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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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höchst wunderliche mündliche Urtheile Wielands über Goethe entnehmen -- da
wir es vorliegenden Falls aber nur mit den Verhältnissen zu thun haben, die
zum Verständniß der nachstehenden Briefe nothwendig sind, übergehen wir die¬
selben, um uns zunächst Böttiger zuzuwenden, jenem literarischen Allerweltsmann,
der Goethe manche peinliche Stunde bereitet und den dieser gelegentlich in einer
Zornaufwallung den "gründlichsten Schuften" zugezählt hat.

Der erste der vorstehenden böttigerschen Briefe bedarf des Commentars
nicht, da er sich auf eine Schilderung des Weimarer Lebens im I. 1798 be¬
schränkt, welche durch ihre Mittheilungen über die Vorbereitungen zu Schillers
Piccolomini und den bekannten fichteschen Proceß von Interesse ist. Die übrigen
Briefe wimmeln von Feindseligkeiten gegen Goethe, Schiller und die Romantiker,
welche für den damaligen literarischen Geschmack um so bezeichnender sind, als der
Briefsteller sich wiederholt auf Herders, Wielands und der Herzogin Amalie
Uebereinstimmung mit seinen Ansichten beruft. Die merkelschen Briefe, von
welchen die Rede ist und denen reiches Lob gespendet wird, sind jene "Briefe an
ein Frauenzimmer", in welchen Merkel über die neuesten Erzeugnisse der schönen
Literatur Rundschau hielt und welche die an Wahnsinn streifenden Urtheile über
Schiller und Goethe enthielten, durch welche der Autor sich bei der Nachwelt
verfehmte, die aber ihrer Zeit Beifall und Theilnahme in den weitesten Kreisen
fanden. Der "Brockentraum" war eine freche Parodie auf Goethe, deren
Merkel sich in späteren Jahren selbst schämte. Das Urtheil über die "Jungfrau
von Orleans", dem nachgerühmt wird, es habe in den höchsten Kreisen Weimars
-.Sensation" gemacht, tadelte u. a., daß jenes Stück nicht eine, sondern drei
Katastrophen enthalte, daß die Scene zwischen Johanna und Montgomerv der
Ilias gestohlen und in ihrer Ausführung "höchst widerlich" sei; das Gespräch
mit Philipp von Burgund wird "blumenreiches Geschwätz", der dritte Act der
schlechteste, der Schluß "formier Theaterspectakcl" genannt u. s. w. und einzig
den lyrischen Schönheiten dieser ihrer "Märchenhaftigkeit" wegen "mißlungenen"
Dichtung Anerkennung gespendet. Was soll man endlich dazu sagen, wenn
Böttiger seinem kritisirenden Freunde, -- der Schiller vorzüglich wegen seiner
nahen Beziehungen zu Goethe wegen angriff -- den Vorwurf macht, den Wilhelm
Tell zu überschätzen, da diese Tragödie in Weimar allgemein als die "fehler¬
hafteste" Schöpfung des Dichters angesehen worden?

Diesen Urtheilen, welche Böttiger im Namen des großen Publikums und
teuer "alten" Schule sprach, deren erlöschender Einfluß in der Abneigung gegen
die Erben ihres Ruhms noch einmal ausflackern zu wollen schien, schließt sich
in der Folge auch Johannes Fakel an, derselbe, der nach dem Tode Wielands
w das Lager Goethes überging und nach dessen Tode das bekannte Buch "Goethe,
"As näherem persönlichem Umgang geschildert" schrieb. Was Merkel von diesem
Manne, der von seinen Zeitgenossen eine Zeit lang für den ersten deutschen


Grenzboten III- 1867- 64

höchst wunderliche mündliche Urtheile Wielands über Goethe entnehmen — da
wir es vorliegenden Falls aber nur mit den Verhältnissen zu thun haben, die
zum Verständniß der nachstehenden Briefe nothwendig sind, übergehen wir die¬
selben, um uns zunächst Böttiger zuzuwenden, jenem literarischen Allerweltsmann,
der Goethe manche peinliche Stunde bereitet und den dieser gelegentlich in einer
Zornaufwallung den „gründlichsten Schuften" zugezählt hat.

Der erste der vorstehenden böttigerschen Briefe bedarf des Commentars
nicht, da er sich auf eine Schilderung des Weimarer Lebens im I. 1798 be¬
schränkt, welche durch ihre Mittheilungen über die Vorbereitungen zu Schillers
Piccolomini und den bekannten fichteschen Proceß von Interesse ist. Die übrigen
Briefe wimmeln von Feindseligkeiten gegen Goethe, Schiller und die Romantiker,
welche für den damaligen literarischen Geschmack um so bezeichnender sind, als der
Briefsteller sich wiederholt auf Herders, Wielands und der Herzogin Amalie
Uebereinstimmung mit seinen Ansichten beruft. Die merkelschen Briefe, von
welchen die Rede ist und denen reiches Lob gespendet wird, sind jene „Briefe an
ein Frauenzimmer", in welchen Merkel über die neuesten Erzeugnisse der schönen
Literatur Rundschau hielt und welche die an Wahnsinn streifenden Urtheile über
Schiller und Goethe enthielten, durch welche der Autor sich bei der Nachwelt
verfehmte, die aber ihrer Zeit Beifall und Theilnahme in den weitesten Kreisen
fanden. Der „Brockentraum" war eine freche Parodie auf Goethe, deren
Merkel sich in späteren Jahren selbst schämte. Das Urtheil über die „Jungfrau
von Orleans", dem nachgerühmt wird, es habe in den höchsten Kreisen Weimars
-.Sensation" gemacht, tadelte u. a., daß jenes Stück nicht eine, sondern drei
Katastrophen enthalte, daß die Scene zwischen Johanna und Montgomerv der
Ilias gestohlen und in ihrer Ausführung „höchst widerlich" sei; das Gespräch
mit Philipp von Burgund wird „blumenreiches Geschwätz", der dritte Act der
schlechteste, der Schluß „formier Theaterspectakcl" genannt u. s. w. und einzig
den lyrischen Schönheiten dieser ihrer „Märchenhaftigkeit" wegen „mißlungenen"
Dichtung Anerkennung gespendet. Was soll man endlich dazu sagen, wenn
Böttiger seinem kritisirenden Freunde, — der Schiller vorzüglich wegen seiner
nahen Beziehungen zu Goethe wegen angriff — den Vorwurf macht, den Wilhelm
Tell zu überschätzen, da diese Tragödie in Weimar allgemein als die „fehler¬
hafteste" Schöpfung des Dichters angesehen worden?

