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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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in den Gemeinden, mit dieser Gegensatz beherrschte die nächsten Decennien.
Paulus fuhr fort sein Evangelium zu verbreiten, er suchte sich die Hauptsitze
hellenischer Bildung aus, immer größere Gebiete der heidnischen Welt gewann
er dem Christenthum. Allein neben dem Kampfe wider das Heidenthum hatte
er noch einen ganz andern Kampf zu führen: wider einen Gegner, der ihm zu
verderben drohte, was er dem ersten Feinde abgerungen, wider die Petriner, die
falschen Brüder aus der Urgemeinde. Es scheint, bei jenem Kompromisse war
es der Hintergedanke der ältern Apostel gewesen, man könne ja den Paulus
vorläufig in seiner Weise reisen und predigen lassen: was er für das Kreuz
Christi gewonnen habe, werde sich nachher leicht vollends für das Gesetz Mosis
gewinnen lassen. In dieser Weise wenigstens operirten sie, und nicht ohne
großen Erfolg. In allen paulinischen Gemeinden wiederholt sich nach kurzer
Zeit dieselbe Erscheinung, die wir schon von Antiochia her kennen. In der
Abwesenheit des Paulus schleichen sich "Irrlehrer" ein, die sich auf die Urapostel,
auf Petrus insbesondere, berufen, die läugnen, daß man ohne das jüdische Ni-
tualgesetz selig werden könne, die Beschneidung verlangen und die apostolische
Autorität des Paulus bestreiten, weil er kein unmittelbarer Schüler des Herrn
gewesen s"i. Aus den Briefen des Paulus an die galatischen Gemeinden und
an die zu Korinth, die großentheils eben durch diese Parteiverhältnisse veranlaßt
sind, wissen wir, wie viel sie dem Apostel zu schaffen machten. Die Galater
hatten sein Evangelium mit besonderer Liebe und Begeisterung aufgenommen,
dennoch standen sie, nachdem er sich eine Zeit lang entfernt hatte, im Begriff, sich von
jenen Sendungen verleiten, selbst das Joch der Beschneidung sich auferlegen zu
lassen und in "säuerlicher" Frömmigkeit ihr Gemeindeladen ganz auf jüdische
Art einzurichten. Und noch betrübendere Kunde kam ihm aus der korinthischen
Gemeinde, die, wie er selbst sagte, ihm besonders ins Herz geschrieben war, die
sein Ruhm, das Siegel seines Apostelamts war. Abgesehen davon, daß die
heidnischen Gewohnheiten in einer Reihe von unerfreulichen Erscheinungen nach¬
wirkten, waren auch hier Sendlinge aus der Urgemeinde erschienen, die zwar
nickt mehr die Beschneidung forderten, wozu die Hellenen wohl wenig Lust ver¬
spürt hätten, die aber, besorgt, der Mittelpunkt des Evangeliums entferne sich
aus Judäa, auch die hellenischen Gemeinden unmittelbar unter Jakobus und
die Zwölf stellen wollten. Es wurde beabsichtigt, daß Einer der Zwölf selbst nach
Korinth komme, um zu zeigen, daß die echten Jünger Jesu ein ganz andres
Evangelium lehrten als der anmaßende Apostel, der ohne Beruf sich überall
zwischen die Gläubigen und die wahren - Apostel eindränge, durch seine Ver¬
schlagenheit die Menschen berücke, und ohne den die ganze Christenheit einig
wäre und die Blicke nach Jerusalem richteie. Die Spitze dieser Polemik richtete
sich nicht mehr gegen den Inhalt der paulinischen Predigt, sondern persönlich
gegen den Eindringling, der sich fälschlicherweise den Apostclberuf anmaße. Wie


in den Gemeinden, mit dieser Gegensatz beherrschte die nächsten Decennien.
Paulus fuhr fort sein Evangelium zu verbreiten, er suchte sich die Hauptsitze
hellenischer Bildung aus, immer größere Gebiete der heidnischen Welt gewann
er dem Christenthum. Allein neben dem Kampfe wider das Heidenthum hatte
er noch einen ganz andern Kampf zu führen: wider einen Gegner, der ihm zu
verderben drohte, was er dem ersten Feinde abgerungen, wider die Petriner, die
falschen Brüder aus der Urgemeinde. Es scheint, bei jenem Kompromisse war
es der Hintergedanke der ältern Apostel gewesen, man könne ja den Paulus
vorläufig in seiner Weise reisen und predigen lassen: was er für das Kreuz
Christi gewonnen habe, werde sich nachher leicht vollends für das Gesetz Mosis
gewinnen lassen. In dieser Weise wenigstens operirten sie, und nicht ohne
großen Erfolg. In allen paulinischen Gemeinden wiederholt sich nach kurzer
Zeit dieselbe Erscheinung, die wir schon von Antiochia her kennen. In der
Abwesenheit des Paulus schleichen sich „Irrlehrer" ein, die sich auf die Urapostel,
auf Petrus insbesondere, berufen, die läugnen, daß man ohne das jüdische Ni-
tualgesetz selig werden könne, die Beschneidung verlangen und die apostolische
Autorität des Paulus bestreiten, weil er kein unmittelbarer Schüler des Herrn
gewesen s«i. Aus den Briefen des Paulus an die galatischen Gemeinden und
an die zu Korinth, die großentheils eben durch diese Parteiverhältnisse veranlaßt
sind, wissen wir, wie viel sie dem Apostel zu schaffen machten. Die Galater
