Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bilder dünkten und ohne Zweifel unendlich weit über unserer bisherigen klein-
staatlichen Bureaukratie standen.

Freilich giebt es auch welche, die da glauben, dieselbe Jagdeimichiung, die
in Pommern gut ist, passe auch für uns. Und doch ist unsere Agrarverfassung
das directe Gegentheil der dortigen; und was hierin für das Pommerland gut
ist, das paßt durchaus nicht für das fränkische Rheinland.

Doch sprechen wir nicht von Personen, sondern von Einrichtungen! Meiner
Meinung nach wären Proconsulatc besser gewesen. Denn viele Koche verderben den
Brei. An der Spitze der jetzige Bundeskanzler, unter ihm vier tüchtige Pro-
cvnsuln, --die hätten uns mit einheitlicher und sicherer Hand durch das Ueber¬
gangsstadium fest und allmälig. schonend und sicher, durchgeführt und schnell
aus den verworrenen Fäden ein einheitliches Gewebe hergestellt, während jetzt
an jedem Ende eines jeden Fadens ein anderer Geheimrath zerrt und zupft.

Wir sind genügsame Leute und machen gar keinen Anspruch auf eine so
zuvorkommende und aufmerksame Behandlung. Wenn wir einen Wunsch haben,
dann wollen wirs sagen; und wenn wir krank sind, wollen wir klagen.

Aber daß, auch wenn wir nicht klagen, jeden Tag ein neuer Arzt kommt,
und oft sogar mehre an einem Tage, von welchen uns der erste eine inner¬
liche Arznei, der zweite eine geistliche Salbung, der dritte ein ländliches
Pflaster applicirt, das ist des Guten doch vielleicht etwas zu viel und kann
auch die beste Constitution verderben.

Man meint wirklich manchmal, wir lebten noch in den neunziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts. Da kamen die Civilcommissäre des Wohlfahrts¬
ausschusses aus Frankreich zu uns; und jeder brachte ein Dutzend neuer Ver¬
ordnungen mit.----Damit wollen wir nicht bestreiten, daß in Finanz-

und Militärsachen die Gleichförmigkeit absolut nöthig sei. Aber im Uebrigen
soll man uns gütigst ein wenig Zeit lassen; wenn man so lange in dem engen
Futteral der Kleinstaaterei eingeschachtelt gelegen hat, will die "affenartige Ge¬
schwindigkeit" erst noch erlernt sein.

Lassen Sie mich jetzt noch ein Wort über die lokale und provinzielle Ver¬
waltung sprechen.

Wie ich in meinem zweiten Briefe versucht habe, meine Auffassung der
Volks- oder Beobachter-Partei in Württemberg durch Uebersetzung einer Stelle
aus einer der Philippiken des Demosthenes klar zu machen, so mochte ich hin¬
sichtlich der in den annectirten Provinzen zu beobachtenden administrativen
Technik und Taktik anknüpfen an einen Brief von Marcus Tullius Cicero, dem
großen Redner und Staatsmann, den Mommsen (in seiner "römischen Geschichte")
seines Ansehns zu entkleiden vergeblich bemüht ist.

Heutzutag gilt es zwar, wie ich neulich bei Herrn Schmidt-Weißenfels las,
für geschmacklos, sich auf einen dieser Classiker zu berufen. Ich finde jedoch,


bilder dünkten und ohne Zweifel unendlich weit über unserer bisherigen klein-
staatlichen Bureaukratie standen.

Freilich giebt es auch welche, die da glauben, dieselbe Jagdeimichiung, die
in Pommern gut ist, passe auch für uns. Und doch ist unsere Agrarverfassung
das directe Gegentheil der dortigen; und was hierin für das Pommerland gut
ist, das paßt durchaus nicht für das fränkische Rheinland.

Doch sprechen wir nicht von Personen, sondern von Einrichtungen! Meiner
Meinung nach wären Proconsulatc besser gewesen. Denn viele Koche verderben den
Brei. An der Spitze der jetzige Bundeskanzler, unter ihm vier tüchtige Pro-
cvnsuln, —die hätten uns mit einheitlicher und sicherer Hand durch das Ueber¬
gangsstadium fest und allmälig. schonend und sicher, durchgeführt und schnell
aus den verworrenen Fäden ein einheitliches Gewebe hergestellt, während jetzt
an jedem Ende eines jeden Fadens ein anderer Geheimrath zerrt und zupft.

Wir sind genügsame Leute und machen gar keinen Anspruch auf eine so
zuvorkommende und aufmerksame Behandlung. Wenn wir einen Wunsch haben,
dann wollen wirs sagen; und wenn wir krank sind, wollen wir klagen.