Diesen Urtheilen, welche Böttiger im Namen des großen Publikums und
teuer „alten" Schule sprach, deren erlöschender Einfluß in der Abneigung gegen
die Erben ihres Ruhms noch einmal ausflackern zu wollen schien, schließt sich
in der Folge auch Johannes Fakel an, derselbe, der nach dem Tode Wielands
w das Lager Goethes überging und nach dessen Tode das bekannte Buch „Goethe,
"As näherem persönlichem Umgang geschildert" schrieb. Was Merkel von diesem
Manne, der von seinen Zeitgenossen eine Zeit lang für den ersten deutschen


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[0435] höchst wunderliche mündliche Urtheile Wielands über Goethe entnehmen — da wir es vorliegenden Falls aber nur mit den Verhältnissen zu thun haben, die zum Verständniß der nachstehenden Briefe nothwendig sind, übergehen wir die¬ selben, um uns zunächst Böttiger zuzuwenden, jenem literarischen Allerweltsmann, der Goethe manche peinliche Stunde bereitet und den dieser gelegentlich in einer Zornaufwallung den „gründlichsten Schuften" zugezählt hat. Der erste der vorstehenden böttigerschen Briefe bedarf des Commentars nicht, da er sich auf eine Schilderung des Weimarer Lebens im I. 1798 be¬ schränkt, welche durch ihre Mittheilungen über die Vorbereitungen zu Schillers Piccolomini und den bekannten fichteschen Proceß von Interesse ist. Die übrigen Briefe wimmeln von Feindseligkeiten gegen Goethe, Schiller und die Romantiker, welche für den damaligen literarischen Geschmack um so bezeichnender sind, als der Briefsteller sich wiederholt auf Herders, Wielands und der Herzogin Amalie Uebereinstimmung mit seinen Ansichten beruft. Die merkelschen Briefe, von welchen die Rede ist und denen reiches Lob gespendet wird, sind jene „Briefe an ein Frauenzimmer", in welchen Merkel über die neuesten Erzeugnisse der schönen Literatur Rundschau hielt und welche die an Wahnsinn streifenden Urtheile über Schiller und Goethe enthielten, durch welche der Autor sich bei der Nachwelt verfehmte, die aber ihrer Zeit Beifall und Theilnahme in den weitesten Kreisen fanden. Der „Brockentraum" war eine freche Parodie auf Goethe, deren Merkel sich in späteren Jahren selbst schämte. Das Urtheil über die „Jungfrau von Orleans", dem nachgerühmt wird, es habe in den höchsten Kreisen Weimars -.Sensation" gemacht, tadelte u. a., daß jenes Stück nicht eine, sondern drei Katastrophen enthalte, daß die Scene zwischen Johanna und Montgomerv der Ilias gestohlen und in ihrer Ausführung „höchst widerlich" sei; das Gespräch mit Philipp von Burgund wird „blumenreiches Geschwätz", der dritte Act der schlechteste, der Schluß „formier Theaterspectakcl" genannt u. s. w. und einzig den lyrischen Schönheiten dieser ihrer „Märchenhaftigkeit" wegen „mißlungenen" Dichtung Anerkennung gespendet. Was soll man endlich dazu sagen, wenn Böttiger seinem kritisirenden Freunde, — der Schiller vorzüglich wegen seiner nahen Beziehungen zu Goethe wegen angriff — den Vorwurf macht, den Wilhelm Tell zu überschätzen, da diese Tragödie in Weimar allgemein als die „fehler¬ hafteste" Schöpfung des Dichters angesehen worden? Diesen Urtheilen, welche Böttiger im Namen des großen Publikums und teuer „alten" Schule sprach, deren erlöschender Einfluß in der Abneigung gegen die Erben ihres Ruhms noch einmal ausflackern zu wollen schien, schließt sich in der Folge auch Johannes Fakel an, derselbe, der nach dem Tode Wielands w das Lager Goethes überging und nach dessen Tode das bekannte Buch „Goethe, "As näherem persönlichem Umgang geschildert" schrieb. Was Merkel von diesem Manne, der von seinen Zeitgenossen eine Zeit lang für den ersten deutschen Grenzboten III- 1867- 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/435>, abgerufen am 15.01.2025.