kurz
und einfach. Nur selten zeigt sich jener hohe pathetische Schwung, welcher ein
so hervorstechendes Merkmal des winckelmannschen Stils ist. Eben aus diesem
Grunde ist aber der neue Abdruck grade dieser Schrift fast zu bedauern. Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/512>, abgerufen am 15.01.2025.