Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.leur aber mögen ihrer andächtigen Lesergemeinde mit doppeltem Schmerze ver¬ Hatte es vor den Ereignissen des vorigen Jahres bei uns nur wenige leur aber mögen ihrer andächtigen Lesergemeinde mit doppeltem Schmerze ver¬ Hatte es vor den Ereignissen des vorigen Jahres bei uns nur wenige <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191642"/> <p xml:id="ID_1191" prev="#ID_1190"> leur aber mögen ihrer andächtigen Lesergemeinde mit doppeltem Schmerze ver¬<lb/> künden, daß es nunmehr auch einem zweiten Waldecker gefallen habe, sein Vater¬<lb/> land (!) in den „Grenzboten" „an den Pranger zu stellen".</p><lb/> <p xml:id="ID_1192" next="#ID_1193"> Hatte es vor den Ereignissen des vorigen Jahres bei uns nur wenige<lb/> Männer gegeben, welche die Kleinstaaterei an sich als einen Fluch nicht allein<lb/> für das deutsche Vaterland, sondern auch für die Angehörigen der Kleinstaaten<lb/> selbst erkannten, und welche deshalb, mochten sie nun ihr specielles „engeres<lb/> Vaterland" für verhältnißmäßig gut oder für schlecht regiert halten, die Ein¬<lb/> verleibung desselben in Preußen, als das einzige wirksame Mittel zur Beseitigung<lb/> unserer politischen Krankheit, von Herzen herbeiwünschten, so wurde die geringe<lb/> Zahl dieser „Annexionisten aus Princip" seit dem Kriege durch eine große Schaar<lb/> von Annexionisten aus Zweckmäßigkeitsgründen verstärkt. Allmcilig nämlich<lb/> machte sich im Lande die Einsicht geltend, daß die einstweilige Ermäßigung<lb/> der durch die norddeutsche Bundesverfassung aufgelegten Lasten, wie dieselbe<lb/> anderen Kleinstaaten gewährt war, die Einverleibung Waldecks in Preußen<lb/> doch nur auf kurze Zeit verschieben könne, daß es daher besser sei, dieselbe so¬<lb/> fort zu vollziehen, als vorher noch einige Jahre durch eine aufsaugende Auf¬<lb/> bietung aller finanziellen Kräfte eine scheinbare Selbständigkeit zu retten. —<lb/> So hoffte man denn, als der Fürst im Frühjahr dieses Jahres in geheime Un¬<lb/> terhandlungen mit Preußen trat, daß dieselben zur unmittelbaren Annexion<lb/> führen würden. Aus guter Quelle verlautet auch, daß der Fürst wirklich der<lb/> preußischen Regierung die Abtretung seiner Souveränetätsrechte angeboten have.<lb/> daß das Anerbieten jedoch zurückgewiesen sei, einestheils, weil der Fürst eine<lb/> zu hohe Entschädigungsfordcrung gestellt, anderntheils, weil Preußen für jetzt<lb/> kein Interesse an einer derartigen Erwerbung habe. Die Kleinstaaterei sollte<lb/> den Becher der Lächerlichkeit bis auf die Hefen leeren: ein Fürst und Volk,<lb/> welche sich vergebens bemühen, ihre Souveränetät und Sonderexistenz — los<lb/> zu werden! — Die Besorgniß vor dem mit Annexionen verbundenen Odium<lb/> brauchte aber Preußen von der Einverleibung Waldecks nicht abzuschrecken;<lb/> Landtag und Volk würden, wenn nicht einstimmig, doch mit überwiegender Ma¬<lb/> jorität erklärt haben, daß sie dem Anschluß an Preußen nicht mit Widerwillen,<lb/> sondern mit Freuden entgegensähen. Auf Verlangen würde gewiß auch der<lb/> Fürst kundgegeben haben, daß er keineswegs gezwungen, sondern freiwillig, aus<lb/> deutsch-patriotischen Rücksichten das Opfer seiner Souveränetät bringe. Und<lb/> wer hätte dann Preußen wegen seines Zugreifens einen Vorwurf machen kön¬<lb/> nen? — Der wirkliche Grund, welcher diese Macht zur Ablehnung bewog,<lb/> wird wohl der gewesen sein, daß sie sich die Stimme Waldecks im Bundesrathe<lb/> sichern wollte. Es fehlt in der Bundesverfassung an einer Bestimmung, wo¬<lb/> nach durch die Vereinigung eines Bundesstaats mit einem andern die Stimme des<lb/> ersteren auf den letzteren übergeht; die Stimme des bestehen bleibenden Waldeck</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0412]
leur aber mögen ihrer andächtigen Lesergemeinde mit doppeltem Schmerze ver¬
künden, daß es nunmehr auch einem zweiten Waldecker gefallen habe, sein Vater¬
land (!) in den „Grenzboten" „an den Pranger zu stellen".
