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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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gaben der gewöhnlichen Landesadnünistration verbrauchen und durch einen solchen
Einnahmeposten die Höhe der directen Steuern um ein Beträchtliches reduciren.
Denn deren Aufbringung siel einem Lande schwer, das durch seine Regenten
in der wirthschaftlichen Culturentwickelung zurückgehalten und dadurch im Ver¬
gleich zu den vorschreitender Nachbarländern verarmt war. Oder man konnte
die Schatzintradcn zu außerordentlichen Zwecken anlegen, zu gemeinnützigen und
productiven Anstalten, welche ihrerseits wieder die Finanz- und Steuerkräfte er¬
höht hätten. Auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, der Land- und Wasser¬
straßen u. s. w. war viel nachzuholen. Die Universität und die Schulen sind
jämmerlich dotirt. Das Land mit seinen mehr als 700,000 Einwohnern hat
nicht einmal eine Irrenanstalt. Allein alle Mahnungen der Stände waren ver¬
geblich. Der Kurfürst, welcher sich in den von seinen Hofjuristen ihm vogefpie-
gelten trügerischen Hoffnungen auf einen Umsturz des Gesetzes vom 27. Februar
1831 wiegte, weigerte zu jeder Ausgabe die Zustimmung. Die Einkünfte
mußten zum Capital geschlagen werden; und es zeigte sich alsbald an dem Rück¬
gange des Wohlstandes, daß eine Sparsamkeit, welche nothwendige oder nütz¬
liche Ausgaben unterläßt, die schlimmste Verschwendung ist. Als das Land preußisch
wurde, athmete man auf. Man hoffte, daß nun endlich dem Lande zu Gute
komme, was ihm so lange vorenthalten war. Außer dem Staatsschatz hatte
Laudemialsonds. Er war entstanden aus den Erträgnissen der Ablösung von
Real- und sonstigen Grundlasten, welche dem Domanialgut zugestanden hatten.
Die Einkünfte dieser Art sind in Preußen, so viel wir wissen, stets zu den
Zwecken der gewöhnlichen laufenden Verwaltung verwendet worden. In Kur¬
hessen wurden auch sie aufgespeichert. Man legte Sparbüchsen an. Vielleicht
konnten sie dereinst dort zu Gunsten der successionsunfähigen Descendenz geleert
werden. Endlich hatte man große Staatswaldungen, Güter und sonstige zum
Domanium gehörige Werthobjeete.

Kürzlich nun ist eine königliche Verordnung ergange", welche in Kurhessen
so auegelegt wird -- und zu dieser Interpretation giebt der Wortlaut der Ver¬
ordnung und ein zu deren Vertheidigung im "Staatsanzeiger" erschienener
Artikel von unzweifelhaft officiöser Färbung nur allzu triftigen Anlaß --, als
wenn alles, -- die Domänen, der Laudcmialfond, der Staatsschatz --, auf
Nimmerwiedersehn für Kurhessen. dem preußischen Gcsammtsiscus einverleibt
werden solle. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, daß diese Hiobs¬
post bei der Bevölkerung des Landes allermindestens ebensoviel Aufregung und
Mißstimmung erweckt hat. als eine der schärfsten Maßregeln Hassenpflugs. Jeder
Kurhesse hat das Gefühl in sich, als wenn ihm die eilf Thaler, welche aus dem
Staatsschatz, wenn man ihn vertheilte, auf ihn ersielen, durch diesen Act direct
aus der Tasche genommen würden.

"Das Land ist arm", sagt man. "Dies ist nicht seine Schuld. Denn


gaben der gewöhnlichen Landesadnünistration verbrauchen und durch einen solchen
Einnahmeposten die Höhe der directen Steuern um ein Beträchtliches reduciren.
Denn deren Aufbringung siel einem Lande schwer, das durch seine Regenten
in der wirthschaftlichen Culturentwickelung zurückgehalten und dadurch im Ver¬
gleich zu den vorschreitender Nachbarländern verarmt war. Oder man konnte
die Schatzintradcn zu außerordentlichen Zwecken anlegen, zu gemeinnützigen und
productiven Anstalten, welche ihrerseits wieder die Finanz- und Steuerkräfte er¬
höht hätten. Auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, der Land- und Wasser¬
straßen u. s. w. war viel nachzuholen. Die Universität und die Schulen sind
jämmerlich dotirt. Das Land mit seinen mehr als 700,000 Einwohnern hat
nicht einmal eine Irrenanstalt. Allein alle Mahnungen der Stände waren ver¬
geblich. Der Kurfürst, welcher sich in den von seinen Hofjuristen ihm vogefpie-
gelten trügerischen Hoffnungen auf einen Umsturz des Gesetzes vom 27. Februar
1831 wiegte, weigerte zu jeder Ausgabe die Zustimmung. Die Einkünfte
mußten zum Capital geschlagen werden; und es zeigte sich alsbald an dem Rück¬
gange des Wohlstandes, daß eine Sparsamkeit, welche nothwendige oder nütz¬
liche Ausgaben unterläßt, die schlimmste Verschwendung ist. Als das Land preußisch
wurde, athmete man auf. Man hoffte, daß nun endlich dem Lande zu Gute
komme, was ihm so lange vorenthalten war. Außer dem Staatsschatz hatte
Laudemialsonds. Er war entstanden aus den Erträgnissen der Ablösung von
Real- und sonstigen Grundlasten, welche dem Domanialgut zugestanden hatten.
Die Einkünfte dieser Art sind in Preußen, so viel wir wissen, stets zu den
Zwecken der gewöhnlichen laufenden Verwaltung verwendet worden. In Kur¬
hessen wurden auch sie aufgespeichert. Man legte Sparbüchsen an. Vielleicht
konnten sie dereinst dort zu Gunsten der successionsunfähigen Descendenz geleert
werden. Endlich hatte man große Staatswaldungen, Güter und sonstige zum
Domanium gehörige Werthobjeete.

Kürzlich nun ist eine königliche Verordnung ergange», welche in Kurhessen
so auegelegt wird — und zu dieser Interpretation giebt der Wortlaut der Ver¬
ordnung und ein zu deren Vertheidigung im „Staatsanzeiger" erschienener
Artikel von unzweifelhaft officiöser Färbung nur allzu triftigen Anlaß —, als
wenn alles, — die Domänen, der Laudcmialfond, der Staatsschatz —, auf
Nimmerwiedersehn für Kurhessen. dem preußischen Gcsammtsiscus einverleibt
werden solle. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, daß diese Hiobs¬
post bei der Bevölkerung des Landes allermindestens ebensoviel Aufregung und
Mißstimmung erweckt hat. als eine der schärfsten Maßregeln Hassenpflugs. Jeder
Kurhesse hat das Gefühl in sich, als wenn ihm die eilf Thaler, welche aus dem
Staatsschatz, wenn man ihn vertheilte, auf ihn ersielen, durch diesen Act direct
aus der Tasche genommen würden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/176>, abgerufen am 15.01.2025.