Aber daß, auch wenn wir nicht klagen, jeden Tag ein neuer Arzt kommt,
und oft sogar mehre an einem Tage, von welchen uns der erste eine inner¬
liche Arznei, der zweite eine geistliche Salbung, der dritte ein ländliches
Pflaster applicirt, das ist des Guten doch vielleicht etwas zu viel und kann
auch die beste Constitution verderben.

Man meint wirklich manchmal, wir lebten noch in den neunziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts. Da kamen die Civilcommissäre des Wohlfahrts¬
ausschusses aus Frankreich zu uns; und jeder brachte ein Dutzend neuer Ver¬
ordnungen mit.----Damit wollen wir nicht bestreiten, daß in Finanz-

und Militärsachen die Gleichförmigkeit absolut nöthig sei. Aber im Uebrigen
soll man uns gütigst ein wenig Zeit lassen; wenn man so lange in dem engen
Futteral der Kleinstaaterei eingeschachtelt gelegen hat, will die „affenartige Ge¬
schwindigkeit" erst noch erlernt sein.

Lassen Sie mich jetzt noch ein Wort über die lokale und provinzielle Ver¬
waltung sprechen.

Wie ich in meinem zweiten Briefe versucht habe, meine Auffassung der
Volks- oder Beobachter-Partei in Württemberg durch Uebersetzung einer Stelle
aus einer der Philippiken des Demosthenes klar zu machen, so mochte ich hin¬
sichtlich der in den annectirten Provinzen zu beobachtenden administrativen
Technik und Taktik anknüpfen an einen Brief von Marcus Tullius Cicero, dem
großen Redner und Staatsmann, den Mommsen (in seiner „römischen Geschichte")
seines Ansehns zu entkleiden vergeblich bemüht ist.