Hatte es vor den Ereignissen des vorigen Jahres bei uns nur wenige
Männer gegeben, welche die Kleinstaaterei an sich als einen Fluch nicht allein
für das deutsche Vaterland, sondern auch für die Angehörigen der Kleinstaaten
selbst erkannten, und welche deshalb, mochten sie nun ihr specielles „engeres
Vaterland" für verhältnißmäßig gut oder für schlecht regiert halten, die Ein¬
verleibung desselben in Preußen, als das einzige wirksame Mittel zur Beseitigung
unserer politischen Krankheit, von Herzen herbeiwünschten, so wurde die geringe
Zahl dieser „Annexionisten aus Princip" seit dem Kriege durch eine große Schaar
von Annexionisten aus Zweckmäßigkeitsgründen verstärkt. Allmcilig nämlich
machte sich im Lande die Einsicht geltend, daß die einstweilige Ermäßigung
der durch die norddeutsche Bundesverfassung aufgelegten Lasten, wie dieselbe
anderen Kleinstaaten gewährt war, die Einverleibung Waldecks in Preußen
doch nur auf kurze Zeit verschieben könne, daß es daher besser sei, dieselbe so¬
fort zu vollziehen, als vorher noch einige Jahre durch eine aufsaugende Auf¬
bietung aller finanziellen Kräfte eine scheinbare Selbständigkeit zu retten. —
So hoffte man denn, als der Fürst im Frühjahr dieses Jahres in geheime Un¬
terhandlungen mit Preußen trat, daß dieselben zur unmittelbaren Annexion
führen würden. Aus guter Quelle verlautet auch, daß der Fürst wirklich der
preußischen Regierung die Abtretung seiner Souveränetätsrechte angeboten have.
daß das Anerbieten jedoch zurückgewiesen sei, einestheils, weil der Fürst eine
zu hohe Entschädigungsfordcrung gestellt, anderntheils, weil Preußen für jetzt
kein Interesse an einer derartigen Erwerbung habe. Die Kleinstaaterei sollte
den Becher der Lächerlichkeit bis auf die Hefen leeren: ein Fürst und Volk,
welche sich vergebens bemühen, ihre Souveränetät und Sonderexistenz — los
zu werden! — Die Besorgniß vor dem mit Annexionen verbundenen Odium
brauchte aber Preußen von der Einverleibung Waldecks nicht abzuschrecken;
Landtag und Volk würden, wenn nicht einstimmig, doch mit überwiegender Ma¬
jorität erklärt haben, daß sie dem Anschluß an Preußen nicht mit Widerwillen,
sondern mit Freuden entgegensähen. Auf Verlangen würde gewiß auch der
Fürst kundgegeben haben, daß er keineswegs gezwungen, sondern freiwillig, aus
deutsch-patriotischen Rücksichten das Opfer seiner Souveränetät bringe. Und
wer hätte dann Preußen wegen seines Zugreifens einen Vorwurf machen kön¬
nen? — Der wirkliche Grund, welcher diese Macht zur Ablehnung bewog,
wird wohl der gewesen sein, daß sie sich die Stimme Waldecks im Bundesrathe
sichern wollte. Es fehlt in der Bundesverfassung an einer Bestimmung, wo¬
nach durch die Vereinigung eines Bundesstaats mit einem andern die Stimme des
ersteren auf den letzteren übergeht; die Stimme des bestehen bleibenden Waldeck
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