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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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deten Gemüther wiedergewinne. Mögen die widerwärtigen kleinstaatlichen Ver¬
wickelungen hin und wieder den freien Blick getrübt haben, das wenigstens kann
kein Mensch leugnen, die Kurhessen haben stets Anlage und Kraft zum politi-
schen Leben, namentlich Geschick zur Selbstverwaltung, mitten in den härtesten
Prüfungen, bewahrt. Mögen die auf letztere gerichteten Wünsche und die Ver¬
sprechungen, welche bei Besetzung des Landes und bei den späteren Einver-
leibungsvcrhandlungen gegeben wurden, sich durch Constituirung einer auf der
Grundlage der Selbstverwaltung beruhenden Provinzialverfassung und durch
Zuweisung eines hinreichenden provinziellen Sondervermögens aus den reichen
Mitteln des vormaligen Kurstaats endlich, spät aber noch nicht zu spät, reali-
siren. Die Einführung der Communalstände bat nicht die geringste Schwierig¬
keit, wenn man den Faden der historischen Continuität in der Hand behält.
Die verschiedenen Landestheile, aus welchen Kurhessen zusammengesetzt ist, hatten
wie B. M. Pfeiffer in seiner "Geschichte der landständischen Verfassung in Kur¬
hessen" (Kassel, 1834) nachgewiesen hat, fast alle schon ihre Landstände, welche
theilweise die ausgedehntesten Befugnisse besaßen. Die letzteren wurden, ähn¬
lich wie 1866 einzelne Prärogative der deutscheu Partiallandtage auf den
deutschen Reichstag, 1831 auf die Gesammtvcrtretung übertragen, welche letztere
am Schlüsse eines jeden Landtags einen bleibenden Ausschuß zur Wahrung
ihrer Rechte zurückließ. Dieser Landtag, zusammengesetzt aus Repräsentanten
der Standesherren, der Ritterschaften, der Höchstbesteuerten, sowie der städtischen
und der ländlichen Bevölkerung, verdient an die Stelle der Provinzial- oder
Communalstände zu treten. Zu seinem Geschäftskreis würde die Verwaltung
der ständischen Hauslasse, der Landcsbrandtasse, der Landeshospitälcr und der
milden Stiftungen, der Provinzial-Wege- und Wasserbau, eine Mitwirkung bei
dem Volksschulwesen, namentlich hinsichtlich der Dotation dürftiger Schulstellen,
bei den Steuerumlagen und bei Verwaltung des Staatsschatzes gehören, soweit
letzterer als 'vollständiges Svndergut ausgeschieden wird. Ganz auf derselben
Grundlage ließen sich Communalstände für Nassau creiren, welchen ein Theil
der sich bei richtiger Verwerthung auf etwa 60 Millionen Gulden belaufenden
Landesdomänen (ihre Total- und Naturalauslieferung an die depossedirte Dy¬
nastie wäre schlimmer als eine Rechtsverletzung, sie wäre ein unheilbarer poli¬
tischer Fehler) als communalständischcs Sondergut zuzuweisen wäre. Aus den
Communalständen der hessischen und nassauischen Verbände wäre dann der
Provinziallandtag für die Provinz, welche nach dem überwiegenden Bestandtheile
"Hessen" zu nennen ist, zusammenzusetzen. Eine etwa zu große Ziffer der Mit¬
glieder würde der Provinziallandtag selbst alsbald reduciren. Die Kreisver¬
waltung Wäre auf derselben Basis aus Vertretern der Höchstbesteuerten, der
städtischen und der ländlichen Bevölkerung zusammenzusetzen. So würde das
ganze Gebiet eine aus seiner historischen Entwickelung naturgemäß und organisch


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deten Gemüther wiedergewinne. Mögen die widerwärtigen kleinstaatlichen Ver¬
wickelungen hin und wieder den freien Blick getrübt haben, das wenigstens kann
kein Mensch leugnen, die Kurhessen haben stets Anlage und Kraft zum politi-
schen Leben, namentlich Geschick zur Selbstverwaltung, mitten in den härtesten
Prüfungen, bewahrt. Mögen die auf letztere gerichteten Wünsche und die Ver¬
sprechungen, welche bei Besetzung des Landes und bei den späteren Einver-
leibungsvcrhandlungen gegeben wurden, sich durch Constituirung einer auf der
Grundlage der Selbstverwaltung beruhenden Provinzialverfassung und durch
Zuweisung eines hinreichenden provinziellen Sondervermögens aus den reichen
Mitteln des vormaligen Kurstaats endlich, spät aber noch nicht zu spät, reali-
siren. Die Einführung der Communalstände bat nicht die geringste Schwierig¬
keit, wenn man den Faden der historischen Continuität in der Hand behält.
