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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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gestanden und brachte aus der andern Hütte eingemachte Waldbeeren und Mis-
peln und Winteräpfel und edle vollsaftige Weintrauben und setzte sie auf den
Tisch, nachdem sie mit Blättern die Fleischreste weggewischt und Farrenkraut darüber
gelegt hatte. Da kamen auch die Söhne und brachten unter Scherz und Ge¬
lächter das Schwein herbei, mit ihnen die Mutter des Jünglings und zwei
kleine Brüder; die trugen frisches Brod und gekochte Eier auf Holztellern und
gedörrte Kichererbsen. Die Frau begrüßte ihren Bruder und die Nichte, setzte
sich dann zu ihrem Mann und sagte: Sieh, da ist das Opferthier, was dieser seit
langer Zeit zur Hochzeit gemästet hat, Brod und Kuchenmehl ist auch bereit, nur
etwas Wein werden wir vielleicht noch nöthig haben, und der ist leicht aus dem
Dorfe zu haben. Der Sohn stand neben ihr und sah den Schwiegervater an.
der lächelnd sagte: Der hier ists, der Aufschub macht, vielleicht will er das
Schwein noch fetter machen. Aber das will ja schon in seinem Fett ersticken,
rief der Jüngling. Ich wollte ihm zu Hilfe kommen und sagte: Gebt nur
Acht, daß nicht der euch abmagert, während das Schwein fett wird. Der Fremde
hat ganz recht, sagte die Mutter, er ist ja ganz abgefallen, neulich habe ich auch
beobachtet, daß er Nachts wachte und vor die Thür ging. Die Hunde bellten,
fagte er, und ich ging hinaus um nachzusehen. Nicht doch, erwiederte sie,
du gingst dort unruhig hin und her; wir wollen ihn aber doch nicht länger sich
abhärmen lassen. Damit umarmte und küßte sie die Mutter des Mädchens, die
sich an ihren Mann wandte und sagte: Laß uns nach ihrem Wunsch thun.
So wurde es denn beschlossen, daß am dritten Tage die Hochzeit sein sollte.
Ja sie luden mich ein bis zu dem Tage zu bleiben, was ich denn auch mit
Vergnügen that. --

Es ist nicht nöthig die ethische Betrachtung, welche Dio hier anspinnt, weiter
zu verfolgen. Er sucht zunächst zu beweisen, daß Arme freigebiger und
hilfreicher zu sein Pflegen als Reiche, wozu Homer ihm die Belege liefern muß,
dessen Gedichte diesen Schriftstellern häufig als Texte zu Homilien dienen.
Dann wendet er sich zu der Frage, wie in den überfüllten großen Städten, wo
alles theuer bezahlt werden muß, den arbeitenden Classen, "welche kein anderes
Capital besitzen als ihre Arbeitskraft", geholfen werden könne. Es wäre von
großem Interesse, diese brennende sociale Frage von einem Manne discutiren
zu hören, der mit praktischen Lebenserfahrungen und eigner Kenntniß der ver¬
schiedensten Schichten der Bevölkerung an dieselbe herantritt, aber Dio ist kein
Schulze-Delitzsch und man darf keine eingreifenden praktischen Vorschläge erwarten.
Sein Vortrag läuft im Wesentlichen daraus hinaus, daß Armuth kein Uebel,
Arbeiten keine Schande sei, und daß wer ernstlich arbeiten wolle, auch Arbeit
finde. Er ist sogar so unpraktisch, seinen Armen nicht allein die Arbeit zu ver¬
bieten, an welcher ein sittlicher Makel haftet, sonder" auch die, welche dem
Luxus dient.


gestanden und brachte aus der andern Hütte eingemachte Waldbeeren und Mis-
peln und Winteräpfel und edle vollsaftige Weintrauben und setzte sie auf den
Tisch, nachdem sie mit Blättern die Fleischreste weggewischt und Farrenkraut darüber
gelegt hatte. Da kamen auch die Söhne und brachten unter Scherz und Ge¬
lächter das Schwein herbei, mit ihnen die Mutter des Jünglings und zwei
kleine Brüder; die trugen frisches Brod und gekochte Eier auf Holztellern und
gedörrte Kichererbsen. Die Frau begrüßte ihren Bruder und die Nichte, setzte
sich dann zu ihrem Mann und sagte: Sieh, da ist das Opferthier, was dieser seit
langer Zeit zur Hochzeit gemästet hat, Brod und Kuchenmehl ist auch bereit, nur
etwas Wein werden wir vielleicht noch nöthig haben, und der ist leicht aus dem
Dorfe zu haben. Der Sohn stand neben ihr und sah den Schwiegervater an.
der lächelnd sagte: Der hier ists, der Aufschub macht, vielleicht will er das
Schwein noch fetter machen. Aber das will ja schon in seinem Fett ersticken,
rief der Jüngling. Ich wollte ihm zu Hilfe kommen und sagte: Gebt nur
Acht, daß nicht der euch abmagert, während das Schwein fett wird. Der Fremde
hat ganz recht, sagte die Mutter, er ist ja ganz abgefallen, neulich habe ich auch
beobachtet, daß er Nachts wachte und vor die Thür ging. Die Hunde bellten,
fagte er, und ich ging hinaus um nachzusehen. Nicht doch, erwiederte sie,
du gingst dort unruhig hin und her; wir wollen ihn aber doch nicht länger sich
abhärmen lassen. Damit umarmte und küßte sie die Mutter des Mädchens, die
sich an ihren Mann wandte und sagte: Laß uns nach ihrem Wunsch thun.
So wurde es denn beschlossen, daß am dritten Tage die Hochzeit sein sollte.
Ja sie luden mich ein bis zu dem Tage zu bleiben, was ich denn auch mit
Vergnügen that. —

Es ist nicht nöthig die ethische Betrachtung, welche Dio hier anspinnt, weiter
zu verfolgen. Er sucht zunächst zu beweisen, daß Arme freigebiger und
hilfreicher zu sein Pflegen als Reiche, wozu Homer ihm die Belege liefern muß,
dessen Gedichte diesen Schriftstellern häufig als Texte zu Homilien dienen.
Dann wendet er sich zu der Frage, wie in den überfüllten großen Städten, wo
alles theuer bezahlt werden muß, den arbeitenden Classen, „welche kein anderes
Capital besitzen als ihre Arbeitskraft", geholfen werden könne. Es wäre von
großem Interesse, diese brennende sociale Frage von einem Manne discutiren
zu hören, der mit praktischen Lebenserfahrungen und eigner Kenntniß der ver¬
schiedensten Schichten der Bevölkerung an dieselbe herantritt, aber Dio ist kein
Schulze-Delitzsch und man darf keine eingreifenden praktischen Vorschläge erwarten.
Sein Vortrag läuft im Wesentlichen daraus hinaus, daß Armuth kein Uebel,
Arbeiten keine Schande sei, und daß wer ernstlich arbeiten wolle, auch Arbeit
finde. Er ist sogar so unpraktisch, seinen Armen nicht allein die Arbeit zu ver¬
bieten, an welcher ein sittlicher Makel haftet, sonder» auch die, welche dem
Luxus dient.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/386>, abgerufen am 15.01.2025.