Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Natur nach in die Alternative verseht ist, zwischen Erfüllung dieser Mission Was hatten denn wir z. B. von unserm Staate Nassau in der Stunde Natur nach in die Alternative verseht ist, zwischen Erfüllung dieser Mission Was hatten denn wir z. B. von unserm Staate Nassau in der Stunde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191381"/> <p xml:id="ID_381" prev="#ID_380"> Natur nach in die Alternative verseht ist, zwischen Erfüllung dieser Mission<lb/> und dem Untergang zu wählen, und daß der Trieb der Selbsterhaltung in einem<lb/> lebenskräftigen großen Gemeinwesen viel zu stark ist, als daß es nicht das Erstere<lb/> vorziehen sollte, während der Kleinstaat, die Caricatur des Staats, wenn er<lb/> sich nicht einem großen Ganzen als willig dienendes Glied einfügt, fürchten<lb/> muß. von jenem lebhaften Wellenschlag, welcher mit jeder großen Cultur-<lb/> entwickelung nothwendig verbunden ist, umgeworfen, zertrümmert, in der Tiefe<lb/> begraben zu werden, so beiß er jedem Fortschritt ausweicht, weil er durch ihn<lb/> seine Existenz bedroht sieht, oder daß er jene, von dem dirigirenden Haus¬<lb/> und Staatsminister Seiner Durchlaucht des seit Rheinbundszeiten „souverainen"<lb/> Herzogs Wilhelm von Nassau in einer Landtagseröffnungsrede während der<lb/> dreißiger Jahre in wahrhaft classischer Form ausgedrückte Ueberzeugung gewinnt,<lb/> „daß man auf alle Reformen verzichten müsse, weil (für den Kleinstaat) auch<lb/> die nützlichste Reform mit einem gewissen Unbehagen verknüpft sei". Endlich<lb/> wissen und wußten diese schwäbischen Preußen, daß ein^großer Staat erstens<lb/> im Stande und zweitens Willens ist, seine Angehörigen zu schützen, und daß<lb/> sie daher berechtigt waren, die württembergsche Occupation nicht als ein ernst¬<lb/> haftes und dauerndes Ereigniß, sondern als ein schnell vorübergehendes Wölk¬<lb/> lein zu betrachten. Deshalb hielten sie treu zum preußischen Adler, denn sie<lb/> wußten: er läßt uns nicht im Stiche, und unter diesem Zeichen werden wir<lb/> siegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_382"> Was hatten denn wir z. B. von unserm Staate Nassau in der Stunde<lb/> der Gefahr? Wir hatten unsern Fürsten gewarnt vor einem Kriege gegen<lb/> Preußen, dem er nicht gewachsen sei. Hätte er auf uns gehört, er säße noch<lb/> auf seinem Thron. Er hörte uns nicht. Er sing den Krieg an. Als aber die<lb/> preußische Armee anrückte, da schrieb er zunächst einen nicht allzuhöflichen Brief<lb/> an deren Commandanten, worin er sich erstens über die dem Kurfürsten von Hessen<lb/> widerfahrene Behandlung beschwerte, welche er „die Gefangennehmung mitten<lb/> im Frieden eines deutschen Fürsten" nannte, und sodann Klage über die Be¬<lb/> schlagnahme der öffentlichen Kassen erhob, was er „Razzia" nannte, obgleich<lb/> doch die Bundesarmee in Gamertingen und Sigmaringen mit den preußischen<lb/> Kassen die nämlichen Experimente anstellte. Und als die Preußen in das Länd¬<lb/> chen einrückten, da schrieb er eine Proclamation „An mein Volk!", worin er<lb/> uns sagte, „da der Feind der deutschen Bundessache seit gestern (dem 14. Juli<lb/> 1866) eine bedrohliche Stellung einnehme, so sehe er sich, um nicht nach einem<lb/> in der Geschichte der Civilisation einzig dastehenden Beispiel der letzten Wochen<lb/> (damit war wieder der Kurfürst gemeint) in Kriegsgefangenschaft zu gerathen,<lb/> genöthigt, uns zu verlassen." Am Schluß hieß es: „Bauet auf mich, wie ich<lb/> auf Euch baue; so wird uns Gott nicht verlassen!"; damit ging er und ward<lb/> nicht mehr gesehen. Morgen wirds grade ein Jahr...... . . . .</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