Die verschiedenen Landestheile, aus welchen Kurhessen zusammengesetzt ist, hatten
wie B. M. Pfeiffer in seiner „Geschichte der landständischen Verfassung in Kur¬
hessen" (Kassel, 1834) nachgewiesen hat, fast alle schon ihre Landstände, welche
theilweise die ausgedehntesten Befugnisse besaßen. Die letzteren wurden, ähn¬
lich wie 1866 einzelne Prärogative der deutscheu Partiallandtage auf den
deutschen Reichstag, 1831 auf die Gesammtvcrtretung übertragen, welche letztere
am Schlüsse eines jeden Landtags einen bleibenden Ausschuß zur Wahrung
ihrer Rechte zurückließ. Dieser Landtag, zusammengesetzt aus Repräsentanten
der Standesherren, der Ritterschaften, der Höchstbesteuerten, sowie der städtischen
und der ländlichen Bevölkerung, verdient an die Stelle der Provinzial- oder
Communalstände zu treten. Zu seinem Geschäftskreis würde die Verwaltung
der ständischen Hauslasse, der Landcsbrandtasse, der Landeshospitälcr und der
milden Stiftungen, der Provinzial-Wege- und Wasserbau, eine Mitwirkung bei
dem Volksschulwesen, namentlich hinsichtlich der Dotation dürftiger Schulstellen,
bei den Steuerumlagen und bei Verwaltung des Staatsschatzes gehören, soweit
letzterer als 'vollständiges Svndergut ausgeschieden wird. Ganz auf derselben
Grundlage ließen sich Communalstände für Nassau creiren, welchen ein Theil
der sich bei richtiger Verwerthung auf etwa 60 Millionen Gulden belaufenden
Landesdomänen (ihre Total- und Naturalauslieferung an die depossedirte Dy¬
nastie wäre schlimmer als eine Rechtsverletzung, sie wäre ein unheilbarer poli¬
tischer Fehler) als communalständischcs Sondergut zuzuweisen wäre. Aus den
Communalständen der hessischen und nassauischen Verbände wäre dann der
Provinziallandtag für die Provinz, welche nach dem überwiegenden Bestandtheile
„Hessen" zu nennen ist, zusammenzusetzen. Eine etwa zu große Ziffer der Mit¬
glieder würde der Provinziallandtag selbst alsbald reduciren. Die Kreisver¬
waltung Wäre auf derselben Basis aus Vertretern der Höchstbesteuerten, der
städtischen und der ländlichen Bevölkerung zusammenzusetzen. So würde das
ganze Gebiet eine aus seiner historischen Entwickelung naturgemäß und organisch


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[0179] deten Gemüther wiedergewinne. Mögen die widerwärtigen kleinstaatlichen Ver¬ wickelungen hin und wieder den freien Blick getrübt haben, das wenigstens kann kein Mensch leugnen, die Kurhessen haben stets Anlage und Kraft zum politi- schen Leben, namentlich Geschick zur Selbstverwaltung, mitten in den härtesten Prüfungen, bewahrt. Mögen die auf letztere gerichteten Wünsche und die Ver¬ sprechungen, welche bei Besetzung des Landes und bei den späteren Einver- leibungsvcrhandlungen gegeben wurden, sich durch Constituirung einer auf der Grundlage der Selbstverwaltung beruhenden Provinzialverfassung und durch Zuweisung eines hinreichenden provinziellen Sondervermögens aus den reichen Mitteln des vormaligen Kurstaats endlich, spät aber noch nicht zu spät, reali- siren. Die Einführung der Communalstände bat nicht die geringste Schwierig¬ keit, wenn man den Faden der historischen Continuität in der Hand behält. Die verschiedenen Landestheile, aus welchen Kurhessen zusammengesetzt ist, hatten wie B. M. Pfeiffer in seiner „Geschichte der landständischen Verfassung in Kur¬ hessen" (Kassel, 1834) nachgewiesen hat, fast alle schon ihre Landstände, welche theilweise die ausgedehntesten Befugnisse besaßen. Die letzteren wurden, ähn¬ lich wie 1866 einzelne Prärogative der deutscheu Partiallandtage auf den deutschen Reichstag, 1831 auf die Gesammtvcrtretung übertragen, welche letztere am Schlüsse eines jeden Landtags einen bleibenden Ausschuß zur Wahrung ihrer Rechte zurückließ. Dieser Landtag, zusammengesetzt aus Repräsentanten der Standesherren, der Ritterschaften, der Höchstbesteuerten, sowie der städtischen und der ländlichen Bevölkerung, verdient an die Stelle der Provinzial- oder Communalstände zu treten. Zu seinem Geschäftskreis würde die Verwaltung der ständischen Hauslasse, der Landcsbrandtasse, der Landeshospitälcr und der milden Stiftungen, der Provinzial-Wege- und Wasserbau, eine Mitwirkung bei dem Volksschulwesen, namentlich hinsichtlich der Dotation dürftiger Schulstellen, bei den Steuerumlagen und bei Verwaltung des Staatsschatzes gehören, soweit letzterer als 'vollständiges Svndergut ausgeschieden wird. Ganz auf derselben Grundlage ließen sich Communalstände für Nassau creiren, welchen ein Theil der sich bei richtiger Verwerthung auf etwa 60 Millionen Gulden belaufenden Landesdomänen (ihre Total- und Naturalauslieferung an die depossedirte Dy¬ nastie wäre schlimmer als eine Rechtsverletzung, sie wäre ein unheilbarer poli¬ tischer Fehler) als communalständischcs Sondergut zuzuweisen wäre. Aus den Communalständen der hessischen und nassauischen Verbände wäre dann der Provinziallandtag für die Provinz, welche nach dem überwiegenden Bestandtheile „Hessen" zu nennen ist, zusammenzusetzen. Eine etwa zu große Ziffer der Mit¬ glieder würde der Provinziallandtag selbst alsbald reduciren. Die Kreisver¬ waltung Wäre auf derselben Basis aus Vertretern der Höchstbesteuerten, der städtischen und der ländlichen Bevölkerung zusammenzusetzen. So würde das ganze Gebiet eine aus seiner historischen Entwickelung naturgemäß und organisch Grenzl'öden ,111, U-«;,, 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/179>, abgerufen am 15.01.2025.