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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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chen Fortschritte der russischen Diplomatie, denen die Haltlosigkeit, Unklarheit
und Kleinlichkeit der Westmächte vergeblichen Widerstand zu leisten bemüht ist.
Die zum Zweck der Beschränkung des russischen Einflusses in Griechenland mit der
nordischen Großmacht geschlossene englisch-französische Alliance wächst den bei¬
den türkenfreundlichcn Staaten so rasch über den Kopf, daß diese die gefürchtete
Katastrophe beschleunigen statt sie zu hemmen, dem russischen Siegeszug nach
Adrianopel selbst die Wege bahnen und beim Abschluß des Friedens ihren
Credit bei den Staatsmännern im Orient so tief heruntergebracht haben, daß
diesen der stolze Sieger im Norden mehr Vertrauen einflößt, als die unzuver¬
lässige Bundesgenossenschaft des Westens. Rußlands energisches Einschreiten
gegen die durch den ägyptischen Bicckönig bedrohte Sicherheit der türkischen Haupt¬
stadt vollendet dann das Werk der russischen Präponderanz im Orient, welche die
verhängnißvollste Erbschaft bildet, die Abdul-Medschid aus der Regierungszeit
seines Vaters übernimmt; zu dem Einfluß, welchen Nikolaus als Schutzherr
Rumäniens und Serbiens und als stets unbefriedigter türkischer Staatsgläubiger
bereits ausübte, gesellte sich 1833 der moralische Eindruck, den das Erscheinen
der russischen Truppen am Bosporus und die Sendung Orloffs auf die Be¬
völkerung ausüben mußten und nur die in die letzten Lebensjahre Machmuds
fallende Annäherung Englands an das Petersburger Cabinet setzt den durch
directe und indirecte Unterstützung Frankreichs maßlos gesteigerten Ansprüchen,
mit welchen Mehemed Alis rebellischer Sinn in der zweiten Hälfte der dreißiger
Jahre hervorgetreten war, Schranken. -- Eine interessante Episode in der Ge¬
schichte dieser letzten fünfzehn Jahre der Negierung Machmuds bilden die Be¬
richte über die militärisch-rcorganisatorische Thätigkeit Moltkes und der übrigen
Offiziere des preußischen Generalstabs, welche durch Vermittelung des Grafen
Königsmark zum Eintritt in türkische Dienste veranlaßt worden waren, nachdem
ti,e Eifersucht Rußlands und der Seemächte den Wunsch des Sultans, euro¬
päische Jnstructeurc zu gewinnen, Jahre lang unerfüllt gelassen und die ange¬
knüpften Verbindungen mit militärischen Autoritäten anderer Staaten immer
wieder aufgelöst hatten; als Berather des störrischen und einsichtslosen Seraskiers
Hafiz Pascha sehen wir den genialen Schöpfer des Operation^planch von 18V6 in
dem zweiten Feldzuge gegen Ibrahim (1839) seine ersten taktischen Sporen verdienen.

Von den zweihundert und fünfzig Seiten, welche den referirenden Theil
des zweiten Bandes bilden, behandelt der überwiegend größere Theil die diplo¬
matische und politische Geschichte von 1839 bis zum Bruch mit Rußland und
dem Ausbruch des orientalischen Krieges. Die Ansprüche, mit denen Nikolaus 1853
hervortritt, erscheinen als Resultate der vorhergegangenen Entwickelung und des
Einflusses, den Rußland seit den Erschütterungen des Jahres 1848 ebenso im
europäischen Westen, wie vorher im Osten gewonnen hatte. Alle Einzelheiten
des vielgewundcnen Ganges der Ereignisse, welche mit der Stipulation von


chen Fortschritte der russischen Diplomatie, denen die Haltlosigkeit, Unklarheit
und Kleinlichkeit der Westmächte vergeblichen Widerstand zu leisten bemüht ist.
Die zum Zweck der Beschränkung des russischen Einflusses in Griechenland mit der
nordischen Großmacht geschlossene englisch-französische Alliance wächst den bei¬
den türkenfreundlichcn Staaten so rasch über den Kopf, daß diese die gefürchtete
Katastrophe beschleunigen statt sie zu hemmen, dem russischen Siegeszug nach
Adrianopel selbst die Wege bahnen und beim Abschluß des Friedens ihren
Credit bei den Staatsmännern im Orient so tief heruntergebracht haben, daß
diesen der stolze Sieger im Norden mehr Vertrauen einflößt, als die unzuver¬
lässige Bundesgenossenschaft des Westens. Rußlands energisches Einschreiten
gegen die durch den ägyptischen Bicckönig bedrohte Sicherheit der türkischen Haupt¬
stadt vollendet dann das Werk der russischen Präponderanz im Orient, welche die
verhängnißvollste Erbschaft bildet, die Abdul-Medschid aus der Regierungszeit
seines Vaters übernimmt; zu dem Einfluß, welchen Nikolaus als Schutzherr
Rumäniens und Serbiens und als stets unbefriedigter türkischer Staatsgläubiger
bereits ausübte, gesellte sich 1833 der moralische Eindruck, den das Erscheinen
der russischen Truppen am Bosporus und die Sendung Orloffs auf die Be¬
völkerung ausüben mußten und nur die in die letzten Lebensjahre Machmuds
fallende Annäherung Englands an das Petersburger Cabinet setzt den durch
directe und indirecte Unterstützung Frankreichs maßlos gesteigerten Ansprüchen,
mit welchen Mehemed Alis rebellischer Sinn in der zweiten Hälfte der dreißiger
Jahre hervorgetreten war, Schranken. — Eine interessante Episode in der Ge¬
schichte dieser letzten fünfzehn Jahre der Negierung Machmuds bilden die Be¬
richte über die militärisch-rcorganisatorische Thätigkeit Moltkes und der übrigen
Offiziere des preußischen Generalstabs, welche durch Vermittelung des Grafen
Königsmark zum Eintritt in türkische Dienste veranlaßt worden waren, nachdem
ti,e Eifersucht Rußlands und der Seemächte den Wunsch des Sultans, euro¬
päische Jnstructeurc zu gewinnen, Jahre lang unerfüllt gelassen und die ange¬
knüpften Verbindungen mit militärischen Autoritäten anderer Staaten immer
wieder aufgelöst hatten; als Berather des störrischen und einsichtslosen Seraskiers
Hafiz Pascha sehen wir den genialen Schöpfer des Operation^planch von 18V6 in
dem zweiten Feldzuge gegen Ibrahim (1839) seine ersten taktischen Sporen verdienen.

Von den zweihundert und fünfzig Seiten, welche den referirenden Theil
des zweiten Bandes bilden, behandelt der überwiegend größere Theil die diplo¬
matische und politische Geschichte von 1839 bis zum Bruch mit Rußland und
dem Ausbruch des orientalischen Krieges. Die Ansprüche, mit denen Nikolaus 1853
hervortritt, erscheinen als Resultate der vorhergegangenen Entwickelung und des
Einflusses, den Rußland seit den Erschütterungen des Jahres 1848 ebenso im
europäischen Westen, wie vorher im Osten gewonnen hatte. Alle Einzelheiten
des vielgewundcnen Ganges der Ereignisse, welche mit der Stipulation von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/33>, abgerufen am 15.01.2025.