hatten sein Evangelium mit besonderer Liebe und Begeisterung aufgenommen,
dennoch standen sie, nachdem er sich eine Zeit lang entfernt hatte, im Begriff, sich von
jenen Sendungen verleiten, selbst das Joch der Beschneidung sich auferlegen zu
lassen und in „säuerlicher" Frömmigkeit ihr Gemeindeladen ganz auf jüdische
Art einzurichten. Und noch betrübendere Kunde kam ihm aus der korinthischen
Gemeinde, die, wie er selbst sagte, ihm besonders ins Herz geschrieben war, die
sein Ruhm, das Siegel seines Apostelamts war. Abgesehen davon, daß die
heidnischen Gewohnheiten in einer Reihe von unerfreulichen Erscheinungen nach¬
wirkten, waren auch hier Sendlinge aus der Urgemeinde erschienen, die zwar
nickt mehr die Beschneidung forderten, wozu die Hellenen wohl wenig Lust ver¬
spürt hätten, die aber, besorgt, der Mittelpunkt des Evangeliums entferne sich
aus Judäa, auch die hellenischen Gemeinden unmittelbar unter Jakobus und
die Zwölf stellen wollten. Es wurde beabsichtigt, daß Einer der Zwölf selbst nach
Korinth komme, um zu zeigen, daß die echten Jünger Jesu ein ganz andres
Evangelium lehrten als der anmaßende Apostel, der ohne Beruf sich überall
zwischen die Gläubigen und die wahren - Apostel eindränge, durch seine Ver¬
schlagenheit die Menschen berücke, und ohne den die ganze Christenheit einig
wäre und die Blicke nach Jerusalem richteie. Die Spitze dieser Polemik richtete
sich nicht mehr gegen den Inhalt der paulinischen Predigt, sondern persönlich
gegen den Eindringling, der sich fälschlicherweise den Apostclberuf anmaße. Wie


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[0228] in den Gemeinden, mit dieser Gegensatz beherrschte die nächsten Decennien. Paulus fuhr fort sein Evangelium zu verbreiten, er suchte sich die Hauptsitze hellenischer Bildung aus, immer größere Gebiete der heidnischen Welt gewann er dem Christenthum. Allein neben dem Kampfe wider das Heidenthum hatte er noch einen ganz andern Kampf zu führen: wider einen Gegner, der ihm zu verderben drohte, was er dem ersten Feinde abgerungen, wider die Petriner, die falschen Brüder aus der Urgemeinde. Es scheint, bei jenem Kompromisse war es der Hintergedanke der ältern Apostel gewesen, man könne ja den Paulus vorläufig in seiner Weise reisen und predigen lassen: was er für das Kreuz Christi gewonnen habe, werde sich nachher leicht vollends für das Gesetz Mosis gewinnen lassen. In dieser Weise wenigstens operirten sie, und nicht ohne großen Erfolg. In allen paulinischen Gemeinden wiederholt sich nach kurzer Zeit dieselbe Erscheinung, die wir schon von Antiochia her kennen. In der Abwesenheit des Paulus schleichen sich „Irrlehrer" ein, die sich auf die Urapostel, auf Petrus insbesondere, berufen, die läugnen, daß man ohne das jüdische Ni- tualgesetz selig werden könne, die Beschneidung verlangen und die apostolische Autorität des Paulus bestreiten, weil er kein unmittelbarer Schüler des Herrn gewesen s«i. Aus den Briefen des Paulus an die galatischen Gemeinden und an die zu Korinth, die großentheils eben durch diese Parteiverhältnisse veranlaßt sind, wissen wir, wie viel sie dem Apostel zu schaffen machten. Die Galater hatten sein Evangelium mit besonderer Liebe und Begeisterung aufgenommen, dennoch standen sie, nachdem er sich eine Zeit lang entfernt hatte, im Begriff, sich von jenen Sendungen verleiten, selbst das Joch der Beschneidung sich auferlegen zu lassen und in „säuerlicher" Frömmigkeit ihr Gemeindeladen ganz auf jüdische Art einzurichten. Und noch betrübendere Kunde kam ihm aus der korinthischen Gemeinde, die, wie er selbst sagte, ihm besonders ins Herz geschrieben war, die sein Ruhm, das Siegel seines Apostelamts war. Abgesehen davon, daß die heidnischen Gewohnheiten in einer Reihe von unerfreulichen Erscheinungen nach¬ wirkten, waren auch hier Sendlinge aus der Urgemeinde erschienen, die zwar nickt mehr die Beschneidung forderten, wozu die Hellenen wohl wenig Lust ver¬ spürt hätten, die aber, besorgt, der Mittelpunkt des Evangeliums entferne sich aus Judäa, auch die hellenischen Gemeinden unmittelbar unter Jakobus und die Zwölf stellen wollten. Es wurde beabsichtigt, daß Einer der Zwölf selbst nach Korinth komme, um zu zeigen, daß die echten Jünger Jesu ein ganz andres Evangelium lehrten als der anmaßende Apostel, der ohne Beruf sich überall zwischen die Gläubigen und die wahren - Apostel eindränge, durch seine Ver¬ schlagenheit die Menschen berücke, und ohne den die ganze Christenheit einig wäre und die Blicke nach Jerusalem richteie. Die Spitze dieser Polemik richtete sich nicht mehr gegen den Inhalt der paulinischen Predigt, sondern persönlich gegen den Eindringling, der sich fälschlicherweise den Apostclberuf anmaße. Wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/228>, abgerufen am 15.01.2025.