Heutzutag gilt es zwar, wie ich neulich bei Herrn Schmidt-Weißenfels las,
für geschmacklos, sich auf einen dieser Classiker zu berufen. Ich finde jedoch,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191472"/>
            <p xml:id="ID_710" prev="#ID_709"> bilder dünkten und ohne Zweifel unendlich weit über unserer bisherigen klein-<lb/>
staatlichen Bureaukratie standen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_711"> Freilich giebt es auch welche, die da glauben, dieselbe Jagdeimichiung, die<lb/>
in Pommern gut ist, passe auch für uns. Und doch ist unsere Agrarverfassung<lb/>
das directe Gegentheil der dortigen; und was hierin für das Pommerland gut<lb/>
ist, das paßt durchaus nicht für das fränkische Rheinland.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_712"> Doch sprechen wir nicht von Personen, sondern von Einrichtungen! Meiner<lb/>
Meinung nach wären Proconsulatc besser gewesen. Denn viele Koche verderben den<lb/>
Brei. An der Spitze der jetzige Bundeskanzler, unter ihm vier tüchtige Pro-<lb/>
cvnsuln, &#x2014;die hätten uns mit einheitlicher und sicherer Hand durch das Ueber¬<lb/>
gangsstadium fest und allmälig. schonend und sicher, durchgeführt und schnell<lb/>
aus den verworrenen Fäden ein einheitliches Gewebe hergestellt, während jetzt<lb/>
an jedem Ende eines jeden Fadens ein anderer Geheimrath zerrt und zupft.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_713"> Wir sind genügsame Leute und machen gar keinen Anspruch auf eine so<lb/>
zuvorkommende und aufmerksame Behandlung. Wenn wir einen Wunsch haben,<lb/>
dann wollen wirs sagen; und wenn wir krank sind, wollen wir klagen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_714"> Aber daß, auch wenn wir nicht klagen, jeden Tag ein neuer Arzt kommt,<lb/>
und oft sogar mehre an einem Tage, von welchen uns der erste eine inner¬<lb/>
liche Arznei, der zweite eine geistliche Salbung, der dritte ein ländliches<lb/>
Pflaster applicirt, das ist des Guten doch vielleicht etwas zu viel und kann<lb/>
auch die beste Constitution verderben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_715"> Man meint wirklich manchmal, wir lebten noch in den neunziger Jahren<lb/>
des vorigen Jahrhunderts. Da kamen die Civilcommissäre des Wohlfahrts¬<lb/>
ausschusses aus Frankreich zu uns; und jeder brachte ein Dutzend neuer Ver¬<lb/>
ordnungen mit.----Damit wollen wir nicht bestreiten, daß in Finanz-</p><lb/>
            <p xml:id="ID_716"> und Militärsachen die Gleichförmigkeit absolut nöthig sei. Aber im Uebrigen<lb/>
soll man uns gütigst ein wenig Zeit lassen; wenn man so lange in dem engen<lb/>
Futteral der Kleinstaaterei eingeschachtelt gelegen hat, will die &#x201E;affenartige Ge¬<lb/>
schwindigkeit" erst noch erlernt sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_717"> Lassen Sie mich jetzt noch ein Wort über die lokale und provinzielle Ver¬<lb/>
waltung sprechen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_718"> Wie ich in meinem zweiten Briefe versucht habe, meine Auffassung der<lb/>
Volks- oder Beobachter-Partei in Württemberg durch Uebersetzung einer Stelle<lb/>
aus einer der Philippiken des Demosthenes klar zu machen, so mochte ich hin¬<lb/>
sichtlich der in den annectirten Provinzen zu beobachtenden administrativen<lb/>
Technik und Taktik anknüpfen an einen Brief von Marcus Tullius Cicero, dem<lb/>
großen Redner und Staatsmann, den Mommsen (in seiner &#x201E;römischen Geschichte")<lb/>
seines Ansehns zu entkleiden vergeblich bemüht ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_719" next="#ID_720"> Heutzutag gilt es zwar, wie ich neulich bei Herrn Schmidt-Weißenfels las,<lb/>
für geschmacklos, sich auf einen dieser Classiker zu berufen.  Ich finde jedoch,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0242] bilder dünkten und ohne Zweifel unendlich weit über unserer bisherigen klein- staatlichen Bureaukratie standen. Freilich giebt es auch welche, die da glauben, dieselbe Jagdeimichiung, die in Pommern gut ist, passe auch für uns. Und doch ist unsere Agrarverfassung das directe Gegentheil der dortigen; und was hierin für das Pommerland gut ist, das paßt durchaus nicht für das fränkische Rheinland. Doch sprechen wir nicht von Personen, sondern von Einrichtungen! Meiner Meinung nach wären Proconsulatc besser gewesen. Denn viele Koche verderben den Brei. An der Spitze der jetzige Bundeskanzler, unter ihm vier tüchtige Pro- cvnsuln, —die hätten uns mit einheitlicher und sicherer Hand durch das Ueber¬ gangsstadium fest und allmälig. schonend und sicher, durchgeführt und schnell aus den verworrenen Fäden ein einheitliches Gewebe hergestellt, während jetzt an jedem Ende eines jeden Fadens ein anderer Geheimrath zerrt und zupft. Wir sind genügsame Leute und machen gar keinen Anspruch auf eine so zuvorkommende und aufmerksame Behandlung. Wenn wir einen Wunsch haben, dann wollen wirs sagen; und wenn wir krank sind, wollen wir klagen. Aber daß, auch wenn wir nicht klagen, jeden Tag ein neuer Arzt kommt, und oft sogar mehre an einem Tage, von welchen uns der erste eine inner¬ liche Arznei, der zweite eine geistliche Salbung, der dritte ein ländliches Pflaster applicirt, das ist des Guten doch vielleicht etwas zu viel und kann auch die beste Constitution verderben. Man meint wirklich manchmal, wir lebten noch in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Da kamen die Civilcommissäre des Wohlfahrts¬ ausschusses aus Frankreich zu uns; und jeder brachte ein Dutzend neuer Ver¬ ordnungen mit.----Damit wollen wir nicht bestreiten, daß in Finanz- und Militärsachen die Gleichförmigkeit absolut nöthig sei. Aber im Uebrigen soll man uns gütigst ein wenig Zeit lassen; wenn man so lange in dem engen Futteral der Kleinstaaterei eingeschachtelt gelegen hat, will die „affenartige Ge¬ schwindigkeit" erst noch erlernt sein. Lassen Sie mich jetzt noch ein Wort über die lokale und provinzielle Ver¬ waltung sprechen. Wie ich in meinem zweiten Briefe versucht habe, meine Auffassung der Volks- oder Beobachter-Partei in Württemberg durch Uebersetzung einer Stelle aus einer der Philippiken des Demosthenes klar zu machen, so mochte ich hin¬ sichtlich der in den annectirten Provinzen zu beobachtenden administrativen Technik und Taktik anknüpfen an einen Brief von Marcus Tullius Cicero, dem großen Redner und Staatsmann, den Mommsen (in seiner „römischen Geschichte") seines Ansehns zu entkleiden vergeblich bemüht ist. Heutzutag gilt es zwar, wie ich neulich bei Herrn Schmidt-Weißenfels las, für geschmacklos, sich auf einen dieser Classiker zu berufen. Ich finde jedoch,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/242
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/242>, abgerufen am 28.01.2025.