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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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macht Auszüge, notirt sie sich wenigstens. Kleine Kunstwerke, Bronzen, Gem¬
men, Münzen kauft er an und theilt sie später mit Stolz seinen Freunden und
Gönnern mit. Was er nicht mit fortbringen kaun, wird beschrieben, gemessen,
gezeichnet. Die cyklopischen Mauern hatte" schon sein Erstaunen erregt, er hatte
dieselben gezeichnet und nicht versäumt, die Maße der einzelnen kolossalen Bau¬
steine anzugeben. Ebenso wurden die Neste der Architektur und Sculptur, nach
dem was bekannt ist zu schließen, in großer Ausdehnung von ihm gemessen
und gezeichnet; freilich nicht mit der Sorgfalt und Genauigkeit, wie sie jetzt uner¬
läßlich geworden ist, aber dech soweit, daß man sieht, er faßte ganz richtig auf.
worauf es ankommt: er wollte nicht blos als Tourist flüchtige Reiseeindrücke
geben, sondern zuverlässiges Material für die wissenschaftliche Forschung liefern.
Namentlich ist sein Interesse den Inschriften zugewandt, welche er als ein we¬
sentliches Mittel erkannt hatte. "Abgeschiedene wieder ins Leben zu rufen"; was ihm
nur vorkommt schreibt er ab, und grade aus diesem Gebiet hat sich seine cm-
gefvutcne Zuverlässigkeit glänzend bewährt. Wo seine Aufzeichnungen über
bloße Abschriften und Notizen hinausgehen, spürt man auch den frischen Zug
eines durch das Reisen befriedigten Wanderers. Sein Stil ist keineswegs cor-
rect und von reinem Geschmack, er leidet namentlich an dem damals gewöhn¬
lichen Gebrechen gehäufter Reminiscenzen namentlich poetischer Stellen der
Klassiker, oft sehr am unrechten Ort; aber man fühlt auch, daß ihm, wie den
meisten Humanisten jener Zeit, das Lateinische ein bequemes Gewand ist, und
wo er erzählt, zieht er den Leser in das Ungemach seiner Abenteuer, wie in
die Freuden seiner Entdeckungen lebendig mit hinein.

Eine bedenkliche Einwirkung seines Enthusiasmus für das Alterthum theilte
freilich Cyriacus mit manchem der gleichzeitigen Humanisten. Es ist bekannt,
wie sie sich von der geistigen und sittlichen Anschauungsweise der alten Völker
auch in manchen nichts weniger als nachahmungswürdigen Richtungen beein¬
flussen ließen, und im Hochmuth auf ihre überlegene Bildung sich über wohlbe¬
rechtigte Anforderungen der Sittlichkeit, Wahrhaftigkeit und Schicklichkeit wegsetzen
zu dürfen glaubten. So verhielten sie sich nicht blos gegen den Klerus vielfach
aggressiv, sondern auch der Kirche gegenüber lau und skeptisch, so daß ihnen
häufig der Vorwurf des Unglaubens, ja des Heidenthums gemacht wurde. Un¬
verkennbar hatte auch die Vorliebe für alles, was ans dem Alterthum kam, die
Gewöhnung an antike Ausdrucksweise, der intime Verkehr mit der heidnischen
Mythologie in manchen eine wunderliche Verwirrung im Ausdruck ihres reli¬
giösen Gefühls hervorgebracht, die aber wohl sehr selten auf bewußte unchnst-
liche oder antichristliche Gesinnung zurückzuführen war. Eine Ausnahme dieser
Art war freilich der Grieche Georgios Gemistos, der sich selbst den Bei.
namen Plethon gab. Den größten Theil seines langen Lebens -- er starb
fast hundertjährig, wahrscheinlich 1452 -- brachte er im Peloponnes zu und stand


macht Auszüge, notirt sie sich wenigstens. Kleine Kunstwerke, Bronzen, Gem¬
men, Münzen kauft er an und theilt sie später mit Stolz seinen Freunden und
Gönnern mit. Was er nicht mit fortbringen kaun, wird beschrieben, gemessen,
gezeichnet. Die cyklopischen Mauern hatte» schon sein Erstaunen erregt, er hatte
dieselben gezeichnet und nicht versäumt, die Maße der einzelnen kolossalen Bau¬
steine anzugeben. Ebenso wurden die Neste der Architektur und Sculptur, nach
dem was bekannt ist zu schließen, in großer Ausdehnung von ihm gemessen
und gezeichnet; freilich nicht mit der Sorgfalt und Genauigkeit, wie sie jetzt uner¬
läßlich geworden ist, aber dech soweit, daß man sieht, er faßte ganz richtig auf.
worauf es ankommt: er wollte nicht blos als Tourist flüchtige Reiseeindrücke
geben, sondern zuverlässiges Material für die wissenschaftliche Forschung liefern.
Namentlich ist sein Interesse den Inschriften zugewandt, welche er als ein we¬
sentliches Mittel erkannt hatte. „Abgeschiedene wieder ins Leben zu rufen"; was ihm
nur vorkommt schreibt er ab, und grade aus diesem Gebiet hat sich seine cm-
gefvutcne Zuverlässigkeit glänzend bewährt. Wo seine Aufzeichnungen über
bloße Abschriften und Notizen hinausgehen, spürt man auch den frischen Zug
eines durch das Reisen befriedigten Wanderers. Sein Stil ist keineswegs cor-
rect und von reinem Geschmack, er leidet namentlich an dem damals gewöhn¬
lichen Gebrechen gehäufter Reminiscenzen namentlich poetischer Stellen der
Klassiker, oft sehr am unrechten Ort; aber man fühlt auch, daß ihm, wie den
meisten Humanisten jener Zeit, das Lateinische ein bequemes Gewand ist, und
wo er erzählt, zieht er den Leser in das Ungemach seiner Abenteuer, wie in
die Freuden seiner Entdeckungen lebendig mit hinein.

Eine bedenkliche Einwirkung seines Enthusiasmus für das Alterthum theilte
freilich Cyriacus mit manchem der gleichzeitigen Humanisten. Es ist bekannt,
wie sie sich von der geistigen und sittlichen Anschauungsweise der alten Völker
auch in manchen nichts weniger als nachahmungswürdigen Richtungen beein¬
flussen ließen, und im Hochmuth auf ihre überlegene Bildung sich über wohlbe¬
rechtigte Anforderungen der Sittlichkeit, Wahrhaftigkeit und Schicklichkeit wegsetzen
zu dürfen glaubten. So verhielten sie sich nicht blos gegen den Klerus vielfach
aggressiv, sondern auch der Kirche gegenüber lau und skeptisch, so daß ihnen
häufig der Vorwurf des Unglaubens, ja des Heidenthums gemacht wurde. Un¬
verkennbar hatte auch die Vorliebe für alles, was ans dem Alterthum kam, die
Gewöhnung an antike Ausdrucksweise, der intime Verkehr mit der heidnischen
Mythologie in manchen eine wunderliche Verwirrung im Ausdruck ihres reli¬
giösen Gefühls hervorgebracht, die aber wohl sehr selten auf bewußte unchnst-
liche oder antichristliche Gesinnung zurückzuführen war. Eine Ausnahme dieser
Art war freilich der Grieche Georgios Gemistos, der sich selbst den Bei.
namen Plethon gab. Den größten Theil seines langen Lebens — er starb
fast hundertjährig, wahrscheinlich 1452 — brachte er im Peloponnes zu und stand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/16>, abgerufen am 15.01.2025.