Natur nach in die Alternative verseht ist, zwischen Erfüllung dieser Mission
und dem Untergang zu wählen, und daß der Trieb der Selbsterhaltung in einem
lebenskräftigen großen Gemeinwesen viel zu stark ist, als daß es nicht das Erstere
vorziehen sollte, während der Kleinstaat, die Caricatur des Staats, wenn er
sich nicht einem großen Ganzen als willig dienendes Glied einfügt, fürchten
muß. von jenem lebhaften Wellenschlag, welcher mit jeder großen Cultur-
entwickelung nothwendig verbunden ist, umgeworfen, zertrümmert, in der Tiefe
begraben zu werden, so beiß er jedem Fortschritt ausweicht, weil er durch ihn
seine Existenz bedroht sieht, oder daß er jene, von dem dirigirenden Haus¬
und Staatsminister Seiner Durchlaucht des seit Rheinbundszeiten „souverainen"
Herzogs Wilhelm von Nassau in einer Landtagseröffnungsrede während der
dreißiger Jahre in wahrhaft classischer Form ausgedrückte Ueberzeugung gewinnt,
„daß man auf alle Reformen verzichten müsse, weil (für den Kleinstaat) auch
die nützlichste Reform mit einem gewissen Unbehagen verknüpft sei". Endlich
wissen und wußten diese schwäbischen Preußen, daß ein^großer Staat erstens
im Stande und zweitens Willens ist, seine Angehörigen zu schützen, und daß
sie daher berechtigt waren, die württembergsche Occupation nicht als ein ernst¬
haftes und dauerndes Ereigniß, sondern als ein schnell vorübergehendes Wölk¬
lein zu betrachten. Deshalb hielten sie treu zum preußischen Adler, denn sie
wußten: er läßt uns nicht im Stiche, und unter diesem Zeichen werden wir
siegen.
Was hatten denn wir z. B. von unserm Staate Nassau in der Stunde
der Gefahr? Wir hatten unsern Fürsten gewarnt vor einem Kriege gegen
Preußen, dem er nicht gewachsen sei. Hätte er auf uns gehört, er säße noch
auf seinem Thron. Er hörte uns nicht. Er sing den Krieg an. Als aber die
preußische Armee anrückte, da schrieb er zunächst einen nicht allzuhöflichen Brief
an deren Commandanten, worin er sich erstens über die dem Kurfürsten von Hessen
widerfahrene Behandlung beschwerte, welche er „die Gefangennehmung mitten
im Frieden eines deutschen Fürsten" nannte, und sodann Klage über die Be¬
schlagnahme der öffentlichen Kassen erhob, was er „Razzia" nannte, obgleich
doch die Bundesarmee in Gamertingen und Sigmaringen mit den preußischen
Kassen die nämlichen Experimente anstellte. Und als die Preußen in das Länd¬
chen einrückten, da schrieb er eine Proclamation „An mein Volk!", worin er
uns sagte, „da der Feind der deutschen Bundessache seit gestern (dem 14. Juli
1866) eine bedrohliche Stellung einnehme, so sehe er sich, um nicht nach einem
in der Geschichte der Civilisation einzig dastehenden Beispiel der letzten Wochen
(damit war wieder der Kurfürst gemeint) in Kriegsgefangenschaft zu gerathen,
genöthigt, uns zu verlassen." Am Schluß hieß es: „Bauet auf mich, wie ich
auf Euch baue; so wird uns Gott nicht verlassen!"; damit ging er und ward
nicht mehr gesehen. Morgen wirds grade ein Jahr...... . . . .
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |